- Artikel
- Lesezeit ca. 18 Minuten
Genesis – Looking For Someone (Else): die Band im Wandel (Mitte 1970)
Was hier in der Folge zu lesen ist, ist aus der Perspektive der Protagonisten erzählt. Dies deckt sich vielleicht nicht immer mit der Erinnerung anderer Beteiligter, doch es ist so erzählt, wie die Einzelnen sich erinnern.
Manchmal kann eine Erinnerung das Leben eines Menschen prägen, während die anderen Beteiligten den Vorfall vielleicht schon längst vergessen haben (frei nach Phil Collins aus seinem Buch Not Dead Yet).
England, Mitte 1970, es sind aufregende Zeiten …
Das wird Phil Collins später einmal sagen, wenn er über seinen Eintritt bei Genesis spricht [1]. Für Genesis wurden es tatsächlich bewegte Zeiten, die ihren Anfang am 18. Juli 1970 in Haywards Heath nahmen und im Januar 1971 ihren Abschluss fanden.
Anthony Phillips und John Mayhew
Es war ein heißer Tag im Süden von England [2]. Fünf junge Männer beendeten gerade ihr Konzert in der Sussex Hall in Haywards Heath, als im Anschluss ihr Gitarrist den offiziellen Ausstieg aus der Band erklärte, obwohl er die Entscheidung, die Gruppe zu verlassen, bereits einige Wochen zuvor getroffen hatte [3].
Ein an sich alltäglicher Vorgang, möchte man meinen. Doch für die damals noch recht unbekannte Band Genesis ein tiefer Einschnitt.
Anthony Phillips, eben jener Gitarrist und Gründungsmitglied von Genesis war stark vom Lampenfieber geplagt und sagt dazu: „Für mich begannen die Dinge schief zu laufen, als die Band auf Tour ging, und ich denke, dass ich an diesem Punkt erkannte, dass dies einfach nicht das richtige Leben für mich war. Die Tatsache, dass wir alle zusammen in einer Hütte wohnten, hat wahrscheinlich nach einer Weile nicht mehr geholfen. Auf eine idealistische Art und Weise war es ein großer Spaß, aber eigentlich nicht sehr sinnvoll für Leute, die miteinander auskommen. Ich fand einfach, dass der Druck der ganzen Sache mir nach einer Weile zu schaffen machte, da wir all diese Auftritte hatten, bei denen Agenten auftauchten, und ich dachte: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich damit umgehen kann.“ [4]
An diesem Punkt stand Genesis kurz vor der Auflösung, was zeigt, wie wichtig Ant für die Gruppe war, als er noch dabei war.
Auf der Rückfahrt von Haywards Heath sprachen sich Peter Gabriel und Mike Rutherford jedoch dafür aus, auch ohne Anthony Phillips weiterzumachen. Tony Banks war damit einverstanden, aber er wollte einen neuen Schlagzeuger finden, der kreativer war und mehr Feuer besaß als John Mayhew, ihr aktueller Drummer [5]. Und so kam es, dass die Band kurze Zeit später John bat Genesis zu verlassen [6].
Die Dinge nahmen Fahrt auf, als im Melody Maker vom 1. August 1970 die folgende Anzeige von Tony Stratton Smith erschien:
Phil Collins
Der 19-jährige Philip David Charles „Phil“ Collins, der jeden Donnerstag bei seinem Zeitschriftenhändler die neuesten Musikzeitschriften kaufte, spielte zu dieser Zeit noch bei Flaming Youth. Er war jedoch immer auf der Suche nach neuen Jobs und so kaufte er sich den Melody Maker vom 01. August 1970 bereits am 30.07.1970 (obwohl die Musikpresse jeden Samstag erschien, wurde sie einige Tage früher verkauft, Anm. d. Red.). Wie jeder Fußballfan begann er mit der Lektüre auf der Rückseite, und so stach ihm die gerahmte Anzeige schnell ins Auge.
Da er sich als Schlagzeuger angesprochen fühlte und auch Tony Stratton Smith kannte, ging er am nächsten Abend (Freitag, den 31.07.1970) in den Londoner Marquee Club, um diesen dort zu treffen. Auf die Frage, um wen es sich bei der Band handelt, entgegnete dieser, dass sie sich Genesis nennen und dass er sich mit diesen Jungs selbst in Verbindung setzen muss [6a].
