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Genesis – Chapter & Verse: Das Buch GENESIS – Rezension

Unter den Genesis-Biografien gibt es die unumstrittene Bibel von Armando Gallo – doch diese hatte schon immer den Schönheitsfehler, dass sie nur einen Teil des Puzzles abdeckt und auflöst. Jetzt gibt es nach langer Zeit erstmals ein Werk, das den Anspruch auf den Titel „Bibel“ erhebt und Gallos Biografie gefährlich werden kann.

Anlass für dieses Buch, das bereits im März angekündigt wurde, war die Marketingmaschine, die die Reunion des Genesis-Kerns Tony Banks, Phil Collins und Mike Rutherford begleitete. Das Buch ist gleichzeitig nicht einfach nur eine Biografie der Band – Genesis haben an diesem Buch mitgewirkt und es ist somit ein autorisiertes Werk. Aber – es ist eigentlich keine Biografie…

Chapter & Verse verfolgt einen ähnlichen Ansatz wie die „In their own words“ Reihe, die es vor einigen Jahren gab und von der es z. B. auch ein Buch über Peter Gabriel gibt. Grundlage des Buches bilden Zitate der Bandmitglieder und Weggefährten, bei Chapter & Verse ist dies aber nicht die Grundlage des Buches, sondern quasi die Existenzberechtigung. Es gibt in dem Buch keinen Erzähltext, der Herausgeber beschränkt sich auf ein Vorwort, in dem er betont, dass dieses Buch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, aber: „es ist alles echt“.

Eines ist dieses Buch zu keinem Zeitpunkt: objektiv.

Dies kann es auch nicht sein, die gesamte Bandgeschichte wird so erzählt, wie sie war – von den Protagonisten selbst. Es erfolgt keine wissenschaftliche Einordnung in irgendeinen Kontext, und wenn, dann eben durch die Bandbrille. Und ob das alles stimmt, was die Herren erzählen, kann niemand ernsthaft überprüfen. Dennoch – oder grade deswegen – ist es eine nahezu lückenlose Chronologie der Bandgeschichte aus der sehr persönlichen Sicht der Musiker. Neben der Band selbst kommen weitere Weggefährten zu Wort, z. B. Richard Macphail, Tony Smith oder Ahmet Ertegün. Neben vielen Fotos in Schwarz/weiß und Farbe enthält das Werk immer wieder Sonderseiten zu wichtigen Personen der Bandgeschichte, dort erzählen die entsprechenden Leute, wie sie mit der Band in Berührung kamen, Kuriositäten und Besonderheiten. Die enorme Bandbreite dieser Personen, die im Buch zu Wort kommen, ist beeindruckend.

Dies sind natürlich Genesis, von 1967-2007: Tony Banks, Phil Collins, Mike Rutherford, Peter Gabriel, Anthony Phillips, Steve Hackett, Ray Wilson, Chris Stewart, John SIlver, John Mayhew.

Dazu weitere Musiker und Weggefährten: Bill Bruford, Chester Thompson, Daryl Stuermer, Nir Zidkyahu, Jonathan King, Gail Colson, Ed Goodgold, Nancy Lewis, Nick Davis, Hugh Padgam, Rusty Brutsche. Ein paar Namen fehlen aber – etwa John Anthony, David Hentschel, John Burns oder Nick D’Virgilio.

Beim Lesen fällt auf, dass es einen leichten Schwerpunkt gibt – besonders die frühen Jahre werden hier intensiv behandelt. Dies ist alles andere als ein Nachteil, denn dieses Buch wird sehr viele Leser haben, die Genesis erst seit kurzem für sich entdeckt haben und den „little trip back“ mit Hilfe eines Buches machen werden.

Die Detaildichte ist enorm, zu fast jedem Ereignis, das behandelt wird, gibt es mehrere Statements. Exemplarisch hierfür: Phil spielt seinen Genesis-Kollegen erstmals eigene Songs vor (Duke Sessions). Phil ist sich sicher, dass er ihnen auch In The Air Tonight vorspielte, Tony widerspricht mit dem Argument, sowas gutes sicher nicht abgelehnt zu haben und Mike vermutet, dass der Song damals noch gar nicht geschrieben war.

Die Einzelstatements bzw. Einwürfe der Weggefährten sind höchst interessant. So berichtet Chris Stewart, dass Phil mal vor hatte, ihn mit auf Tour zu nehmen. Dies wurde während des zweiten „Old Boys“ Reunion Dinner besprochen. Und Bill Bruford blickt unaufgeregt und aufgeräumt auf seine Genesis-Zeit zurück und fasst zusammen „wollen wir es noch einmal versuchen, Jungs?“

Die Produzenten Nick Davis und Hugh Padgham berichten übereinstimmend, dass ihr Engagement bei Genesis in den 90ern für die eigene Karriere alles andere als förderlich war – Genesis waren eben auch mal out und das ist ein weiterer wichtiger Teil der Bandgeschichte.

So erhält man zu vielen interessanten Punkten der Genesis-Geschichte mehrere Sichtweisen der Insider, so dass es oftmals eine echte Wahrheit gar nicht gibt.

Zeitlich reicht das Werk bis zur 2007er Reunion, etwa bis zur Zeit des Brüsseler Dress Rehearsals, dazu sind noch einige Fotos der Tour enthalten.

Die deutsche Übersetzung hat keine größeren Mängel oder Fehler, manchmal gibt es aber Kuriositäten, der Slipperman wird z.B. zum „Supperman“, insgesamt ist die Übersetzungsarbeit aber als sehr gut zu bezeichnen.

Etwas unglücklich dagegen – einige Bilder der We Can’t Dance Tour sind spiegelverkehrt abgedruckt – dies ist aber in der englischen Version des Buches ebenfalls passiert.

Hat man das Buch erst einmal zu Ende gelesen, ist man ein bisschen enttäuscht, dass es zu Ende ist – vermutlich auch deshalb, weil man das Gefühl nicht los wird, dass es weitergeht mit Genesis…

Dass das Werk mit seinen 360+ Seiten und den vielen Fotos einen festen Einband bekommt, ist gerechtfertigt. Der Preis der deutschen Ausgabe ist mit € 49,90 durchaus happig, man bekommt aber entsprechend viel geboten.

Ohne Zweifel – Chapter & Verse ist das Standard-Werk für alle Genesis-Fans. Ein sogenanntes „Must-Have“, an dem eingefleischte Fans ebenso viel Freude haben werden wie Neulinge, die gerade erst anfangen, Genesis für sich zu entdecken.

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Autor: Christian Gerhardts

Grafiken: Helmut Janisch