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Fragestunde mit Dale Newman (11.05.2008)
2008 kam Dale Newman zum When In Welkers-Event und spielte nicht nur einen kleinen Live-Set, sondern stellte sich auch den Fragen der Event-Besucher. Das Transkript liegt nun vor und gibt viel Aufschluss über den Mann, der Genesis sehr lange begleitet hat.
Eure Fragen – Dale Newmans Antworten
Wie bei jedem Event, zu dem wir Stargäste einluden, stellte sich am 11. Mai 2008 auch Dale Newman unseren und euren Fragen im Rahmen eines On-stage-Interviews.
it: Einen herzlichen Applaus für Dale Newman, der heute zu uns gekommen ist! [Applaus]
Dale: Danke. Du hättest jetzt auch „der fette, häßliche alte Sack Dale Newman“ sagen können, und ich würde es nicht mitbekommen.
it: Das habe ich. [allgemeines Gelächter. Nach Organisatorischem:] Dann fangen wir mal an. Die peinlichen Fragen kommen am Schluss.
Dale: Das geht in Ordnung. Ich werde das dann bewerten.
it: Viele Leute wissen, dass du irgendwie mit Genesis zu tun hast, aber nur wenige wissen, wo du eigentlich herkommst, aufgewachsen bist und wie du zur Band gestoßen bist. Könntest du uns da bitte skizzieren?
Dale: Geboren wurde ich in Indiana [zeigt auf den Schriftzug auf seinem Hemd] in den USA, in den frühen ’50ern. Ich erinnere mich noch ein wenig an Elvis, als ich klein war. Er war der erste große Star, an den ich mich erinnere. Beeindruckt hat er mich aber nicht. Baseballspieler und Footballspieler haben mehr Eindruck gemacht. In den frühen ’60ern fing ich an mich fürs Gitarrespielen zu interessieren, nachdem ich ein paar Geigenstunden in der Schule bekommen hatte. Eigentlich wollte ich Geiger in einem Orchester werden. Ich hatte auch immer die Vorstellung, mal ein Orchester zu dirigieren. Aber das haben die Beatles schnell geändert, denn ab dem Moment, als ich I Wanna Hold Your Hand zum ersten Mal gehört habe – das war ihr erster Hit in den USA – ab diesem Augenblick war mein Weg klar. Wie bei allen anderen. Es war einfach überwältigend. Ich war schon an einer ganzen Reihe von Musikern interessiert. Roy Orbisons Pretty Woman hatte große Wirkung auf mich. Ich wurde, wie alle anderen auch, Gitarrist in einer Band, als ich so elf war. Ich bekam eine Gitarre. Ich wünschte mir eine Gitarre, meine Mutter kaufte mir eine Gitarre. Ich nahm drei Gitarrenstunden und hörte dann mit dem Unterricht auf – er langweilte mich, es ging zu langsam voran, und ich setzte mich hin und fand mit dem Radio und dem Plattenspieler heraus, wie man die Stücke spielen kann. Spreche ich zu schnell?
it: Nein, aber ich nutze mal die Gelegenheit zum Übersetzen. Also, I was born in…
Dale: Ha, so kann ich das auch! [Gelächter] Die Beatles waren ein entscheidender Augenblick. Wenn man in meinem Alter ist, dann weiß man, wie sehr das gewirkt hat. Aber sie waren ja nicht allein. Es gab eine ganze Reihe von Bands und drei oder vier Soundrichtungen. Ich interessierte mich damals mehr für den britischen Sound. Nicht dass ich nicht auch anderes gehört hätte, aber die Beatles, die Hollies, die Dave Clark Five – die hatten Klassestücke! – all diese Gruppen. Da war ich so vierzehn, fünfzehn, sechzehn Jahre alt. Ich weiß nicht mehr, was es ausgelöst hat, aber ich war in einer Band. Anfangs spielte ich Rhythmusgitarre. Ich war viel schlanker als heute, aber meine Frisur hat sich nicht besonders verändert und das gehörte damals eben dazu. Wenn man Gitarre spielen konnte, dann tat man das eben. Hoffentlich klingt das nicht zu eingebildet, aber ich tat mich damals sehr leicht mit dem Gitarrelernen. Das fiel mir nicht schwer. Es fiel mir auch nicht auf, dass ich darin recht gut war. Ich hörte mich eine Platte an und überlegte mir die Akkorde, aber so war die Musik damals auch. Die E-Gitarre war noch ganz neu und die Akkorde, die die Beatles spielten, waren recht neu. Das waren nicht die Standardakkorde. Heute sind sie es geworden. Also spielte ich ein paar Jahre lang die Stücke von anderen auf Tanzveranstaltungen nach dem Spiel. Es gilt als sehr kultiviert in Amerika, wenn man sich ein Footballmatch im Stadion ansieht und hinterher zum Tanz geht; und ich war dann eben in der Tanzkapelle. Ich habe da ganz ordentlich verdient, aber in so einer Bar-Band wollte ich nie sein. Da muss man die Stücke von anderen spielen, beliebte Stücke, zu denen die Leute tanzen können. Ich möchte nicht sagen, dass das schlecht ist, es ist nur eben nichts für mich. Man kann gut davon leben, aber es interessiert mich nicht. Ich habe mein erstes Stück geschrieben, als ich meine Gitarre erst ein paar Wochen hatte; es war so ziemlich das erste, was ich gemacht habe. Inzwischen habe ich gemerkt, dass ich eins zu eins die Gitarrenlinie von Big Girls Don’t Cry von den Four Seasons abgekupfert hatte. Aber so war das eben. Ich wollte unbedingt meine eigenen Stücke schreiben. Darum ging’s mir.
Dann fing die zweite Phase an. Mit Jimi Hendrix. Als ich zum ersten Mal Purple Haze gehört habe, hatte ich keine Ahnung, was er da machte. Ich weiß heute noch nicht, was zum Geier er da gemacht hat. Zur selben Zeit: Rebellion. Ich war ein Teenager und die Welt war nicht so, wie ich sie haben wollte. In der Schule konnte ich mich nicht mehr einordnen, ich wollte meine Haare wachsen lassen – und in Amerika konnte es passieren, dass man niedergeschossen wurde, wenn man lange Haare hatte. Als dann 1968 kam – für Leute in meinem Alter ist das ein ganz wichtiges Jahr – Jimi Hendrix war da, Jefferson Airplane … Ich habe damals im Plattenladen gelebt. Die Jugend lebt heute vor dem Computer. Da ist sie heute, das ist auch nicht okay so. Ich lebte damals im Plattenladen. Steppenwolf fand ich damals sehr aufregend, vor allem das zweite Album – ich lege das heute noch auf, wenn ich saubermache, diese Plattenseite, die mit Magic Carpet Ride anfing, mit der Gitarre und dem Blues! Weil ich aus der Nähe von Chicago war, kannte ich auch den Blues. Den fand ich auch recht einfach zu spielen. Und wegen der Nähe von Detroit hatte ich auch Verbindungen zum Soul. Und die Beatles waren natürlich die ganze Zeit dabei.