Tatsächlich rief Phil bei Peter Gabriel an und brachte sich und seinen Freund bei Flaming Youth, Ronnie Caryl, ins Gespräch. Und so wurden sie zum Vorspielen in Peter Gabriels Elternhaus eingeladen.
An dieser Stelle weicht unser Zeitplan von dem oft beschriebenen ab. Wir glauben, dass das Vorspielen nicht erst eine Woche später, am 8. oder 9. August stattgefunden hat, sondern bereits am folgenden Wochenende, dem 1. oder 2. August. Die weiteren Daten werden dies belegen.
In Armando Gallos Buch I Know What I Like ist die Liste der zum Vorspielen eingeladenen Schlagzeuger abgebildet. Der Eintrag zu Phil Collins enthält neben dessen Telefonnummer, der Marke seines Schlagzeuges (Gretsch) auch die Vermerke „SAT or Sun Afternoon“ sowie „+ Guitarist“ (für Ronnie Caryl, Anm. d. Red.).
Wie dieses Vorspielen vonstatten ging, ist hinlänglich bekannt. Wenig bekannt ist allerdings der Eintrag in Phil Collins Tagebuch. Dort trägt er am 04.08.1970 ein: „Got Job with Genesis“. Das wiederum beweist, dass das Vorspielen am Samstag oder Sonntag vor dem 4. August stattgefunden haben muss. Auch wenn Collins in seinem Buch Not Dead Yet schreibt, dass das Vorspielen eine Woche später stattgefunden hat und er am 8. August Peter Gabriels Anruf bekommen haben will [6]. Diese Version halten wir aber zeitlich für nicht plausibel, wie der Blick auf den Kalender von 1970 und den Fortgang der Geschichte zeigt.
Ronnie Caryl allerdings bekam die Stelle als Gitarrist nicht. Doch er sollte bei Genesis noch einmal eine kleine Rolle spielen.
Bevor Genesis ihre Arbeit wieder aufnehmen konnten, unterschrieb Phil Collins einige Tage später bei Charisma einen Vertrag über 10 £ wöchentlich. Danach verabschiedeten sich Tony Banks, Peter Gabriel und Mike Rutherford in einen zweiwöchigen Urlaub.
Die Proben zu viert begannen am 24. August in einem alten Gebäude in Farnham namens The Maltings. Während dieser Zeit wohnte Phil vorübergehend bei Mikes Eltern [7].
Am 2. Oktober 1970 war es dann so weit, Phil Collins spielte sein erstes Konzert als neuer Schlagzeuger mit Genesis. Es fand im Medway Technical College in Chatham statt [8].
Ronnie Caryl
Da Genesis aber noch keinen neuen Gitarristen gefunden hatten, ging es zunächst als Vier-Mann-Band weiter, wobei Tony Banks die Gitarrenparts über einen Verzerrer auf seinem Hohner E-Piano spielte. Doch die Band sollte es noch einmal mit Ronnie Caryl versuchen.
Ronnie erzählte dem Deutschen Genesis Fanclub in einem Interview 1997 dazu folgendes: „Phil bekam den Job sofort, ich schaffte es aber nicht. Genesis konnten allerdings nicht sofort den richtigen Gitarristen finden. Ich bekam also einige Zeit danach einen Anruf von ihnen. Das Resultat des Anrufs ist die Tatsache, dass ich zu ihnen fuhr, um drei oder vier Tage lang mit ihnen im Elternhaus von Mike Rutherford zu proben. Letztendlich spielte ich ein einziges Konzert mit ihnen.“ [9]
Zum Ort dieses Konzerts hat Phil Collins in verschiedenen Interviews gesagt, dass es eine Friars-Show war, trotzdem nicht den genauen Ort genannt. Dazu muss man wissen, dass Genesis im Oktober 1970 zweimal in einem Friars ein Konzert gegeben haben, am 06.10. in Princes Risborough und am 23.10. in Bedford.
