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Djabe (feat. Steve Hackett) – The Magic Stag – Album Rezension
Im September 2020 erscheint ein weiteres Djabe-Album, auf dem Steve Hackett prominent vertreten ist. Auch wenn es (anders als die beiden Sardinien-Alben) dieses Mal unter dem Namen Djabe geführt wird, hat sich Zoltan Kelemen dennoch dem Werk genähert.
Djabe – Steve Hacketts „Lieblingsband“ ist wieder zurück mit einem neuen Album The Magic Stag. Ich muss hoffentlich nicht mehr groß erklären, wer das ist. Alle, die diese geniale Band trotzdem nicht kennen, werfen einen Blick in die entsprechende Info-Box am Ende der Rezension. Dort könnt ihr nachlesen, wer Djabe ist, wann die Zusammenarbeit mit Steve begann und wie diese Band zusammengesetzt ist.
Neben der normalen Besetzung mischen dieses Mal diverse Gastmusiker mit, darunter natürlich Steve, der prominent auf sieben der elf Tracks in die Saiten greift. Ein weiterer alter Bekannter ist auch dabei: Auf dem dritten Track bläst ein gewisser Rob Townsend das Tenor-Saxophon.
Die alte ungarische Sage vom „Wunder-Hirsch“ war die Inspiration für das neue Werk (siehe Box). Diese alte Erzählung kennt jeder Ungar und sie genießt in Ungarn einen ähnlichen Stellenwert, wie das Nibelungenlied in Deutschland. Die Wurzeln für die Entstehung von The Magic Stag reichen aber einige Jahre weiter in die Vergangenheit zurück. Vor 17 Jahren brachten Djabe ihr Album Sheaves are Dancing heraus und ließen sich bei der Komposition von den Gemälden von Attila Égerházis Vater, einem bekannten ungarischen Kunstmaler, inspirieren. Die Idee war die Stimmung der Gemälde auf die Musik zu übertragen und sozusagen mit Tönen zu „malen“.
Die Sage vom Wunder-Hirsch
Alte ungarische Sage von den Fürstensöhnen Hunor und Magor, die einen wunderschönen, kapitalen Hirsch entdecken. Sie beginnen eine wilde Jagd auf das Tier, können es jedoch nicht erlegen. Wieder und wieder entwischt ihnen die Beute. So folgen sie dem wunderschönen Tier tagelang bis in eine unbekannte Gegend und gelangen eines Tages auf eine Waldlichtung mit Teich, wo zwei wunderschöne junge Frauen baden. Das Schicksal will es, dass die beiden ebenfalls Fürstentöchter sind und Männlein und Weiblein sind voneinander angetan und schon bald wird Hochzeit gefeiert. Die beiden gründen Familien und lassen sich in dem fruchtbaren Gebiet nieder, in das sie der Hirsch geführt hat. Der Sage nach entstand aus den Nachfahren von Hunor das Volk der Hunnen und Magor wurde zum Stammvater der Ungarn (die Magyaren). |
Der Anstoß zu The Magic Stag kam von Jo und Steve Hackett, die, von der Legende des Wunder-Hirschen inspiriert, mit Lyrics zum ersten Song auftauchten. Während die beiden Attila Égerházi die Entstehung des Textes schilderten, tauchte vor dessen inneren Auge ein Gemälde seines Vaters über die Mythen und Sagenwelt der alten Magyaren auf. Das war für ihn wie eine Eingebung, das neue Djabe-Album auf eine ähnliche Art anzugehen wie damals im Jahr 2003. Tamás und Attila waren sich sofort einig und begannen gleich mit der Suche nach passenden Gemälden aus dem Werk von Imre Égerházi, die sie bei der Arbeit für das neue Album inspirieren sollten.
So entstand The Magic Stag – auf eine Art ein Konzept-Album. Zwei Welten sind hier miteinander verwoben und bilden das Gerüst für die Songs und die Musik. Da ist die Welt der alten ungarischen Mythen und Sagen und die ausgesuchten Bilder, die Attilas bekannter Vater gemalt hat.