Dann kam aber die Politik ins Spiel, denn es war möglich, dass ich zum Militär eingezogen und nach Vietnam geschickt würde. Ich erzähle davon später noch ein bisschen was, darum halte ich jetzt ein bisschen was zurück. Aber wir waren ja alle in derselben Lage. Es war kein populärer Krieg, den wir da kämpfen sollten, und wir durften noch nicht einmal die Leute wählen, die uns dorthin schickten. Heute weiß ich, warum sie das nicht wollten: Wir waren zu jung und hatten keine Ahnung, aber damals waren wir uns einig und ich war auch sehr aktiv. Das Land, in dem ich aufgewachsen bin, war ein Land gegen den Krieg. Jedes Wochenende gingen wir zu Versammlungen und die Musik war wirklich ein Teil davon, nicht nur etwas am Rande. Es gab Protestsongs; leider habe ich keinen davon geschrieben, aber Joan Baez und Bob Dylan … damals ging es in der Musik auch sehr ernsthaft um Politik, und es war wohl die einzige Zeit in meinem Leben, in dem mich gleichzeitig sowohl die Politik als auch die Musik interessierten. Wenn heute ein Musiker über Politik singt, schweifen meine Gedanken ab, weil mich seine Musik mehr interessiert als seine politischen Ansichten. So bin ich eben; ich habe heute nicht viel über Politik zu sagen. Ich wurde davon so sehr abgestoßen … Ich weiß nicht, ob ihr das verstehen könnt: Ich bin 1968 zum Parteitag der Demokraten in Chicago gefahren; ein Wendepunkt in meinem Leben, denn das war ein Augenblick, als alle jungen Leute in Amerika nach Chicago fuhren und, nun ja, von der Polizei zusammengeschlagen wurden. Damals haben die Erwachsenen in Amerika zum ersten Mal gemerkt, dass diese Jugendlichen tatsächlich eine Botschaft hatten, die man sich mal anhören sollte. Und ich bilde mir gerne ein– um nicht noch weiter auszuholen – ich kam also um Vietnam herum, davon später mehr, aber ich bilde mir gerne ein, dass ein Grund, warum dieser Krieg endete, darin lag, dass Leute wie ich nicht hingegangen sind. Wir weigerten uns, und die Leute hatten ein Problem damit. Für diejenigen, die nicht nach Vietnam gingen, war es auch nicht sehr einfach; sehr schmerzhaft …
it: Jetzt sind wir in den späten ’60ern. Was hast du gemacht, als die Schule vorbei war?
Dale: Oh, ich bin aufs College gegangen … etwa zehn Minuten lang. [Gelächter] Es gab ja Mittel und Wege, nicht nach Vietnam zu müssen; es wurde einem auch nicht besonders schwer gemacht, weil man die intelligenten Leute dort nicht haben wollte. Ein Weg war zu heiraten, also heirateten manche. Eine andere Möglichkeit lag darin, zu studieren; das schien mir der leichtere Weg zu sein. Also schrieb ich mich an der örtlichen Uni ein, aber nach etwa drei Veranstaltungen bin ich nicht mehr hingegangen. Es hat mich gelangweilt. Nach dem ersten Semester habe ich die Uni verlassen, weil ich fand, Vietnam könne nicht schlimmer als das da sein. Dann stand mir aber die Einberufung bevor. Ich musste also zur Musterung und damals verloren sie etwa 350 oder 400 Soldaten pro Woche und Leute wie ich bekamen sechs Wochen Training und wurden dann direkt nach Vietnam geschickt – und ich wusste: Ich geh nicht. Stellte sich also die Frage, was ich machen sollte. Man konnte nach Kanada oder Schweden ziehen; das schien mir aber etwas drastisch. Ein paar Freunde waren Krankenpfleger, also spritzten sich manche Leute Wasser in die Venen, damit sie Drogensucht vorschützen könnten – das schien mir auch recht drastisch. Also machte ich, was mir am schlauesten erschien. Vergeßt nicht, ich war damals achtzehn Jahre alt und in einer Hardrockband. Ich war ein Riesenfan von Led Zeppelin noch bevor sie groß rauskamen, und in ganz Indiana gab es niemanden, der Jimmy Page so toll nachmachen konnte wie ich, jawohl! Außerdem war ich lauter! [Gelächter] Ein paar Wochen vor meiner Musterungsuntersuchung nahm ich diese großen Lautsprecher und spielte sehr laut. Ich nahm unsere beiden Lautsprecher, die wir selbst gebaut und George und Fred genannt hatten, stellte sie auf Ständer links und rechts von meinem Kopf und spielte viele hohe Noten sehr, sehr laut, um meine Ohren kaputtzumachen. Das war schon ganz schön verrückt. Aber das war das Ziel, mein Gehör kaputtzumachen. Superschlaue Idee für einen Musiker. Hat aber funktioniert. Ich ging zur Musterung – um ehrlich zu sein, habe ich auch noch Drogen genommen, um meinen Puls zu erhöhen. Also zur Musterung, die sehr traumatisch war – heute lache ich drüber, aber damals war es wirklich traumatisch – mit sechzig anderen Typen. Ich war auf Speed, Amphetaminen, hatte die Gitarrensache durchgezogen, und mitten in der Musterung kamen sie zu mir, nahmen mich mit und sagten: „Du hast sehr hohen Blutdruck, und wir müssen ihn noch mal messen.“ Ich hatte Angst. Sie brachten mich in ein kleines Zimmer und sagten: „Beruhige dich hier. Setz dich einfach.“ Ich dachte, ich hätte es vergeigt. Die konnten einen drei Tage lang festhalten und die ganze Prozedur wiederholen. Darauf hatte ich keinen Bock. Also legte ich mich auf den Tisch und dachte mir ein bisschen was und wartete, bis sie zum Blutdruckmessen kamen – und er war gestiegen. Dann ging es zum Hörtest und ich hatte immer noch den Tinnitus von der Gitarre. Der Hörtest war mit neun anderen Leuten zusammen. Man setzte sich Kopfhörer auf, ein Ton wurde langsam lauter und leiser, und man sollte den Knopf drücken, wenn man ihn zu hören begann und loslassen, wenn man ihn nicht mehr hörte. Der Ton hatte einen Rhythmus. Ich achtete einfach auf den Rhythmus und drückte einfach einen Schlag später auf den Knopf und ließ ihn einen Schlag früher los. Als ich rauskam, sagte man mir: „Du hast Anzeichen einer ernsten Hörschadens.“ Also musste ich den Test noch einmal machen, allein. Es war aber genau derselbe Test, und ich glaube, mein musikalisches Gefühl half mir, denn der Test wurde mit einem Kurvenschreiber aufgezeichnet und die beiden Linien waren deckungsgleich. Dann führten sie alle in die Turnhalle für das berüchtigte „Hosen runter, vorbeugen“ – und das war äußerst traumatisch. Zum Glück musste ich da nicht durch. Ich musste zu einem Psychologen und dieser Armeeknilch bot mir einen Platz an und sagte: „Also Dale, du magst Rock ’n‘ Roll-Musik, habe ich recht?“ Ich bejahte. „Weißt du, was deine Musik dir heute eingebrockt hat? Wegen deiner Musik darfst du heute nicht zur Armee.“ Innerlich platzte ich bald vor Freude und äußerlich sagte ich [mit trauriger, enttäuschter Stimme]: „Oha. Wirklich? Oje …“ Damit fing dann die nächste Phase an, in der ich an der Politik einfach nicht mehr teilgenommen habe. Alles, was galt, war die Band, in der ich war.
it: Vielleicht lassen wir mal die ersten paar Jahre der ’70er aus und …
Dale: Ja, [lacht] – eine halbe Stunde und ich bin erst zwei Jahre weiter!
it: Wie bist du denn mit Genesis in Kontakt gekommen?