Um zu verstehen, weshalb es hier möglicherweise zu Verwechselungen gekommen ist, wollen wir an dieser Stelle kurz auf das Friars eingehen. Dave Stopps erzählt dazu über den Anfang des Friars: „Am 2. Juni 1969 präsentierten Robin, Terry Harms, Adrian Roach, John Fowler, Jerry Slater und ich den allerersten Auftritt der Friars Aylesbury in der New Friarage Hall mit einer postpsychedelischen Band namens Mandrake Paddle Steamer und dem Folksänger Mike Cooper. Zweihundert Leute kamen und wir verloren £35, was damals eine riesige Summe war. In der nächsten Woche präsentierten wir The Pretty Things und in der dritten Woche Free, und die Dinge begannen sich zu erholen. Im nächsten Jahr präsentierten wir jeden Montag die besten Bands, die wir bekommen konnten, darunter Black Sabbath, Edgar Broughton, Mott the Hoople, Blodwyn Pig, King Crimson, Van Der Graaf Generator und Hawkwind, um nur ein paar zu nennen. Wir hatten auch ein paar „auswärtige“ Auftritte in Dunstable, Bedford, High Wycombe und sogar einen in Princes Risborough.“ [10] Eine genaue Liste über diese auswärtigen Gigs ist auf der Website des Friars zu finden.
Zurück zur Suche nach dem einzigen Konzert von Ronnie Caryl mit Genesis. In einem Interview mit Phil Collins zum Genesis Archive 1967-75-Boxset präzisiert er endlich den Ort und nennt das Friars in Princes Risborough [11]. Ist das nun der endgültige Beweis? Anscheinend nicht.
Für sein Buch Inside & Out (Rezension s. hier) gelang es Robin Platts erstmals Mick Barnard, jenen Gitarristen, der für eine kurze Zeit bei Genesis spielte, sowie einen Sessiongitarristen namens Kim Shaheen zu interviewen. Dank Robin Platts gelang es Mario Giammetti vom Dusk später auch mit diesen beiden zu sprechen. Im Februar 2002 wurden die beiden bemerkenswerten Interviews in seinem italienischen Magazin (Dusk Nr. 38) veröffentlicht.
Eines kurz vorweg. Kim Shaheen hat nie ein Konzert mit Genesis gespielt. Doch ein Brief von Peter Gabriel an Kim spiegelt die dringende Suche nach einem Gitarristen wider. Darin schreibt Gabriel am 28.10.1970 unter anderem: „… Wir hatten noch keine Gelegenheit, an deinen Songs zu arbeiten, da wir die Mitglieder auf die Live-Performance als vierköpfige Band vorbereitet haben, aber ich hoffe, dass sie sich beruhigen werden, sobald wir wieder bereit für die Straße sind. Wir haben das Gefühl, dass wir einen Gitarristen brauchen, auch bei den neuen Stücken, die wir schreiben, also hoffe ich, dass du uns bald wissen lässt, wie deine Pläne aussehen. Wir sind immer noch auf der Suche nach jemandem unter den Leuten hier, aber bis jetzt hat sich noch niemand Besonderes gefunden. Ich glaube, unsere Tournee durch die Staaten wurde auf Ende 1971 verschoben, so dass ich denke, dass du wahrscheinlich wieder hier sein wirst, bevor wir in den USA sind… Alles Gute, Peter Gabriel und die anderen.“
Das Interview mit Mick Barnard ist jedoch noch aufschlussreicher. So erzählt er zum Beispiel: „Er (Dave Stopps, Anm. d. Red.) machte mich mit Genesis bekannt. Das erste Mal, dass ich sie sah, war im British Legion Club in meiner Stadt Princes Risborough (er lebte dort, Anm. der Red.). Mit dabei war auch der Schlagzeuger Phil Collins, der gerade zu ihnen gestoßen war. Sie waren eine großartige Band, obwohl sie nur zu viert waren.“
In Robin Platts Buch Inside & Out wird Barnard weiter zitiert: „Ich habe mir den Gitarristen angesehen, der vor mir in der Band war, Ronnie Caryl, drüben im Cambridge Corn Exchange.“
