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Genesis – Calling All Stations Konzerte 1998 – Gastkritiken
Natürlich waren die Genesis-Fans in Scharen unterwegs, als Genesis 1998 durch Europa tourten. Einige Eurer Gastkritiken haben wir hier veröffentlicht,
In der Geschichte von Genesis hat es sicher schon bessere Konzerte gegeben. Die riskante Neuformierung und die anschließende Tour haben jedoch vorerst alle Unkenrufe nach dem vorzeitigen Exitus der Band vertrieben. Ich hatte den Eindruck, dass besonders die „Frischlinge” für neuen Wind sorgen können und dies auch schon beim Auftritt andeuteten. Hoffentlich entschließen sich Mike und Tony, die beiden beim nächsten Album mehr in die gesamte Produktion einzubeziehen. Nur so werden sie dem Schicksal manch anderer entgehen, die nur noch touren, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und dabei so schrecklich langweilig sind.
Heiko Philipp
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Laut Werbekampagne sollte die Bühne ja außergewöhnlich sein. Doch dies bestätigte sich nicht. Dies war schon mal die erste Enttäuschung für mich. Nun dachte ich, die Lightshow würde vielleicht mehr bringen. Doch diese war auch sehr enttäuschend. Auch die Musik war nicht so toll. Die schönsten Stücke waren für mich The Dividing Line und das verlängerte Intro zu No Son Of Mine. Ray Wilson überzeugte mich nicht. Seine Ansagen waren sicherlich ganz originell, und auch die neuen Songs hörten sich ganz gut an. Allerdings enttäuschte er bei den älteren Stücken. Invisible Touch, Home By The Sea und vieles andere hörte sich wirklich grausig an. Überraschend für mich war die doch relativ gute Stimmung bei den Fans. Insgesamt kann man sagen, daß Genesis bei dieser Tour einen Fehler gemacht haben: Sie sollten mehr auf Show setzen, wie z. B. Pink Floyd, und nicht auf die Musik. Diese ist ohne Phil Collins wirklich ziemlich grauenhaft geworden. Den Eintrittspreis hätte ich mir sparen können, denn es gibt weitaus bessere Bands als die „neuen” Genesis. Die „alten” Genesis mit Peter und Phil waren einfach besser. Tony und Mike, geht doch einfach in Rente und gebt eure Millionen aus!
Andy Brecklinghaus
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Bei allen Konzerten herrschte eine fantastische Stimmung, und Genesis wußten genau, was ihre Fans von ihnen erwarten würden. Mike und Tony wirkten professionell und routiniert, dennoch konnte man ihnen anmerken, mit wieviel Freude, Begeisterung und Engagement sie bei der Sache waren. Das Hauptaugenmerk lag sicherlich auf Ray. Er konnte von Anfang an mit seiner kräftigen, dunklen Stimme überzeugen. Von Auftritt zu Auftritt wuchs sein Selbstvertrauen, er wußte genau, wie er das Publikum durch verschiedene Dialoge und durch seine Show auf seine Seite bringen konnte. Es dürfte jetzt eigentlich kein Zweifel mehr bestehen, daß Ray der richtige Mann ist.
Kerstin und Sonja Parnitzke
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Die Veränderungen in der Band und diverse Ankündigungen ließen mich auf deutlich weniger Pop, mehr Spielfreude und Rückbesinnung auf alte Stücke hoffen. Doch welch eine Enttäuschung! Ja, es gab Lichtblicke: Ein ungekürztes The Lamb Lies Down …, Carpet Crawl, das Akustik-Medley – aber daneben Risikolosigkeit mit den Charterfolgen Land Of Confusion, Throwing It All Away und Invisible Touch – die Collinsschen Gassenhauer eben. Ja, den Kids muß man gefällig sein (auf Verlangen der Industrie etwa?). Ray gab sich Mühe, Phil zu imitieren, wirkte aber nur peinlich – tja, was kann man schon gegen den Charme eines alternden Entertainers tun? Die neuen Stücke waren nett, aber ich finde zu ihnen so wenig wie zur gesamten Platte einen Bezug. Zu kalt, zu technisch und emotionslos wirken sie auf mich. Da paßt sich die Plexiglas-Bühne und das oft graue, blaue oder grüne Licht an. Lediglich die Lagerfeuerromantik des Akustik-Medleys konnte ein wenig Wärme herbeizaubern. Genesis (Mike und Tony) stehen nicht mehr zu ihrer Vergangenheit. Ein Beweis, neben der Songauswahl, ist das völlig zusammenhanglos gespielte Solo von Firth Of Fifth. Übrigens ganz schlecht, Mr. Drennan – wo sind Steve und Daryl? Nach dem peinlichen Finale mit Turn It On Again und I Can’t Dance dachte ich: „Genesis heute sind nicht mehr meine Band, man sollte sie umtaufen in den Titel eines ihrer schönsten Lieder: Stagnation.”