Dale: Wegen dieser ganzen Sachen, die ich eben erzählt habe, hatte ich überhaupt keine Vorstellung von meiner beruflichen Laufbahn. Mir war nur das Stückeschreiben wichtig. Ich hatte ein paar Jobs, so dass ich gerade genug Geld für die Miete hatte. Ein bisschen was habe ich auch verdient, indem ich Gitarre gespielt habe, aber in der Mitte der ’70er hörte das alles auf wegen der Energiekrise und die Auftritte hörten auf und nicht jede Band konnte von der Musik leben. Also lieferte ich Blumen aus. Das war meine berufliche Laufbahn. Ich fuhr durch die ganze Stadt, und wollte nur nach Hause und den ganzen Abend lang Musik schreiben. Darauf habe ich meine ganze Energie verwendet. Die Zeit verging. Mein großer Bruder starb, und ich ging in eine Art Einsiedelei. Ich versuchte mit dem fertigzuwerden, was mit mir passierte. Vielen Leuten ging es ähnlich. Und wie ein Blitz aus heiterem Himmel – wortwörtlich aus dem Nichts… Einige meiner Freunde waren aus Indiana fortgezogen. Indiana ist in der Pampa. Wo ist man in Deutschland in der Pampa?
it: Fulda.
Dale: Passt! [Gelächter] Ich komme aus Fulda! Viele meiner Freunde waren nach Kalifornien oder Texas gezogen, weil es dort Arbeit gab, weil es nicht Fulda war. Manche waren bei der Musik geblieben und arbeiteten für Showco, eine große Produktionsfirma. Ich wusste nichts davon, denn ich hatte den Kontakt verloren. Einer blieb dabei und mischte 1973/74 für Genesis den Sound: Craig Scherz. 1974 waren sie dann mit The Lamb Lies Down On Broadway auf Tournee und Steve Hackett verletzte sich an der Hand. Eigentlich war nur eine kurze Weihnachtspause vorgesehen; die wurde verlängert, damit Steves Hand heilen konnte. Sie kamen aus irgendwelchen Gründen auch nicht mit dem Gitarrenroadie zurecht, den sie hatten, oder er konnte die Tour nicht zu Ende bringen. Sie hatten jedenfalls noch zwei Konzertwochen in den USA nach Weihnachten vor sich und dann kam noch eine lange Europatournee. Also hatten sie eine Idee, um Geld zu sparen: Wir nehmen für die zwei Wochen einen Amerikaner und dann holen wir uns einen Europäer. Dann riefen sie bei Showco an: „Kennt ihr jemanden, der für uns zwei Wochen den Gitarrenroadie macht?“ Craig dachte an mich, denn bei mir war ja nichts los und ich hatte Zeit. Die anderen machten Karriere. Also klingelte das Telefon bei mir: Ob ich mich zwei Wochen lang auf der Genesis-Tour um die Gitarren kümmern würde, für 200 Dollar pro Woche? Genesis waren eine meine Lieblingsbands. Ich war ein großer Fan progressiver Rockmusik, Emerson, Lake & Palmer, aber eher noch King Crimson, Genesis und Yes. Da ging ich richtig drauf ab. Genesis riefen mich an, meine Lieblingsband! 200 Dollar pro Woche! Das war richtig viel Geld. Also besorgte ich mir für alle Fälle einen Reisepass in der Hoffnung, dass sich vielleicht etwas ergeben würde. Meine einzige Qualifikation bestand darin, dass ich 12-saitige Gitarre spielte. Ich spielte 12-saitige akustische Gitarre und war ein Fan von James Taylor, Crosby, Stills & Nash. Also konnte ich eine 12-saitige Gitarre auch stimmen. Das ist schon nicht so ganz ohne. Elektronische Stimmgeräte gab es damals noch nicht. Für Genesis war das eine recht wichtige Fähigkeit. Ich konnte eine 12-saitige Gitarre nach Gehör stimmen, während auf der Bühne gerade alles mögliche andere passierte. Deshalb klang The Musical Box gelegentlich auch mal richtig.
Ich kam mit Mike und Steve und dem Rest der Band gut klar, und daher baten sie mich, auch auf die Europatournee mitzukommen. Das tat ich, und es war ja eine ziemliche lange Tour. Und hinterher gab es eine ziemlich lange Pause und dann machten sie A Trick Of The Tail und Mike fragte, ob ich das mitmachen wollte. Ich sagte ja. Nach A Trick Of The Tail war ich schon drei Jahre bei der Band – ich war damals 28, das ist in dem Alter eine ganz schön lange Zeit. Wahrscheinlich galt meine Loyalität ihnen etwas. Ich war sehr sehr loyal zur Band. Ich fand, dass die Musik wichtig war. Ich habe nicht für sie gearbeitet, weil sie mich so toll bezahlt hätten. So viel haben sie nicht gezahlt, aber es war in Ordnung. Ich arbeitete für sie, weil ich das wollte. Ich hätte auch umsonst für sie gearbeitet. Das habe ich ihnen nie gesagt. Es war mir einfach wichtig.
Nach der Lamb-Tour sagten alle, die Presse, einfach alle, das Genesis jetzt am Ende seien. Mir war nicht klar, warum das so sein sollte, wo da doch noch viel mehr abging. Und ich war ja auch ein großer Fan von Peter Gabriel. Dann kam A Trick Of The Tail und ihre Erfolgsgeschichte ging einfach so weiter.
Etwa um die Zeit, als wir in Brasilien tourten – oder vor Abacab? – um diese Zeit jedenfalls beschlossen sie, ein paar Leute fest anzustellen, und Mike – irgendwie hat es sich in meinem Leben immer so ergeben, es gibt keinen großen Plan, man kümmert sich um die Kleinigkeiten, die großen Sachen regeln sich von selbst – also, Mike sagte also irgendwann auf der Tour zu mir: „Wir wollen eventuell ein paar Leute fest anstellen.“ Auf den Tourneen verdiente ich genug, um nichts tun zu können, wenn ich nicht auf Tour war. Ich hatte keine Karriere geplant. Andere Jungs aus der Truppe zogen los und begleiteten andere Tourneen. Das wollte ich nicht. Ich hätte ja für Showco arbeiten und mit, was weiß ich, den Beach Boys auf Tour gehen können. Das reizte mich aber nicht. Ich wollte kein Roadie werden. Durch Zufall war ich einer geworden. Mike kam also zu mir und sagte: „Wir wollen eventuell ein paar Leute fest anstellen, und ich möchte, dass du einer davon bist. Das würde aber bedeuten, dass du nach England ziehen musst.“ Ich sagte: „Einverstanden.“ Ich bin nicht nach England gezogen, sondern nur einfach nicht heimgefahren. Ich lebte aus dem Koffer. Daran war ich gewöhnt. Bald darauf kam The Farm. Das war 1979, als sie beschlossen, ihr nächstes Album wie The Lamb aufzunehmen, also indem sie nach Wales fuhren und sich die Ausrüstung liehen. Sie nahmen es nicht im Studio auf, sondern im Haus. Ich fand das großartig. Mir ging es nicht um die Auftritte, nicht um die Konzerte. Die Konzerte waren Beiwerk. Ich wollte dahin, wo die Sachen geschrieben wurden. Das Studio hat mich schon immer mehr interessiert. Den anderen Roadies war das Studio wurst, es langweilte sie. Ich wollte aber dahin, wo die Musik geschrieben wurde, statt nur dort zu sein, wo sie gespielt wurde. Das eine hatte ich machen müssen, aber ich wollte auch zum anderen kommen. Ich hatte immer schon mein eigenes Aufnahmezentrum, eine Viertelzoll-Vierspuranlage, die erste Vier-Spur-Kassette; einfach damit ich weiter meine Musik schreiben konnte. Ich dachte: Wenn ich bei diesen Jungs bleibe, verbieten sie mir nicht, Musik zu schreiben. Und als sie diesen Entschluss fassten [ein eigenes Studio einzurichten], lautete der Auftrag: „Wir kaufen eine Scheune, hängen ein paar Decken auf und nehmen das nächste Album auf. Aber wir müssen erst mal die Scheune finden. Kannst du dich darum kümmern?“ Ich hatte Mike nämlich erzählt, dass es mir zwar Spaß machte, mich um seine Gitarren zu kümmern, aber dass ich auch noch mehr könnte. Sie brauchten also jemanden, der sich nach einem geeigneten Ort umsieht, und das war ich. Also schickten sie mich auf die Suche.
it: Wo fand das letzte Konzert der Lamb-Tour statt?