Im Interview im Dusk mit Mario Giammetti danach befragt, antwortete Mick dann geringfügig abweichend: „Ja, das stimmt. Bei ihrem nächsten Auftritt bin ich nach Cambridge (ohne Nennung einer Halle, Anm. d. Red.) gefahren, um den Gitarristen zu sehen, den sie zu der Zeit hatten. Sie probierten ihn aus. Ich glaube, er war aus Phil Collins‘ Band […] Ronnie Caryl, das ist richtig. Da habe ich wohl gemerkt, dass ich es vielleicht auch kann. Um ehrlich zu sein, war es nicht wirklich die Musik, die ich mochte. Aber vorher, in der örtlichen British Legion, haben sie mir sehr gut gefallen. Sie waren sehr dynamisch, sehr kraftvoll und hatten einen hervorragenden Sound. Damals hatten sie noch keinen Gitarristen.“
Die widersprüchlichen Aussagen von Phil Collins und Mick Barnard sind derzeit nicht abschließend aufzuklären. Geplant war laut Itinerary ein Konzert am 16. Oktober in Cambridge, doch wir haben keine Anzeige für das Corn Exchange an diesem Tag gefunden. Es wird jedoch in verschiedenen Tourdaten-Listen erwähnt, dass die Band im Rex Cinema als Vorgruppe von Matthews Southern Comfort gespielt haben soll. Matthews Southern Comfort war eine Band, die wie Genesis auch bei der BBC in der Sendung Disco 2 aufgetreten war und im Oktober/November 1970 zudem einen Nummer 1 Hit mit ihrer Single Woodstock hatten. Zwei Anzeigen für Matthews Southern Comfort im New Rex Cinema liegen uns vor, doch leider ohne Nennung von Genesis, was aber noch kein Beweis ist, ob Genesis an diesem Tag auch dort gespielt haben oder nicht.
Zweifelsfrei fest steht jedoch, dass Ronnie Caryl nur ein einziges Konzert mit Genesis gespielt hat. Höchstwahrscheinlich in der kurzen Zeit vom 07.10. bis zum 17.10.1970. Die weitere Geschichte wird dies darlegen.
Mick Barnard
Genesis waren also noch als Vier-Mann-Band unterwegs und suchten immer noch nach einem geeigneten Gitarristen. Da kam es sehr gelegen, dass Dave Stopps ihnen jemanden vorstellte. Tony Banks bestätigt dies: „Wir spielten oft im Friars in Aylesbury, dass uns in dieser Phase eine großartige Auftrittsmöglichkeit bot. Wir freundeten uns mit dem Betreiber Dave Stopps an. Dieser schlug vor, wir sollten doch einmal Mick Barnard ausprobieren. Der in einer lokalen Band namens Farm Gitarre spielte. Wir probten mit ihm und mochten seinen Stil.“ [13]
Diese Proben fanden Mitte Oktober 1970 statt. Höchstwahrscheinlich in der Zeit vom 18.10. bis 01.11.1970, einer ansonsten konzertfreien Zeit, die zur Vorbereitung auf die Trespass-Tour und zum Proben der neuen Stücke des Albums genutzt wurde. Unterbrochen wurden die Proben lediglich von einem einzelnen Konzert am 23. im Friars in Bedford, an dem Tag, an dem Trespass veröffentlicht wurde.
Am 31.10. und 01.11. sollten Genesis am 2. Grand Benefiz Festival an der Sussex University in Falmer (Brighton) teilnehmen. Ein Poster und einen Flyer dazu gibt es. Ob sie tatsächlich an einem der beiden Tagen dort gespielt haben, ist umstritten. Es ist möglich und nachvollziehbar, dass die Auftritte zugunsten weiterer Proben mit Mick Barnard abgesagt wurden.
Sollte dies so gewesen sein, was wir annehmen, hätte am 3. November das erste Konzert mit Mick Barnard als Gitarristen, im Resurrection Club in Barnet stattgefunden. Leider haben wir bisher keinen Beweis für eine der beiden Versionen gefunden.
Über seine Erinnerungen an das erste Konzert und die Zeit, in der er mit Genesis gespielt hat, spricht Mick im Dusk Nr. 38: „Nein, ich kann mich nicht an das erste Konzert erinnern. Es war eine sehr arbeitsreiche Zeit. Ich habe einige Unterlagen und auch Zeitungsausschnitte, aber ich kann dir nicht genau sagen, welches Konzert es war. Ich weiß, was mein letztes Konzert war.