Die Aufnahmen erfolgten zwischen Januar 2019 und Juni 2020, zum größten Teil während des Corona-Lockdowns. Die meisten Musiker spielten ihren Teil einzeln ein und Tamás Barabás mischte die einzelnen Spuren zum fertigen Gesamtwerk.
Wie schon auf vielen Tracks der beiden Alben der Sardinia Tapes sind viele Songs ein smoother und melodischer Jazz. Steve bezeichnete es auf dem zweiten Sardinien-Album als eine Art Ambient-Jazz. Die Stücke werden meist von prägnanten Bassspiel und den Drums getragen. Die Trompete von Áron Koós-Hutás ist immer vertreten, teils unterstützend, teils sehr präsent im Vordergrund, dazu kommen abwechselnde Soli von Gitarre, Keyboards und den Instrumenten diverser Gastmusiker.
Aber hier kommt eine neue Facette von Djabe hinzu. In Anlehnung an das Albumthema sind auf den meisten Tracks ungarische Melodien eingeflochten, die zum Teil auf Original-Instrumenten gespielt werden – eine Prise World Musik inklusive.
Was mich schon damals auf den sardischen Alben beeindruckt hat, findet sich auch hier. Djabe spielt als gleichwertiges Team und jeder einzelne Musiker trägt zur Idee und Stimmung des Tracks seinen Teil bei. Auch Steve macht hier das, was er in meinen Augen am besten kann: Er ergänzt die Stücke mit seinem herrlich gefühlvollen Gitarrenspiel und seinen Ideen und wertet sie dadurch auf.
Nach einer kurzen World-Music Einleitung folgen vier flottere Tracks, wie man sie von Djabe kennt. Danach wird es auf dem Album ruhiger, nachdenklicher, zum Teil sogar dunkel und etwas melancholisch. Es ist nicht mehr die sonnendurchflutete Hochstimmung am Meeresstrand der wunderschönen Insel Sardinien. Der bekannte jazzige Djabe Sound spielt hier so manche melancholische Melodien aus der ungarischen Vergangenheit. Beim Lesen des beiliegenden Booklets erfährt man, dass insbesondere Attila privat eine schwere Zeit durchlebte. Das könnte sich auf die Stimmung von The Magic Stag ausgewirkt haben. Ebenso mag die bedrückende Situation der Gegenwart – des Lockdowns – die Atmosphäre der Tracks beeinflusst haben.
Ein paar Worte zu den einzelnen Tracks (ich habe diejenigen, auf denen Steve mitspielt, mit einem * gekennzeichnet):
Beginning of Legends
Trommeln, Flöten und ein seltsames Saiteninstrument (Koboc – eine Kurzhals-Laute) begleitet von einem Piano – orientalische Klänge eröffnen das Album. Djabe zeigt schon beim Einstieg, dass es um die ungarische Vergangenheit geht, die aus dem Nebel der mündlich überlieferten Sagenwelt aufsteigt. Der kaum zwei Minutenlange Track ist aber nicht mehr als eine Einstimmung und geht direkt in den Titelsong über.
The Magic Stag *
Man fühlt sich sofort an die Sardinien-Alben erinnert. Das ist das Djabe, das man kennt. Eine starke Rhythmussektion mit komplexen Drumming und druckvollem Bassspiel, dazu die typische Trompete. Doch plötzlich Gesang – das ist neu. Es ist einer von zwei Tracks, auf denen der Drummer Péter Kaszás auch singt. Natürlich geht es um die Geschichte des Wunderhirsches, die erzählt werden muss.
Die Lyrics schrieben Jo und Steve und im zweiten Teil des Songs hören wir auch Steves tiefe Stimme, der im Sprechgesang einen Teil der Geschichte erzählt.
Power Of Wings
Dieser Track beginnt exotisch mit Sitar Klängen, und Robs Saxophonspiel. Die orientalische Grundmelodie wird im Verlauf des Tracks von den verschiedenen modernen Instrumenten aufgenommen und variiert, um ein wenig später zur ursprünglichen Form zurückzukehren. Jazzmusik, die mit einer alten Melodie spielt.