Dale: Spontan würde ich sagen: Besancon. Ich habe damals nicht so oft auf den Reiseplan geschaut, weil es nicht nötig war. Wir waren im Bus, in einem Hotel, bei einem Konzert. Das verschwamm alles ein wenig. Ich weiß nicht, welche Konzerttermine getauscht wurden, aber ich weiß, dass welche getauscht wurden – jemand sagte: „Wir fahren morgen nicht nach Barcelona, sondern dorthin“ – aber das war auch egal. Am jeweiligen Veranstaltungsort kam es nur auf die Show an. Vorhin hat mir hier jemand etwas gegeben [ein Exemplar des Programms vom it-Lamb-Event, auf dem alle damals bekannten Lamb-Konzerte aufgeführt waren] … wenn man in den ’70ern auf Tournee war und sich klar daran erinnern kann, dann war man nicht dabei. Wie in den ’60ern. Meine erste Antwort wäre also Besancon. Ich weiß, dass das letzte Konzert abgesagt wurde, weil ich nicht mitbekommen hatte, das dies dann das letzte war. Ich ging zur Band, um die Gitarren zu holen, und die Jungs waren sehr locker und ich hörte nur „Das ist das letzte Konzert“ und ich dachte nur „Oh.“ Heute ist das in der Branche eine ziemlich berühmte Tournee. Damals war es aber keine beliebte Tour für Roadies. Viele Leute sind gegangen, weil es sehr kompliziert war. Ich fand es nicht schwierig, weil ich zum ersten Mal in Europa war. Aber dann hat es mich auch noch eingeholt. Unsere Crew bestand ja nur aus zehn oder zwölf Leuten. Man wird da sehr isoliert. Um deine Frage zu beantworten – ich schaue mal hier in die Liste. Ich erinnere mich an San Sebastian. An Paris auch. Aber nicht in dieser Reihenfolge. An Cambrais erinnere ich mich, Colmar, dachte ich, sei viel früher gewesen, aber an das Konzert erinnere ich mich nicht. Poitiers könnte stattgefunden haben. St Etienne – daran erinnere ich mich, aber ich glaube, es war in der Nähe von Annecy, darum habe ich es nicht als eines der letzten Konzerte in Erinnerung. Besancon steht hier nicht mal drauf. Und ich weiß, das Besancon eher am Ende war.
it: [fährt fort und beschreibt kurz, anhand welche Indizien und Mittel Konzerttermine bestimmt werden können]
Dale: Kritiken dürften der beste Ansatzpunkt sein. Was meinst du, wo das letzte Konzert stattgefunden haben könnte? – Ich bin beinahe sicher, dass es nicht St Etienne und nicht Colmar war. An Colmar erinnere ich mich. Ich habe dort in zehn Minuten ein Stück geschrieben. An einem warmen, sonnigen Tag. Colmar steht in der Liste für Februar. Ich bin in einem Landgasthof in Colmar aufgewacht und hatte ein paar Stunden frei, bevor ich zum Konzert musste, und schrieb ein Lied. Es hieß übrigens Breakfast in Colmar. Wenn ich mir Colmar so besehe, müsste es ein spätes Konzert sein, denn das hieße Mai, und es war ja ein warmer sonniger Morgen. Ich entscheide mich für Besancon. – Es gibt einen Ort, an dem ich das eventuell herausfinden könnte. Wir haben ja Soundboard-Aufnahmen auf Kassette. Die könnte ich mir anschauen.
it: Wir wissen kaum etwas über Mikes musikalische Einflüsse. Kannst du uns da ein wenig weiterhelfen, weil du ja vor allem mit ihm arbeitest?
Dale: Ich kann euch da keine großen Details geben, denn als ich ihn kennenlernte, war es 1974 und wir schauten nicht zurück. Wir schauten nach vorne: Was machen wir heute, was machen wir morgen? Mike ist wahrscheinlich der eklektischste, der sich am meisten verschiedene Dinge anhört. Ich möchte nur ungern für ihn sprechen, denn ich kenne ihn sehr gut, er ist einer meiner engsten Freunde. Er hört sich auch heute eine Menge an – er weiß, was los ist – ich sollte meinen, dass wir viele gemeinsame musikalische Einflüsse hatten. Aber Genesis waren damals ganz anders. Sie waren wie niemand sonst damals. Sie hatten etwas, das niemand anders hatte, wortwörtlich niemand anderes, und das war ihre Dynamik. Im einen Augenblick spielten sie diese fast singenden Akkorde auf der 12-saitigen Gitarre und im nächsten: PENG! vorwärtstreibende Musik und wieder zurück. Das passierte nicht immer. Ich glaube, sie haben das gewissermaßen erfunden. Als ich ihn vor ein paar Jahren mal fragte – als ich Klingeltöne für meine Mobiltelefon aufnahm – ich hasse Klingeltöne, ich kann sie echt nicht leiden. Also, ich nahm ein paar MP3s von den Gitarrenpartien in meinen Stücken auf und überspielte sie auf mein Telefon. Das mögen nicht alle, aber ich mag Klingeltöne grundsätzlich nicht, also höre ich, wenn schon, dann lieber meine eigenen als die von jemand anders. Mike wunderte sich ein wenig, was ich da mache, und ich sagte: „Wenn du willst, packe ich auch ein paar auf deines. Was möchtest du haben?“ Er wünschte sich Bill Withers‘ A Lovely Day. Vielleicht ist das ein Hinweis.
it: Mike interessiert sich ja bekanntlich sehr für neue Technologien. Kann es sein, dass er vielleicht mehr von Technologien als von Musik beeinflusst wird?
Dale: Nun, sie interessieren sich alle für neue Sachen. Sie haben sich niemals nicht dafür interessiert. Heute ist es eben neue Technik, mit der man die alten Sachen macht. Sie konnten es damals nicht abwarten, die erste Drum-Machine in ihre Finger zu bekommen. Mike sah die erste Drummachine in Japan. Wir waren in der Fabrik von Roland, und er ging nicht eher als bis der Typ ihm eine gab. Eigentlich wollte der das nicht, weil das Gerät noch nicht völlig ausgereift war. Aber Mike wollte nicht ohne gehen und dann benutzte die Band es um Duchess zu schreiben. Das war schon immer so – bei allen Musikern. Tschaikowski bekam die Celesta als erster, und so schrieb er Teile der Nussknacker-Suite [besonders den Tanz der Zuckerfee; Anm. d. Übers.] mit diesem allerneuesten Instrument. So waren sie immer und werden sie immer sein.