Und ich erinnere mich an einige der Auftritte. Vor allem an Orte wie die Heriot-Watt University während der Schottlandtournee und den Farx Club – daran erinnere ich mich sehr gut. Und das Lyceum. Ich bin mir sicher, dass ich eine der Lyceum-Shows gespielt habe. Die, an die ich mich am meisten erinnere, sind die, die auf meinem kleinen gelben Blatt standen, das Tony Stratton Smith uns immer gab. Er hat Genesis nie richtig geschrieben, er hat Genisis geschrieben.„
Und nach dem ersten TV-Auftritt von Genesis, bei einer Sendung namens Disco 2 [14] gefragt, antwortet Mick im gleichen Interview im Dusk: „Ja, ich erinnere mich genau daran. Es war eine Menge Arbeit. Wir mussten unsere eigenen Instrumente mitbringen, was blöd war, weil wir nicht spielen mussten. Hinter uns war ein schöner Vorhang, der aus unserer Sicht blau war, auf den sie Kriegsszenen projizierten. Als sie es im Fernsehen zeigten, spielten wir in der Stadthalle in Watford mit Johnny Winter. Da es in der Nähe meines Wohnorts war, eilte ich nach Hause und schaffte es, uns bei Disco 2 zu sehen. Aber ich habe es nie geschafft, eine Kopie zu bekommen. Ich hätte gerne eine Kopie gefunden, ich habe es monatelang bei der BBC versucht, aber anscheinend wurden alle Kopien gelöscht. Hat jemand ein Exemplar?“
Auf der Suche nach weiteren Beweisen über Barnards Zeit mit Genesis findet man in der Musikpresse leider nicht sehr viel. Zum einen gibt es dort einen Artikel von Jerry Gilbert, der im Musikmagazin Sounds vom 26.12.1970 über das Konzert am 20. Dezember in Godalming berichtet und dabei auch Mick erwähnt.
In zwei weiteren Artikeln wird auch der Personalwechsel hin zu Phil Collins und Mick Barnard thematisiert. Ironischerweise erschienen diese beiden erst zu einem Zeitpunkt, als Mick Barnard schon gar nicht mehr Teil der Band war [15 + 16].
Interessant ist auch der Bericht eines Augenzeugen des Konzertes vom 16.12.1970 in Aylesbury: „Genesis haben eine Show in der Aylesbury Grammar School mit Mick Barnard gespielt. Ich weiß das, weil ich dort war. Der Einlass war nur für die Schüler der Schule, also nahm ich ein Mikrofon mit und ohne einen Ton zu verpassen, winkte ich damit dem Türmanager und sagte ‚Roadie‘ und ging direkt hinein. Ein paar Wochen später sah ich sie im Aylesbury College mit Hackett. Lange nachdem die Sachen zusammengepackt waren, erinnere ich mich daran, wie die Band in der Mitte einer leeren Halle saß und Collins sagte: ‚Ich will den Namen Farm nie wieder hören‘.
Apropos Farm: Ich habe viele Konzerte von ihnen gesehen. Sie waren eine wunderbare Band mit dem Schlagzeuger Paul Hammond, der Carl Palmer bei Atomic Rooster ersetzte, und dem Bassisten Nigel Harrison, der bei Silverhead, Blondie und Chequered Past spielte.“ [17]
Die Zeit von Mick Barnard mit Genesis endete abrupt am 05.01.1971 in High Wycombe, direkt nach dem Konzert, wo Micks alte Band Farm pikanterweise die Vorgruppe war. Mick erinnert sich im Dusk wie folgt: „Ich war bei Genesis eingestiegen, und natürlich dachte ich, ich wäre bei Genesis. Die Vorband war meine alte Band, Farm. Sie hatten einen neuen Sänger und natürlich einen neuen Gitarristen. Wir traten auf und kamen ziemlich gut an. Am Ende des Konzerts rief Peter mich zu sich in den hinteren Teil des Vans. Es waren nur wir, Peter Gabriel und ich. Ich glaube, die anderen tranken gerade etwas. Und dort erklärte er mir, dass sie einen neuen Gitarristen hätten. Er sagte mir, dass sie mir die Kosten für mein Binson-Echogerät, das defekt war und repariert wurde, erstatten würden.“