Thomas Jesse
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Die Songs selbst waren gut zusammengestellt, nur was die Show anging, war man von Genesis irgendwie andere Dimensionen gewohnt. Mir persönlich hätte es noch besser gefallen, wenn man weniger Teile der ’92er Show verwendet hätte. Auf den Bildschirmen erschienen exakt die gleichen Bilder wie damals, Ray wurde bei Domino in die Höhe befördert, und Mike und Tony schien das Ganze überhaupt nicht zu interessieren. Sie starrten schier gelangweilt geradeaus. Tony schaffte es nur gerade so, seinen Kopf beim obligatorischen Vorstellen um 30 Grad zum Publikum zu drehen – echt schwach! Ray riß das Ganze nur durch seine Qualitäten als Frontmann raus, wobei er erst gar nicht versuchte, Phil zu kopieren, und sein eigenes Ding durchzog. Dank ihm war es letztendlich ein gelungenes Konzert, denn als Collins-Nachfolger hat er wohl eines der schwersten Bündel der Musikgeschichte zu tragen. Die Kritiken, die nach den ersten Konzerten laut wurden, kann ich nicht so richtig nachvollziehen. Klar, es war nicht perfekt, aber als Einstieg mehr als akzeptabel. Ray hat sich mehr als abgemüht, und meiner Meinung nach hat es ihm das Publikum – jedenfalls in Leipzig – voll gedankt. Ich hoffe, er ist auch in Zukunft der Frontmann bei Genesis, denn ein wenig frische Luft tut den anderen sehr gut.
Maria Banse
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Mit nicht allzu hohen Erwartungen bin ich zum Genesis-Konzert nach Mannheim gepilgert und hatte mir vorgenommen, Ray eine echte Chance zu geben, mich von den „neuen” Genesis zu überzeugen. Leider ging das dann im Verlauf des Abends ziemlich nach hinten los. Klar kam bei den ersten drei älteren Hits wunderbare Konzert-Stimmung auf. Besonders The Lamb … schlug bei mir ein wie ein Hammer. Jedoch flaute das Ganze bei den anschließenden neueren Stücken so ziemlich auf den Nullpunkt ab. Nicht nur, daß die meisten Songs des neuen Albums mit viel Beat anfingen, sich dann aber spätestens nach der ersten Strophe totliefen. Nein, auch schier endlose Instrumentalstücke hatten höchst einschläfernde Wirkung auf die Menge. Während man nach jedem beendeten Stück mit immer zurückhaltenderem Applaus auf die älteren Hits hoffte, um wieder in Fahrt und Laune zu kommen, unterstützte Wilson die flaue Stimmung tatkräftig mit einem fortwährenden Hin- und Herlaufen auf der Bühne, das man nicht mal Bühnenshow nennen konnte. Sicher, es muß angemerkt werden, daß sich Genesis mit der Light- und Lasershow wirklich wieder ein Bonbon für ihre Fans ausgedacht hatten, und die futuristischen Videoeinspielungen kamen ebenfalls doch recht gut an. Doch auf mitreißende Hits und gelungene Jokes á la Collins wartete der noch geduldige Fan vergeblich. Ein paar unwichtige Randbemerkungen von Wilson gingen schließlich völlig unter. Bei manchen Passagen wirkte es ganz so, als ob er in absoluter „Null-Bock-Stimmung” seine Show durchzog, mit der er sich eigentlich auch gar nicht so richtig identifizieren will. Dann endlich wurden dem Publikum ein paar ganz alte Zuckerstücke aus den frühen Tagen der Band serviert, die den alten Konzert-Geist wieder aufleben ließen. Eine „Unplugged-Session”, die endlich wieder ganz nach Genesis klang, und dazu die röhrende Stimme von einem ziemlich unsicher in der Gegend rumstehenden Ray Wilson, der manchen Ton haarscharf verpaßte, und so manchen Gabriel-Fan zur Weißglut brachte. Mag nun zwar arg gemein klingen, aber wenn man bei Collins bei der Textzeile „I can’t dance, I can’t sing …” über die Ironie schmunzelte, so stimmte so mancher dem Sänger Wilson überzeugt zu. Im Endeffekt bin ich zu dem Entschluß gekommen, daß man Phil nur sehr schwer – wenn überhaupt – ersetzen kann, daß Ray Wilson generell besser zu Projekten wie Stiltskin paßt und daß es mit unseren Genesis momentan erheblich den berühmten Bach runtergeht.
Janine Scheckenbach
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Freude und Ärger, Hoffnung und Verzweiflung, Banks und Rutherford – all das erlebte ich auf dieser Genesis-Tour! Die Konzerte in Berlin, München und Hamburg, auf denen ich war, lassen recht gute Vergleiche zu. Trotz der im letzten Heft erwähnten Pannen gefiel mir der Berlin-Gig am besten, da dort z. B. durch die derzeit noch gespielten There Must Be Some Other Way und Shipwrecked auch mehr Kontakt zum Publikum stattfand. Das besondere Konzert in München war natürlich Tonys Geburtstag, welcher mit „Happy Birthday”-Gesängen der ersten Reihen, Blumen und einem Plüschtier aus dem Publikum und einer Torte der Konzertagentur gefeiert wurde. Höhepunkt dieser Konzertreihe sollte für mich eigentlich ein offizielles Treffen mit der Band in Hamburg werden, welches ich durch eine unglaublich schlampige und dilettantische Organisation (wenn man’s überhaupt so nennen kann) der Konzertagentur verpaßte – so was macht dann erst richtig Spaß! Zusammenfassend muß ich sagen, daß mich – wie wohl auch viele andere – die reduzierte Bühnenshow enttäuscht hat, und auch musikalisch fand ich’s in verschiedener Hinsicht nicht so stark wie erhofft. Dennoch wird mir diese Tour mit all ihren mir widerfahrenen Kuriositäten als ganz besonderes Erlebnis in Erinnerung bleiben.
André Garnath