Zu Mike gibt es noch eine lustige Geschichte. Als ich anfinge, für ihn zu arbeiten … Mike spricht ja, wie sie alle, sehr sauberes Englisch und für mich klang es nur wie „duluru-pam“ [ahmt ein melodisches, sehr sauber akzentuiertes Plätschern nach; Anm. d. Übers.]. Und lange Zeit lächelte ich ihn nur an und sagte „Yeah“, weil ich keine Ahnung hatte, was er da grade sagte. Auf der Bühne ist die wichtigste Beziehung zwischen dem Musiker und seinem Roadie der Augenkontakt – zu wissen, wann etwas nicht stimmt, und es zu ertragen, wenn man dafür die Schuld bekommt. Mitten in der Lamb-Tour – da waren wir noch in Amerika, also kannte ich ihn noch nicht lange – rief er mich. Ich steckte meinen Kopf aus all diesen Vorhängen heraus und er sagte „kou-dyou-wo-lie-pum-pa?“ „Klar!“ Ein paar Stücke gingen vorbei, ich hatte keine Ahnung, was er wollte: „Gimme a-lie-pum-pa!“ Und ich verstand: „Give me an electric paste – Gib mir elektrischen Leim!“ Ja, genau so blöd hab ich auch dreingeschaut. Also ging ich los und überlegte „electric paste … elektrisches Irgendwas… was kann das nur sein?“ Das passierte so vier- oder fünfmal und ich schaute ihn immer nur an und lächelte. Schließlich ging ich zu der Garderobenfrau, die sich um Peters Kostüme kümmerte. Sie kam aus England und ich fragte sie: „Sag mal, kennst du elektrischen Leim – electric paste?“ Sie antwortete: „Meinst du vielleicht ‚elastoplast’?“ „Ja, das könnte es sein. Was ist ein elastoplast?“ In Amerika sagt man band-aid dazu, im Deutschen ist es ein Pflaster. Mike hatte sich den Finger an der Saite verletzt und blutete. Und ich rannte herum und suchte „elektrischen Leim“! Schließlich brachte ich ihm eines, und nach der Show ging ich zu ihm und sagte: „Wenn du mich nach einem band-aid gefragt hättest, hättest du sofort eins bekommen.“
it: Wie hast du Anthony Phillips kennengelernt?
Dale: Das kam eigentlich durch die Beziehungen, die er zu Genesis hatte. Sie baten mich ein paar Dinge für ihn zu erledigen, weil ich damals in London lebte. Ein paar Jahre habe ich als Roadie in London gewohnt, aber Genesis waren beschäftigt, also habe ich nicht für andere Leute gearbeitet. Die ersten paar Male bin ich ihm begegnet, wenn ich Equipment von ihm abholte oder ihm etwas borgte. So habe ich ihn kennengelernt und wir kommen gut miteinander klar. Sein Humor ist ein bisschen seltsam, aber damit kam ich schon zurecht, und sein erstes Album, The Geese & The Ghost, gefiel mir richtig gut. Ich weiß nicht, ob ihr ihn schon mal getroffen habt. Er ist ein sehr netter, liebenswürdiger Mensch. Wir haben uns so richtig kennengelernt, als an Mikes Album Smallcreep’s Day mitarbeitete. Zu dem Zeitpunkt kannten wir einander gesellschaftlich. Er hatte ein Cricket-Team und hatte mich als die „Besonderheit“ eingeladen, weil ich Amerikaner war.
F: Weißt du, ob die Lamb-Konzerte jemals gefilmt worden sind?
Dale: Soweit ich weiß, wurde niemals irgendwas von The Lamb gefilmt. Mir ist nichts davon bekannt, dass jemand The Lamb gefilmt hätte. Unseren Manager reut es heute ungemein, dass das Konzert niemals gefilmt wurde. Wie ich höre, haben The Musical Box denselben Fehler gemacht [kichert].
F: Du hast da eben die Soundboardaufnahmen erwähnt. Wie viele davon gibt es denn und was wird mit ihnen passieren? In den letzten sechs oder sieben Jahren wurde immer wieder mal berichtet, dass sie veröffentlicht werden könnten. Einige sind in Fankreisen aufgetaucht, andere nicht. Wie sieht’s damit aus?
Dale: Im Moment sind sie eingelagert. Ich habe den Auftrag bekommen, sie zusammenzustellen und zu organisieren. Wenn man Phil Collins 1978 gesagt hätte: „Hier ist die Aufnahme von heute abend, und wenn du mir die Kassette zurückgibst, werde ich sie irgendwann veröffentlichen und die Fans werden sie hören“, hätte er das Band sofort verbrannt, denn es war nur zur Kontrolle. Direkt vom Mischpult aus aufgenommen. Besonders Phil hat sich die Bänder angehört, und zwar jeden Abend. Er kam immer vorbei und hatte einen Kommentar übrig. Ich hatte damals nichts damit zu tun; der Mann am Mischpult nahm es auf, gab es dann gewöhnlich Phil, irgendjemand hörte es sich an, gewöhnlich Phil, gab es anderntags zurück und dann landete es in einer Kiste. Am Ende der Tour wurde die Kiste mit der anderen Ausrüstung eingepackt. Als diese Sache vor sechs oder sieben Jahren anfing, sollte ich sie ordnen. Ich habe sie nie wirklich gezählt. Ich schätze, es sind so drei- oder vierhundert. Kann aber auch nicht stimmen. Aber sie wurde wirklich nur in eine Kiste geschmissen. Die Tourneen in den ’90ern waren besser organisiert; sie wurden auf DAT-Bändern statt auf Kassetten aufgenommen. Ich fand sie also und fing an, sie zu datieren. Die frühesten stammen von 1971. Damals waren es ganz wenige. Richtig fing es 1971/72 oder 1972/73 an. Ich wusste nicht genau, wie ich sie auflisten sollte, denn ich wusste ja nicht, wie viele noch auftauchen würden. Mike hat wahrscheinlich noch ein paar auf dem Dachboden. Tony hat bestimmt auch noch ein paar irgendwo in einem Koffer. Ich sprach darüber mit Geoff Callingham und wir kamen zu dem Schluss, dass es das Beste wäre, eine genaue Liste der Konzerte zu machen und dann die Bänder den Konzertdaten zuzuordnen. Dann könnten wir das Datum des Konzertes und den Ort als Seriennummer benutzen. Das war meine glorreiche Idee. Man sagte mir dann, dass die Liste von Alan Hewitt die verlässlichste Aufstellung der Konzerte sei. Er war begeistert davon, dass ich sie benutzen wollte, und er schickte sie mir per E-Mail. Aber es war ein Word-Dokument mit Tabstopps. [gepeinigtes Aufstöhnen im Publikum] Ja, ich war auch nicht so begeistert, also legte ich eine Excel-Tabelle and und benutzte eine Zeile pro Konzert und schrieb alle Daten, die ich zusätzlich hatte, hinzu. Nebenbei: Einmal war die Band da und wurde für das Buch interviewt, und ich arbeitete gerade an 1972 … Ich hatte den Leuten, die das Buch zusammenstellten, gesagt: Alle, die uns gefilmt haben, alle, die über uns geschrieben haben, haben es nicht erfasst. Wenn sie da waren, klappte es nicht. Wenn eine Kamera läuft, ändert sich alles. Ich will nicht sagen, dass man anfängt zu schauspielern, aber man ist eben nicht locker. Ich sagte: Wenn ihr wirklich etwas bekommen wollte, setzt Geoff Banks, Steve Jones, mich, ein paar andere Leute, Mike und Tony an einen Tisch, bringt uns ein paar Flaschen Wein und schaltet das Band ein. Stellt keine Fragen, es wird alles herauskommen. Das haben sie nicht gemacht und sie haben ihre Gründe dafür. Jedenfalls waren Mike und Tony da und ich machte da meine Arbeit, und drehte mich um und sagte: „Ich weiß, warum ihr heute da seid, wo ihr seid.“ Sie lächelten, weil es ja schon eine freche Bemerkung war: „Was meinst du?“ „Ich weiß, warum ihr so gut seid bei dem, was ihr tut.“ „Was meinst du?“ „Ich sehe es genau hier!“ Ich glaube, es war [die Liste für] 1972, eine wahnsinnige Menge von Auftritten – 140? 180? Weiß nicht genau – fast jeden Tag. Und wenn sie nicht spielten, dann probten sie irgendwo. Das macht heute niemand mehr. Genesis tun das heute auch nicht mehr. Sie proben zwei Monate lang und spielen vierzig Konzerte. Sie wollten sich das nicht schwer machen, sie waren einfach mit so viel Herzblut dabei. Wie wir alle. Allein die Konzertorte weckten lauter kleine Erinnerungen in Mike und Tony: Daran erinnere ich mich, und an diese Sache, die backstage passierte und jenes Konzert – in fünf Minuten habe ich mehr gehört als ich in dem ganzen Buch gelesen habe, weil sie einfach entspannt waren, zusammen und kein Mikrofon lief …
it:Und was wird mit den Aufnahmen passieren?