Auf die Frage, ob Mick sich jemals als Teil der Band gefühlt hat, erzählte er weiter im Dusk-Interview: „Nein, ich glaube nicht. Ich habe mich sehr bemüht zu erfahren, ob ich in der Band war oder nicht, da ich meine Karriere praktisch aufgegeben hatte, um dies zu tun. Aber ich dachte natürlich nicht, dass ich lange in der Band sein würde, weil ich mir den Erfolg nicht vorstellen konnte, den sie haben würden. Ich fühle mich nicht beraubt. Es war eine gute Erfahrung zu der Zeit. Ich denke nur, dass sie ein bisschen ehrlicher zu mir hätten sein können, anstatt mir weiterhin zu sagen: ‚Wir lassen es dich wissen‘.“ [18]
Der Zeitpunkt des Endes mutet auf den ersten Blick seltsam an, mussten Genesis doch danach wieder einige Konzerte zu viert bestreiten. Aber nicht mehr lange …
Steve Hackett
Der 20jährige Stephen Richard „Steve“ Hackett schaltete seitdem er die Schule verließ, fünf Jahre lang eine Anzeige in der Musikzeitung Melody Maker, in der es zuerst hieß: „Bluesgitarrist / Mundharmonikaspieler sucht Arbeit“. Als er dann neue, innovative Musik kennenlernte, erweiterten sich sein Geschmack und sein Interesse an Musik. Hackett war fasziniert von der Vielfalt der Möglichkeiten.
1970 lautete dann die berühmte Anzeige im Melody Maker vom 12. Dezember: „Imaginative Guitarist/writer seeks involvement with receptive musicians, determined to strive beyond existing stagnant musical forms – Steve“.
Hackett sagt dazu: „Es war eine kühne Aussage, die hohe Erwartungen an mich selbst und an jeden, mit dem ich zusammenarbeiten sollte, weckte, aber sie muss den richtigen Ton getroffen haben, denn sie erregte die Aufmerksamkeit eines anderen gleichgesinnten Idealisten.“
Und tatsächlich, der gleichgesinnte Idealist wurde auf die Anzeige aufmerksam. Steve schreibt in seinem Buch A Genesis In My Bed: „Es war einer dieser grauen Spätherbsttage, an denen ich in meinem Zimmer Gitarrenlicks übte, nachdem ich meiner Mutter geholfen hatte, den Müll in den Garten zu bringen, und von einer rosigen, fernen Zukunft träumte, als das Telefon klingelte. ‚Hallo, mein Name ist Peter Gabriel. Ich habe gerade deine Anzeige gelesen …‘.“ [19]
Banks und Gabriel initiierten ein informelles Vorspielen in Hacketts Familienwohnung im Londoner Stadtteil Victoria, einer Wohnung, die weit von den grünen Gefilden Surreys entfernt war. Steve erinnert sich daran: „Ich habe mich allein und mit meinem Bruder John durch einige Stücke für Pete und Tony gequält, die für Gitarre und Flöte geschrieben waren. Ich konnte auch ein bisschen Blues mit meiner Mundharmonika spielen, während John dazu klimperte. Eines der Stücke, an denen wir arbeiteten, The Hermit, sollte später auf Voyage of the Acolyte erscheinen. Ich spielte sowohl elektrische als auch akustische Gitarre, und es half, dass ich auch zwölfsaitige Gitarre spielte. Durch meine Vorliebe für alle drei Gitarrenarten kam ich bei den Jungs sehr gut an. Ich glaube, sie mochten meinen eklektischen Ansatz und mein Interesse an allen Musikstilen. Hätte ich gewusst, dass ich mit etwa vierzig anderen Gitarristen konkurrieren würde, wäre ich viel nervöser gewesen.“ [20]
Bevor Steve Hackett zu Genesis stieß, sah er sie am 28.12.1970 im Lyceum (mit Mick Barnard, bei einem seiner letzten Shows mit Genesis): „Ich war beeindruckt und mir war klar, dass ich noch viel lernen musste, um mit ihnen mithalten zu können, aber ich wusste auch, dass es Ideen gab, die ich ihnen geben konnte.“ [21]
Die erste Probe mit der Band fand in West Hampstead statt. Hackett wurde klar, dass er nicht nur die Songs lernen musste, sondern auch den Genesis-Jargon. Sie hatten ihre eigene Sprache und teilten Erfahrungen, die ihm fremd vorkamen.
