- Artikel
- Lesezeit ca. 4 Minuten
Genesis – Alan Hewitt: Opening the musical box – Buch Rezension
Alan Hewitts Buch bietet eine Blitzeinführung in die Genesis-Welt. Neben den wichtigsten Ereignissen stellt er jedes Bandmitglied kurz vor und präsentiert eine relativ vollständige Biographie. Ein besonderes Merkmal ist die Aufstellung der zum Zeitpunkt der Drucklegung bekannten Tourdaten.
Seit langem warten viele Genesis-Fans auf eine allumfassende Biographie rund um Genesis. Gerade jetzt, wo die Zukunft ungewiss und mit Archive #2 vielleicht das letzte Kapitel der Band durch die Tür gekommen ist, böte sich das an. Doch wie soll solch ein Buch nun aussehen? Jedes Bandmitglied würde eine einzelne Biographie füllen. Ein Komplettwerk wäre aufgrund der Fülle an Informationen entweder unbezahlbar, weil zu dick, oder aber es ist inhaltlich zu dünn, um wirklich gut zu sein. Alan Hewitts Buch versucht einen Kompromiss. Es stellt keinen Anspruch, komplett zu sein, sondern will die wichtigsten Ereignisse erläutern, jedes Bandmitglied kurz vorstellen und eine relativ vollständige Diskographie präsentieren. Ein wenig könnte man vielleicht von einer Art Blitzeinführung in die Genesis-Welt sprechen, aber dafür gibt es dann wieder Kapitel mit zu detaillierten Informationen.
Nach unzähligen Danksagungen sowie einer Einleitung über sein Projekt und die Entstehung des Buches wird die Geschichte der Band und ihrer Mitglieder anhand von Stichdaten kurz erzählt, allerdings schleichen sich hier schon einige Fehler ein – die erste Gabriel-Single war Solsbury Hill und nicht etwa Moribund The Burgermeister, und We Can’t Dance wurde nicht am 21., sondern am 11. November 1991 veröffentlicht. Das sind zwar eher Kleinigkeiten, dennoch sollten solche Fehler vermieden werden. Diese Zeitchronologie ist eine recht gelungene Idee, aber wo will man tatsächlich einen Strich ziehen und sagen, dies muss rein, das wäre nicht unbedingt nötig. Etwas problematisch also, und genau das ist der Schwachpunkt der Zeitaufzählung. In den folgenden Kapiteln erzählt Hewitt die Geschichte der Band, allerdings etwa ab Ende der 70er Jahre in stark komprimierter Form. So fällt direkt auf, dass er ein Fan der Frühphase ist. Hewitt erzählt die Geschichte recht flüssig und es macht Spaß, sie zu lesen, wenngleich der geneigte Fan das alles schon weiß. Auch hier schleichen sich wieder kleinere Fehler ein, We Can’t Dance war etwa 24 Wochen auf Platz 1 in Deutschland und nicht 16. Auch das sind zwar Kleinigkeiten, aber genau das sollte den Unterschied machen zwischen einem „neutralen“ Werk und einer „Fan-Bibel“. Die anschließende Diskographie gibt dann den musikalisch-statistischen Überblick.
Es folgen nun Kapitel, die inhaltlich sicher nie komplett sein können. Dieser Begriff wird von jedem Fan anders definiert. Hewitt listet einige „collectable recordings“ auf, das Folgekapitel beschäftigt sich mit den Memorabilia. Während es sich bei den „collectable recordings“ um die raren Originale offizieller Veröffentlichungen dreht, geht es bei den Memorabilia um Tourhefte, Bücher; Fanmagazine, auch Videos und – tja, Bootlegs. Keine Sorge, hier wird gar nicht erst versucht, irgendwie komplett zu wirken, auf der anderen Seite sieht für manchen die Auswahl bestimmt erbärmlich aus. Irgendwie sieht das alles wie ein recht planloser Ausschnitt aus der eigenen Sammlung aus. Feste Kriterien, zum Beispiel nur komplette Konzerte oder nur Radio/Soundboardrecordings hätten der Sache sicher gut getan! Also werden wir auch hier mit dem Problem des Kompromisses konfrontiert. Positiv zu bewerten ist allerdings, dass auch Solo-Produktionen und Material einbezogen werden. Auch hier kann natürlich der Gesamtumfang nur angeschnitten werden! Als Service für den Fan werden die verschiedenen etablierten Fanclubs genannt mit entsprechenden Postdressen und Internet-Links.
Nun folgt eine Art Soloabteilung. Jedes Bandmitglied – von Ray Wilson einmal abgesehen – wird in einem eigenen Kapitel separat betrachtet und die Solokarriere erzählt. Im Anschluss an jedes Kapitel gibt es dann die obligatorische Diskographie mit den offiziellen Veröffentlichungen. Natürlich kann auch bei den Einzel-Biographien nicht ins kleinste Detail gegangen werden. Auch hier schleichen sich wieder Fehler ein, die von verzeihbar (Only You And I Know statt Only You Know And I Know) bis peinlich reichen. Dance Into The Light ist nicht Phils fünftes Soloalbum, sondern bereits das sechste, wenn man nur die Studioalben betrachtet. Es sollte schon der Anspruch eines so bekannten Fan wie Alan Hewitt sein, auf solche Statistika zu achten. Unbeachtet dessen hat jede Einzelkurzbiographie ihre besondere Note, irgendwie passend zugeschnitten auf die verschiedenen Charaktere. Und da ist sicherlich das Talent von Hewitt anzusiedeln. Denn Langeweile kommt während des ganzen Buches nicht auf.
In einem fast 70-seitigen Anhang werden nun alle Zitate aufgelistet, die das Buch enthält. Viel interessanter dürfte aber die (sicherlich auch nicht komplette) Auflistung der Tourdaten sein, die ein weiterer Schritt Richtung lückenloser Recherche sein dürfte. Selbst die Tourneen der Solo-Künstler sind dokumentiert. Eine feine Sache, da kann man selbst Verschobenes und Ausgefallenes nachlesen.
Der Kompromiss ist zwiespältig. Auf der einen Seite vermittelt das Buch viel Kurzweil, was beim Lesen solcher Werke manchmal ganz angenehm ist. Auf der anderen Seite haben wir ständig das Gefühl, dass da was fehlt oder noch mehr kommen müssen. Das Missverhältnis in den Erzählungen über die Gabriel-Genesis im Gegensatz zu den Collins-Genesis ist ebenso auffallend. Und dass Anthony Phillips mit 15 Seiten die Hitliste der längsten Solokarriere-Kapiteln anführt, ist wenig erstaunlich, wenn man bedenkt, was für ein Phillips-Fan Alan Hewitt ist. Die Frage nach der Repräsentativität muss er sich aber gefallen lassen.
Trotz allem ist Opening The Musical Box sehr lesenswert. Ähnlich angelegte Werke sind von freien Journalisten ja eher nicht zu erwarten. Es wäre natürlich vermessen, solch ein Buch in ausführlicher Form von jedem Bandmitglied zu verlangen. Aber seien wir ehrlich – das wär’s doch! Dann sind wir alle glücklich, nur Alan Hewitt ist dann wahrscheinlich mit den Nerven am Ende. Lest es selber und macht Euch ein Bild! It’s written in the book!
Autor: Christian Gerhardts, Februar 2001
Foto: Helmut Janisch