Dale: Niemand hat mir gesagt, dass es einen Plan gibt. Wir haben das Projekt begonnen. Die Hauptidee war, die Dinger zu digitalisieren und verfügbar zu machen. Mit der geschäftlichen Seite habe ich nichts zu tun. Ich arbeite für die Band, nicht für das Management. Es war ein Projekt, um uns während einer Phase geringer Aktivität beschäftigt zu halten. Manche Kassetten waren teuflich schlecht, nur kreischende Geräusche. Dann beschlossen sie wieder auf Tour zu gehen, und das hatte dann natürlich Vorrang. Seitdem ist das Thema ein paar Mal hochgekommen, aber es ist so viel Arbeit, drei- oder vierhundert Kassetten in den Computer einzugeben, dass wir noch nicht fertig sind. Ich glaube nicht, dass irgendjemand aktiv darüber nachgedacht hat, ob man das nun tut oder nicht. Im Moment tut sich da nicht viel.
it: Diese alten Bänder zu digitalisieren ist ja recht schwierig, hab ich mir sagen lassen. Sind die Bänder schon übertragen worden? In welchem Zustand sind sie?
Dale: Übertragen worden sind sie noch nicht. Ich würde sagen… Ich bin kein Techniker, ich sollte einer sein, bin’s aber nicht. Die frühen Aufnahmen sind auf Kassette. Da gibt es nicht viel zu restaurieren. Die alten Zwei-Zoll-Master bereiten wir auf, indem wir sie „backen“. Das machen wir sehr vorsichtig, um die Aufnahmen zu erhalten. Also haben wir originale Masterbänder, Kopien der Originale, digitale Kopien der originalen Master und jetzt auch Festplatten mit den originalen Mastern. Es hält ja nichts für immer. Ich weiß nicht, was damit passieren wird. Sie sind in einer Kiste und werden gehütet wie die Kronjuwelen.
it: Eine Reihe von Liveaufnahmen verschiedener Shows ist vor kurzem in Traderkreisen aufgetaucht, die angeblich von Aufnahmen stammen, die in der Farm archiviert sind. Weißt du etwas darüber oder wie sie dort weggekommen sind? Wurden sie gestohlen?
Dale: Davon weiß ich nichts, aber die Aufnahmen stammen nicht von uns. Wie schon gesagt, die Aufnahmen kamen von allen Seiten. Manche sind damals auch herumgereicht worden. Ich hatte nicht alle Aufnahmen. Vielleicht „Hey, hör dir das mal an, das war ein gutes Konzert letzte Woche“ hat das jemand jemandem von der Plattenfirma gegeben. Damit kann alles mögliche passieren. Von uns stammen die Bänder nicht. Das weiß ich sicher.
it: Wie ist Paul Russell an die Bänder gekommen, über die er schreibt?
Dale: Paul Russell kam vorbei und hörte sich einige Aufnahmen an. Wir ließen ihn auf die Farm kommen und spielten sie ihm auf der Farm vor und packten sie dann wieder weg.
F:Weißt du, warum die When In Rome DVD nicht auf BluRay veröffentlicht wird?
Dale: Keine Ahnung. Auf der Ebene mische ich nicht mit. Darum ist meine Antwort: Nein.
F: Hast du Paul Russells Buch gelesen?
Dale: Ich habe es mir nicht einmal angeschaut. Vielleicht hasst ihr mich dafür, aber mich interessiert es nicht besonders, was irgendjemand über Genesis schreibt. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht einmal, warum er zur Farm kommen durfte. Viele Leute schreiben Bücher. Hit & Run bat mich, ihn hereinzulassen und ihn ein paar Aufnahmen hören zu lassen. Hätte er Bänder stehlen können? Ja. Glaube ich, dass er das getan hat? Nein. Wenn man älter wird, vertraut man den Leuten nicht mehr so sehr, und wir waren schon immer ein sehr enger Kreis. Die Genesis-Familie besteht aus Leuten, denen man vertrauen kann. Ich habe mir nie Sorgen darum machen müssen, ob das Studio abgeschlossen ist oder mein Auto oder ob Schecks herumliegen, weil wir alle zusammen leben und arbeiten. Alles ist möglich. Aber ich war da, als er da war. Habe ich ihn durchsucht, als er ging? Nein.
it: Glaubst du, dass die Bänder dazu beitragen können, eine definitive Liste von allen Konzertorten und -daten zu erstellen?
Dale: Ich denke schon. Aber das Datum auf den Bändern stimmt nicht immer. Wir waren ja unterwegs. Ich sage nicht, dass sie völlig falsch sind, aber ich weiß, dass das Datum auf ein oder zwei Bändern nicht richtig ist. Der Typ – Craig Scherz – hat einfach das falsche Datum notiert. Nur ein paar Mal. In dieser Hinsicht ist die Information daraus wahrscheinlich verlässlicher, weil er die Liste sehen konnte. Ich glaube, am verlässlichsten ist die Liste, die ich erstelle. Aber sie ist noch nicht fertig.
it: Mitte der ’80er hast du aufgehört als Roadie zu arbeiten, was du ja ohnehin noch nie wolltest. Dann hast du aber den Live Earth-Gig gemacht. Magst du uns darüber etwas erzählen?
Dale: Ich war damals aus privaten Gründen ganz froh, mit den Touren aufzuhören. Es war ja nie etwas, das ich wirklich machen wollte. Solange ich dabei war, machte es ja auch Spaß. Manchmal. Aber es war eine Erleichterung aufzuhören. Rock ’n‘ Roll gefiel mir, solange er auf den kleineren Bühnen blieb. Als alles noch kleiner war. Wahrscheinlich werde ich alt. Ich mag keine Stadionkonzerte, egal wer auf der Bühne steht. Als die Band dann verkündete, dass sie … wonach hattest du noch gefragt?
F: Nach Live Earth.