Er sagt über diese Eindrücke: „Sie waren auch etwas zurückhaltend, so dass ich mich oft fragte, was sie dachten. Sie waren jedoch geduldig mit mir, und Richard Macphail, der uns als enger Freund, Roadie und interner Therapeut immer zur Seite stand, war sehr beruhigend. Er sagte, meine Einstellung sei richtig, weil ich mich verbessern wollte. […] Die Musik der Band faszinierte mich. Zu diesem Zeitpunkt war sie sowohl akustisch als auch elektrisch, mit Elementen von Heavy Rock in gelegentlichen Ausbrüchen von Raserei.“ [22]
Das erste Konzert, das Steve mit Genesis spielte, war in der Londoner City Universität am 14. Januar 1971.
Phil Collins erinnert sich an diesen Gig als kleine Katastrophe: „Einer Orgie am nächsten kommt ein Konzert an der City University London, das zufällig auch Steves erster Gig mit Genesis ist.
Unser Auftritt findet später statt als angekündigt, daher schlage ich die Zeit mit ein paar Newcastle Brown Ales tot. Als wir auf die Bühne gehen, bin ich völlig daneben, im wahrsten Sinn des Wortes. Ich spiele die richtigen Sachen, verfehle die Drums aber jeweils um ein paar Zentimeter. Luftgitarre? Ich spiele Luftschlagzeug. Danach jammere ich: ‚Was muss der neue Gitarrist nur von mir denken? Der erste Gig, und der Schlagzeuger ist völlig betrunken.‘ Das war das erste und auch das letzte Mal, dass ich betrunken gespielt habe.“ [23]
Aber auch der neue Gitarrist war mit dem Auftritt nicht zufrieden: „Der Auftritt an der Londoner Universität war eine Feuertaufe. Ich war es zu diesem Zeitpunkt nicht gewohnt, live aufzutreten, das Material war neu für mich, und es gab so viel richtig zu machen. Ich habe einen Rose Morris Shaftesbury Duofuzz benutzt. Ich konnte die Rückkopplung nicht verhindern, was mich aus der Fassung brachte, und ich spielte so viele falsche Noten. Ich wollte von der Bühne krabbeln und sterben. Ich war überzeugt, dass sie mich entlassen würden.
Aber es hat sich niemand beschwert. Die Erkenntnis… Die Außerirdischen hatten Mitleid! Sie sahen, was vor sich ging, und gaben mir eine neue Chance.“
Die nächsten Gigs liefen dann schon besser und Steve erinnert sich daran: „Der Gig in Bangor, Wales, wohin die Beatles gereist waren, um den Maharishi zu sehen, war eine viel einfachere Erfahrung. Es kamen nur sehr wenige Leute, aber jetzt hatte ich einen Marshall Superfuzz, der funktionierte, und ich spielte ausreichend gut, um mich zu rehabilitieren. Ich war froh, dass ich es geschafft und den Test bestanden hatte.
Der Auftritt im Lyceum war erschreckend, da es ein so wichtiger Veranstaltungsort war. Meine Mutter sagte, ich sähe grün aus! Aber ich habe mich gut geschlagen, und die Show war gut besucht. Ich war immer noch so nervös, dass ich vergaß, am Ende von der Bühne zu gehen, und Richard musste mich abführen! ‚Jetzt ist es vorbei, Steve‘, sagte er mit einem sanften Lächeln. Als ich hinter der Bühne war und mich normalisierte, wurde mir klar, dass ich die Prüfung bestanden hatte. Das war es, worauf ich all die Jahre hingearbeitet hatte, und es funktionierte.“ [24]
Damit begann für Genesis eine neue Zeitrechnung, und die klassische Phase mit Tony Banks, Phil Collins, Peter Gabriel, Steve Hackett und Michael Rutherford.
Autor: Peter Schütz
Lektorat: Alex Sturm und Helmut Janisch
Recherchen: Peter Schütz und Alex Sturm
Ein besonderer Dank geht an Mario Giammetti vom Dusk für seine Hilfe