Down By The Lakeside
Der zweite Song, den Péter Kaszás singt. Wie schon The Magic Stag wirkt der Song durch den Gesang etwas mainstream-artig und erinnert mich etwas an einen gewissen West-Coast Sound der späten Siebziger.
Far Away
Rhythmusbetont und jazzig, geniale Soli, differenziertes Drumming, komplexe Bassläufe und dann spielen Trompete, Keyboard und Gitarre Melodien über diesen komplex getakteten Teppich. Djabe at its best – dieser Track zeigt die musikalischen Stärken dieser Truppe – für mich der Höhepunkt des Albums.
Unseen Sense*
Einer der ruhigen Stücke geprägt vom äußerst gefühlvollen akustischen Gitarrenspiel von Steve. Wirkt leider nach dem vorgehenden Rhythmus-Feuerwerk etwas unpassend platziert, ist aber allein für sich stehend ein sehr schöner Track, ideal zum Zurücklehnen und Nachdenken.
Soaring Hills*
Mittelschnelles Stück – Bass und Drums halten sich dezent im Hintergrund, während Gitarren, Keyboards, Trompete und sogar ein Saxophon gelassen Melodien darüber legen. Anfänglich etwas gemächlich, aber es zieht sich eine stetige Steigerung durch das Stück, die man getrost etwas länger hätte fortsetzen können.
Two Little Snowflakes*
Inspiriert vom Klavierspiel seiner noch jungen Tochter entstand dieser Track, in dem es um die zwei kleinen Kinder von Tamás Barabás geht. Ein ruhiges, eher einfaches Stück, das auf einer sich wiederholenden Hauptmelodie basiert.
A True Hope *
Tamás widmet A True Hope Attila und seiner Familie, die anscheinend eine schwere Phase durchlebt haben, in der Zeit, in der das Album entstand. Ein weiterer nachdenklicher Track, der wunderschön gespielte Passagen von Steve enthält.
Rising Horizon *
Die Einleitung dieses Song ist relativ dunkel und orientalisch gehalten und beginnt mit Keyboard-Schwaden und Gesang, den Attila Égerságis Vater in den 70er Jahren an einem Folklore-Festival in Erdély (Siebenbürgen) aufgenommen hat. Darauf folgen Klänge, die auch sehr gut auf Peters Album Passiongepasst hätten. Nach drei Minuten folgt der Schwenk zum bekannten Djabe Sound – ein starker Song – mein zweiter Favorit auf diesem Album.
Uncertain Time*
Diesen Track hat Attila Égersági geschrieben und er ist seiner Frau und Tochter gewidmet. Ein langsames Stück, das in meinen Augen einige proggige Elemente enthält mit vielen interessanten Instrumenten, das sich laufend verändert und mit jedem Anhören besser wird.
Saris Dream(Extra Track auf Vinyl)
Dieser zwölfte Track findet sich als besonderes Extra nur auf der LP-Version des Albums.
Vor sechs Jahren begann Attila mit seiner damals dreijährigen Tochter einen Song zu schreiben und hier ist die fertige Version. Sie spielt Kalimba, Djembe Trommeln, Guiro und Altflöte. Das Stück selbst beginnt wie schon Two Little Snowflakes simpel, harmlos und etwas langweilig. Doch nach der etwas langatmigen Einleitung, kommt mehr und mehr Abwechslung rein und die zweite Hälfte entschädigt den Zuhörer und bringt ein interessantes Solo von Steve.
The Magic Stag wird Ende September erhältlich sein und kommt mit einer CD, die alle Songs enthält und einer DVD. Darauf sind nochmal alle Songs in High Definition Stereo und Surround Sound zu finden, diverse Videos von Djabe Live-Auftritten und eine 10-minütige Dokumentation über das künstlerische Werk von Imre Égerházy.
Das gefällige Cover wurde mit den Gemälden von Attilas Vater gestaltet. Das beiliegende Booklet stimmt im gleichen Stil mit viel Bildern auf das Album und dessen Hintergründe ein. Ausserdem beschreiben Attila und Tamás mit vielen Details und Emotionen, wie das Album und einzelne Stücke entstanden sind.