Dale: Komme gleich dazu. Als sie die neue Tournee ankündigten, ließ es mich als einzigen in der ganzen Organisation eher kalt. Sie organisierten die ganze Sache. Ich fragte, ob sie mich eingeplant hätten, weil Mike und ich an seiner Ausrüstung arbeiteten und uns das ziemlich viel Spaß machte. Die letzten paar Jahre auf Tour machten nicht besonders viel Spaß, aber das war allein meine Schuld. Ich geriet in den Roadie-Lifestyle. Ich tat Sachen, die ich besser nicht getan hätte und die sehr schlecht für mich waren. Das machte keinen Spaß. Das hörte auch nicht auf, weil ich aufhörte mit dem Touren, sondern aus anderen Gründen. Als sie die Tour ankündigten, war niemand dabei. Mike wollte das Rig einfach lassen. Seine Pedale und die anderen Sachen waren schon immer die kompliziertesten Gitarrenrigs, die man jemals sieht, weil Mike so viele Sachen in einem Stück macht. Wir hatten ganze Rigs nur für einen Song. Wie hieß der noch gleich? Ich erinnere mich nur an die Arbeitstitel von Stücken. Das war ein Stück mit dem Arbeitstitel Pastoral sex (etwa „Schäferstündchen“; Anm. d. Übers.). Im Studio wurde die Basslinie auf einem Gitarrensynth eingespielt. Die waren ganz neu. Live musste ich also einen Gitarrensynth und einen Verstärker allein dafür mit mir herumschleppen, und die Gitarren – einen Haufen Ausrüstung. Auf der neuen Tour wollte er alles ganz einfach lassen. Die Bassverkabelung war ganz einfach, nur ein Bassverstärker, sehr schlicht, aber wir verbrachten mehrere Wochen damit, Verstärker zu testen, sie im Studio anzuschließen und genau zu testen, um zu sehen, welche besser waren. Das machte richtig Spaß. Und ich dachte: „Und jetzt muß ich die Tour machen …“ Eine Stimme in mir sagte: „Das Geld kannst du gut gebrauchen. Das brauchst du dringend.“ Und eine andere Stimme sagte: „Aber brauchst du das Geld so dringend?“ Andererseits waren es nur vier Monate und ich sagte mir: „Vier Monate lang kannst du alles machen.“ Dann kam Mike und sprach mit mir darüber. Es war ein gutes Gespräch; wir sind sehr ehrlich zueinander, und ich sagte ihm: „Ich weiß, dass ich das schaffe. Ich kann der beste Gitarrenroadie der Welt sein, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das will.“ Er nickte. Es ist besser für ihn, wenn er den besten Gitarrenroadie der Welt hat und so holten sie sich jemanden, der das machte. Alles wirbelte um mich herum und ich war in der Mitte dieses Hurricanes – denn so was gewinnt eine eigene Dynamik. Die Roadies rannten herum und stellten die Ausrüstung zusammen, und alles wirbelt um mich herum und ich bin in der Mitte, sehr friedlich. Sie waren im Begriff, nach Brüssel, nein, in die Schweiz für die Proben zu fahren. Da kam einer und sagte, dass sie dieses Live Earth-Ding, das mit Al Gore zu tun hat, machen würden. Klang nach einer großen Neuigkeit. Und Mike sagte: „Al Gore. Hmph.“ Ich sagte: „Ja, entweder wird er der nächste Präsident oder ein totaler Vollidiot. Eines von beidem.“ Mike sagte: „Naja, jedenfalls spielen wir da auch, und es ist zwischen dem Gig hier und dem in Manchester. Und wir haben nicht die Zeit, alle dafür ranzuholen. Ich möchte, dass du die Gitarren betreust.“ Und mir sank das Herz in die Hose.
Das Problem daran ist: Solange es nicht unmittelbar bevorsteht, interessiert es niemanden im Tourtross. Man interessiert sich immer nur für die nächste Show und die Show danach. So muß man das sehen. Und wir konnten natürlich nicht die ganze Tourausrüstung umleiten. Wir konnten die Keyboards nicht holen, weil sie in Manchester aufgebaut werden mussten. Wir konnten Mikes Gitarrenausrüstung nicht holen, also mieteten wir was, liehen uns ein Schlagzeug … aber sie brauchten ihre eigenen Gitarren. Man kann nicht auf einer fremden Gitarre spielen. Also sah es so aus: Ein paar Roadies kamen vorbei. Ich kam mit einiger Ausrüstung von der Farm, weitere Ausrüstung kam von der Tour und wieder anderes von der Leihfirma. Zum Glück traten wir als erste auf, darum probten wir am Vorabend. Damit mussten wir uns also nicht herumschlagen. Sobald wir aufgebaut hatten, konnten wir es stehen lassen. Das ist mein Alptraum: Ich habe noch nie einen Bühnenumbau mitgemacht. Genesis hatten nie eine Vorgruppe. Nur uns selbst. In dieser Hinsicht war ich verwöhnt. Also machten wir am Abend vorher einen Soundcheck, hatten die üblichen Probleme, bekamen aber alles hin – und ließen es bis zum nächsten Tag liegen. Für eine Viertelstunde war das fantastisch. Sie spielten gut, alles funktionierte – das ist schon ein Kick. Wenn alles klappt, dann ist es ein guter Auftritt. Sie waren zufrieden. Was die Leute nicht sehen, ist die halbe Stunde hinterher – die schlimmsten dreißig Minuten meines Lebens, denn ich hatte nur diese kurze Spanne, um sicherzustellen, dass die Sachen, die zur Farm zurück mussten, in meinem Lieferwagen landeten, vor allem aber, dass die Gitarren und jedes Fitzelchen von der Tour auch dorthin zurück kamen. Wenn die Sachen nicht nach Manchester zurückkamen, dann hatte ich ein Problem – dann hatten alle ein Problem. Außerdem musste ja noch das gemietete Zeug zu der Firma zurückgebracht werden. Aber es hat geklappt.
it: Wir haben noch kaum über deine eigene Musik gesprochen. Du hast ja einige Soloalben veröffentlicht. Willst du eine komplette Band aufbauen oder ist es eher ein Seitenprojekt für dich?
Dale: Ich plane das nicht, dass ich Musik schreibe. Ich bin auch deswegen nicht Profimusiker geworden. Ich schreibe einfach gerne Stücke. Mit der Zeit musste ich mich da entscheiden – da war ich so Mitte Zwanzig. Wenn ich Profimusiker werden wollten, wenn ich mit Musik Geld verdienen wollten, dann musste ich in Clubs spielen. Mit sehr viel Glück würde ich in einer Band landen und groß herauskommen. Davon träumen alle. Ich war da pragmatischer. Mir schien es sehr wahrscheinlich, dass ich in Club sitzen und die Musik von anderen spielen würde. Das reizt mich aber nicht. Also habe ich diese Seite völlig außer Acht gelassen und einfach immer weiter Stücke geschrieben. Ich schreibe sie auch nicht aus dem Blickwinkel, aus dem das eine professionelle Band macht. Sie planen dafür Zeit ein, setzen sich zusammen und schreiben ihr Album. Das kann ich nicht. Ich kann nur schreiben, wenn ich inspiriert bin. Das kann in jedem Moment passieren und ich finde es toll. Es passiert nur nicht so oft. Die Leute glauben, dass ich einigermaßen produktiv bin. Ich schreibe neun, zehn oder zwölf Stücke im Jahr. Das sind dann neun, zehn oder zwölf Ideen. Ich hatte das große Glück, durch Genesis Kontakt zu der Band The Musical Box zu bekommen. Ich weiß nicht, ob das irgendjemand weiß – 1978 habe ich als Vorgruppe für Genesis in den USA gespielt. Nur wenige Leute können das von sich behaupten! Ich habe bei fünf Shows und drei Auftritten [sic] die Vorgruppe gemacht. Ich war 25. Kinderspiel. Ich hatte einen Partner, mit dem ich sang und Gitarre spielte. Ein bisschen wie Simon und Garfunkel, aber wir waren besser [lacht]. Und die Band bat uns, das zu tun. Sie mussten eine Vorgruppe haben. Das waren prestigeträchtige Gigs. Phil kam auf die Bühne und stellte uns vor, und ich dachte: Jetzt werden wir Superstars! Und danach habe ich nicht mehr gespielt. Das war der letzte Auftritt, den ich je gespielt habe. Aber Musik habe ich weiter geschrieben. Und vor ein paar Jahren kam ich also in Kontakt mit The Musical Box. Peter Gabriel schrieb mir, er unterstützte sie und schrieb „Wenn du ihnen irgendwie helfen kannst, dann, bitte, tu es.“ Das ist eine schöne Geschichte. Haben wir Zeit für eine Geschichte?
Der Manager kam vorbei und redete über The Musical Box. Sie hatten die Lizenz bekommen, die Lamb-Tour zu machen. Ich habe nicht viel mit ihm zu tun. Er ist in London und macht seine Arbeit; ich bin in der Farm. Das ist meine kleine Welt. Er stand also da und erzählte ganz enthusiastisch von The Musical Box, weil sie einige Konzerthallen ausverkauften, in denen wir damals die eigentliche Lamb-Tour gespielt hatten. Und dann sagte er: „Es ist eine Schande, dass die Dias weg sind. Schande, dass wir sie verloren haben.“ Und ich saß nur ein paar Meter entfernt von ihm und machte irgendwas, und er sagte: „Ich wüsste zu gerne, was mit den Dias passiert ist. Die hätten wir niemals verlieren dürfen.“Ich sagte nur: „Habt ihr nicht.“ Er schaut mich an: „Was meinst du?“ Ich sage „Ihr habt sie nicht verloren. Ich weiß genau wo sie sind.“ Er war fassungslos. „Du weißt, wo die Dias für die Lamb-Show sind?“ Und ich: „Ja. Ich weiß genau, wo sie sind. Ich habe die letzten 25 Jahre über genau gewusst, wo sie sind.“ – „Die suche ich seit zwanzig Jahren!“, rief er, und es bereitete mir große Freude, ihm zu sagen: „Du hast die falschen Leute gefragt. Und nicht mich.“ [lacht] Ich habe diesen Mann einen Haufen Geld gekostet, darum bin ich nicht besonders beliebt bei ihm. Ich ging hinüber und brachte ihm den Karton mit den Dias und dann bekamen The Musical Box die Erlaubnis. Mike Rutherford und Tony Banks kamen überein, dass sie sie verwenden dürften. Ich sagte: „Gebt sie ihnen nicht einfach so. Warum bieten wir ihnen nicht an, dass sie die Dias ausleihen dürfen – unter der Bedingung, dass sie Kopien machen und verwenden und uns die Originale zurückgeben – in der richtigen Reihenfolge. Denn, …“, habe ich Mike und Tony gesagt, „ihr sortiert die garantiert nie.“ Da stimmten sie zu. „Diese Jungs werden sich monatelang hinsetzen, bis sie es hinbekommen.“ Und das taten sie auch. Das hat mich zu einem „Gott“ für sie gemacht. Ich bin ein „Gott“ für The Musical Box. Dann fingen sie an, mich mit Fragen zu bombardieren: Wann setzte der erste Ton zu diesem Song auf diesem Teil des Albums ein? Und ich schrieb zurück: „Ist mir wurst.“ Solche Details kann ich mir nicht merken, aber ihre Show wurde dadurch natürlich viel authentischer. Und später – ich lernte sie ganz gut kennen, und sie beendeten ihre Europatournee – schrieb mir Serge eine E-Mail: „Hi, wie läuft’s, was machst du gerade?“ und das war gerade, als ich gemerkt hatte, dass ich gerne mal wieder live spielen würde. Mir war bewusst, dass mein letzter Liveauftritt 25 Jahre her war. Das Problem war, dass ich meine eigenen Stücke nicht spielen konnte. Das juckte mich nicht weiter, weil ich kein Performer bin. Aber die Dinger live zu spielen, war unglaublich viel Arbeit. Am Anfang tat mein Handgelenk dauernd weh. Und ich spielte ein paar Auftritte in Cafés und ich konnte es kaum glauben: Ich war nervös. Versucht mal Gitarre zu spielen, wenn deine Hände zittern. Mich hat das sehr überrascht, denn als Vorgruppe für Genesis habe ich vor 12,000 Leuten gespielt und das war eine Kleinigkeit. Und The Musical Box fragten: „Wir haben gehört, du würdest gern wieder live spielen. Möchtest du für uns die Vorgruppe machen?“ Was für eine Gelegenheit! Natürlich, ja. Also machte ich für sie die Vorgruppe im Hippodrome in Birmingham, einem riesigen Theater, und auch noch bei ein paar anderen Gigs. Ich hatte ein wenig Zeit gehabt, meine Stücke in ein spielbares Format zu bringen. Als ich im Hippodrome auf die Bühne ging, schickte mir Mike eine SMS – er wusste, was mir der Auftritt bedeutete – und wünschte mir viel Glück und so. Tony Banks sagte: „Du bist am ehesten ein Livemusiker von uns allen. [lacht] Auf geht’s!“ Ich ging auf die Bühne, eine richtige Bühne mit Scheinwerfern – meine Nervosität war weg. Ich spielte wirklich gut. Und mein Blickwinkel hat sich ein wenig verändert. Es hatte einen direkten Einfluss auf mein Schreiben. Jetzt muß ich Stücke schreiben, die ich spielen kann. Ich habe da keinen Plan, aber ich habe meinen Computer aufgerüstet, damit ich leichter komponieren kann. Ich bin eher ein Computermusiker geworden, weniger Gitarre und mehr Keyboards und Drumcomputer. Ich habe die Gitarre aber wieder eingebracht, sie ist mein eigentliches Instrument. Ich habe neun neue Lieder, neu für mich, aber ich habe auch eine CD namens Cubed. Von der habe ich 1000 Stück machen lassen, weil Genesis mir erlaubten, sie auf ihrer Webseite anzubieten – das war ja damals etwas ganz Neues. Nun, Genesis-Fans kaufen meine CD nicht. Niemand kauft meine CDs [lacht]. Ich habe bestimmt 500 Stück an Freunde und Verwandte verschenkt und ich habe neue Sachen, die ich jetzt mache. Ich habe die Stücke auf Cubed nicht für ein Album geschrieben. Ich habe einfach Stücke geschrieben, und als die Chance dafür kam, habe ich es gemacht. Heute mache ich das nicht, denn man braucht schon Geld dafür und ich habe für so was im Moment kein Geld übrig. The Musical Box verfolgen die Karriere von Genesis so weit, dass der Schlagzeuger jetzt A Trick Of The Tail organisiert. Ihr Production Manager ist vorbeigekommen und hat den Film gesucht; ich habe ihm mit den Dias geholfen und er sagte: „Du spielst ein paar Mal als Vorgruppe für uns im Herbst in England.“ Darauf freue ich mich. Wenn mir jemand irgendwelche Tourneen anzubieten hat, sagt Bescheid, ich bin dabei.
it: Wir sind ein bisschen knapp in der Zeit; ich bitte um kurze Fragen und Antworten.
Dale: Okay.
F: Werden die Dias in der Wiederveröffentlichung von The Lamb enthalten sein?
Dale: Nein. Weiß ich nicht. Ich sollte darauf nicht antworten, weil ich noch nicht mal wußte, dass The Lamb wiederveröffentlicht wird. Wann denn? … Ich weiß wenigstens, wo die Dias sind!
F: Dale, wir danken dir ganz herzlich, dass du dich uns für diese Fragestunde zur Verfügung gestellt hast. Ich denke, wir haben ein paar tolle Geschichten und vieles aus deinem Leben vor, mit und jenseits von Genesis gehört. Wir freuen uns darauf, heute abend deine Musik zu hören!
Dale: Ich hoffe, ihr bleibt und hört sie euch an. Seid lieb!
Interviewleitung: Christian Gerhardts
Transkription + Übersetzung: Martin Klinkhardt
Fotos: Peter Schütz