Fazit
Wer die sardischen Alben von Djabe mochte, wird auch an vielen Passagen dieses Albums seine Freude haben. Von der Musik her passiert aber mehr, sie ist nicht mehr so homogen, so leicht, flockig und locker. Das Spektrum von The Magic Stag hat mehr Facetten, ist abwechslungsreicher. Gewisse Stücke und Passagen sind deutlich jazziger und weniger smooth und melodiös – beeindrucken dafür mit den instrumentalen Fähigkeiten dieser Musiker.
Immer wieder hört man alte ungarische Melodien und Instrumente, die für das westeuropäische Ohr orientalisch und fremd klingen mögen. Die Stimmung ist oft dunkler, die Tempi ruhiger, aber man merkt, dass Djabe mit ganzem Herzen und aus voller Seele eine sehr persönliche Musik erschaffen haben, die ihnen viel bedeutet. Auch aufgrund ihrer Beschreibungen im Booklet ist klar, dass sowohl Tamás wie auch Attila sehr zufrieden mit dem Ergebnis sind. So meint Attila: „This album is very special for me as it is the second one where we paint soundscape visuals with our instruments to enhance the unique picturesque world of my father’s paintings“ (Dieses Album ist für mich etwas sehr Spezielles, da es das Zweite ist, auf dem wir mit unseren Instrumenten Ansichten mit Sound-Landschaften malen, um das einzigartige Bilderwelt der Gemälde meines Vaters aufzuwerten.)
Ich war vom Album ebenfalls sehr angetan. Aber ich gebe zu, ich bin etwas befangen. Sowohl Thema wie auch die Stimmung und die Melodien rühren gewisse Seiten meiner ungarischen Seele und es ist deutlich, dass hier ein Werk wirklich mit sehr viel Gefühl erarbeitet wurde.
Ich möchte mit den Worten von Attila Égerházy enden, der seinen Kommentar zum Album mit den Worten schließt: „BeiThe Sheaves are Dancing haben wir zum ersten Mal mit Steve zusammengearbeitet und nun nach 17 Jahren sind wir immer noch zusammen. Gänsehaut – meine Freunde!“
Autor: Zoltan Kelemen
The Magic Stag kann bei JPC, Amazon und direkt in England bei CherryRed erworben werden.
Eine Vinyl-Variante des Album, inkl. zwei Bonustracks, wird Ende November erscheinen und kann im HackettStore gekauft werden.
Über Djabe
Djabe sind eine ungarische Jazz-/Fusion-/Worldmusik-Band, die Elemente des Jazz auch gern mal mit ungarischer Folklore mischt. Der Bandname ist aus einer afrikanischen Sprachfamilie (Akan) entlehnt und heißt so viel wie ‚Freiheit‘. Djabe wurde 1995 von Attila Égerházi und anderen Musikern gegründet und hat sich im Laufe der Jahre personell mehrmals geändert. Attila, der Gitarre spielt, bildet mit Tamás Barabás dem Bassisten den Kern von Djabe und die zwei schreiben auch die meisten Tracks. Áron Koós-Hutás ist ebenfalls schon seit einiger Zeit dabei und sein Trompetenspiel ist charakteristisch für den typischen Djabe-Sound. János Nagy spielt die Keyboards und Péter Kaszás sitzt hinter den Drums und steuert auch die Lead-Vocals bei zwei Tracks bei. Die Zusammenarbeit zwischen Steve und Djabe hat ihren Ursprung im Umstand, dass Attila 1999 den Vertrieb von Steves Alben in Ungarn übernahm. 2002 organisierte er für ihn sein erstes akustisches Konzert in Budapest und produzierte mit ihm das Album Hungarian Horizons. Schon im nächsten Jahr gab es die erste Zusammenarbeit auf dem nächsten Djabe-Album. Seither folgten zahlreiche gemeinsame Auftritte und Produktionen. Steve selber bezeichnet sie sogar als „die beste Band mit der er jemals gespielt hat“. |