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Disney’s Tarzan – Die Premiere des Musicals in Hamburg
Im Oktober 2008 startete das Musical Tarzan in Hamburg. Es ist nach New York und Den Haag die dritte Aufführung. Bereits im Vorfeld gab es am 11. Oktober 2008 eine Fan-Preview, zu der Mitglieder des Genesis-Fanclubs anwesend waren. Eine Woche später fand am 18. Oktober die Medienpremiere statt, tags darauf die Galapremiere. it war vor Ort …
Ein Disney Musical – das ist von Genesis ungefähr so weit weg wie der FC Carl Zeiss Jena von der Champions-League. Musikalisch trennt beides Welten, konzeptionell sowieso und doch gibt es eine entscheidende Verbindung. Kein geringerer als Genesis-Schlagzeuger und Sänger Phil Collins ist verantwortlich für die Musik des Musicals.
Ende der 90er Jahre hatte Phil Collins seinen ersten ausgewachsenen Soundtrack für den Disney-Film Tarzan produziert und veröffentlicht. Seinerzeit schieden sich an seinem Disney-Engagement die Geister. Vier Jahre später legte er erneut einen Disney-Soundtrack vor, dieses Mal zu Brother Bear. Doch mit Tarzan hatte Disney größere Pläne und so fragten man Collins, ob er noch weitere Songs für die Broadway-Produktion des Musicals schreiben kann.
Phil bezeichnete es als Ehre, überhaupt gefragt worden zu sein und schrieb zu seinen fünf Songs des Trickfilm-Soundtracks weitere Melodien und Instrumentalstücke. 2006 feierte Tarzan schließlich seine Broadway-Premiere. Die Resonanz war durchwachsen und ein Erfolg wurde Tarzanam Broadway nicht. Doch bereits frühzeitig fiel die Entscheidung, Tarzan nach Europa zu holen. Holland und Deutschland galten als gesetzt und so startete Tarzan 2007 in Scheveningen bei Den Haag und ist seitdem ein großer Erfolg. Im Sommer wurden schließlich über die Casting-Show „Ich Tarzan, Du Jane!“ die Hauptdarsteller für das deutsche Musical gesucht. Beim Finale war Phil selbst anwesend.
Als Location für das Musical wurde das Theater Neue Flora in Hamburg ausgewählt. Dort wurden schon Das Phantom der Oper erfolgreich aufgeführt. Im September und Oktober 2008 wurde ausgiebig geprobt, Anfang Oktober überzeugte sich Phil sogar selbst vom Stand der Dinge der Proben und weilte in Hamburg. Am 11. Oktober gab es eine der Fan-Previews. Solche Fan-Previews dienen vor allem als Test-Shows, um die Publikumsreaktion zu testen und letzte Fehler zu eliminieren. Zu dieser Fan-Preview waren einige Leser und Mitglieder unserer Website anwesend (siehe auch die Ankündigung zur Fan-Preview). Eine Woche später, am 18. Oktober 2008, fand die Medienpremiere statt. Ausgewählte Vertreter verschiedener Online, Fernseh- und Printmedien, dazu geladene Gäste, konnten sich ein Bild über das Musical machen. Am 19. Oktober schließlich feierte das Musical im Rahmen der großen Gala-Premiere seinen Start.
Mitglieder der it-Redaktion sowie Gast-Rezensent Maik Frömmrich (siehe separate Kritik) waren zur Medien-Premiere vor Ort, zahlreiche Fans und Leser unserer Website haben sich die Show schon eine Woche zuvor im Rahmen der Fan-Preview angesehen. Alle Infos und Impressionen zur Preview, der Medien-Premiere und der Galapremiere haben wir für euch zusammengefasst.
Das Theater ist in ein diffuses, nebliges Licht gesetzt, rechts und links sind deutlich grüne Urwald-Lianen zu sehen, dazu gibt es auf beiden Seiten Leinwände, auf die ein Logbuch projeziert wird. Auf der Bühne sieht man zeitgleich ein Schiff auf einem transparatenten Vorhang, es knarzt und quietscht und Gewittergeräusche füllen des Saal. Es ist kurz von 20 Uhr und wenige Minuten später gibt es einen lauten Knall. Der Vorhang fällt, das Schiff geht unter und zum Vorschein kommen Tarzans Eltern, die mit Tarzan zu ertrinken drohen. Die Szene ist vertikal angelegt und gibt einen guten Vorgeschmack auf das, was kommt. Ohne Seile geht an diesem Abend nichts. Kurz nachdem Tarzans Familie gestrandet ist, wird von allen Seiten der Saal mit Affen geflutet und auch der Zuschauerraum wird fortan primär als Flugraum genutzt. Von überall her fliegen Affen an ihren Lianen heran und setzen dem ohnehin schon gut wirkenden Opener Two Worlds / Zwei Welten die Krone auf. Schon hier wird klar, dass die Bühnenpräsentation auf die Vertikale konzentriert ist. Somit wurde gleich zu Beginn die Hauptattraktion der Bühnenshow vorgestellt. In der Folge schweben immer wieder Mitglieder des Ensembles über das Publikum hinweg, quer über die Bühne, oder verschwinden über der Bühnendecke oder seitich der Zuschauerränge in einem Lianengewirr.
Im ersten Akt erzeugt die Präsenz des Leoparden, der ebenfalls in der Eröffnungsszene bereits auftaucht, spannende Momente.
Der zweite Höhepunkt ist der Auftritt Tarzans als Kind. Der zehnjährige Jannik Semmelhaack erntet sofort Szenenapplaus und wird auch in der Folge vom Publikum gefeiert. Der Konflikt zwischen dem exzellent gespielten Kershak und Tarzan, den man bereits aus dem Film kennt, hätte etwas besser herausgearbeitet sein können. Hier leidet die schauspielerische Leistung etwas unter dem „Zwang“, singen zu müssen. Allerdings ist der entsprechende Song No Other Way / Gar Keine Wahl wiederum ein Highlight.
Während Son Of Man / So Ein Mann
wird Tarzan schließlich erwachsen und durch den erwachsenen
Schauspieler (Anton Zetterholm) ausgetauscht – sein Erscheinen über dem Publikum ist ein
weiterer Höhepunkt. Zum Ende des ersten Aktes ist Auf diesen Tag Hab Ich Gewartet ein visuelles Ereignis. Tiere und Pflanzen werden von den Darstellern in unglaublichen Kostümen verkörpert. Die künstlerische Darstellung der biologischen Diversität des Dschungels ist ziemlich beeindruckend und ein Blickfang. Während die Darbeitung des erwachsenen Tarzan zwar solide, aber sicher noch ausbaufähig ist, kommt Jane deutlich authentischer rüber. Schnell wird auch klar, dass der Darsteller des Terk nicht die glücklichste Wahl ist. Ihm merkt man an, dass er Deutsch nicht 100%ig beherrscht und das geht sofort auf Kosten der schauspielerischen Leistung.
Der Beginn des 2. Aktes ist ein Highlight – Trashin‘ The Camp / Krach im Lager war schon im Film ein Höhepunkt, nicht zuletzt wegen Phils Faible für die percussive Umsetzung. Die Schauspieler singen und tanzen hier in Massen über die Bühne, fliegen durch die Luft und lassen es ordentlich krachen. Es ist wie im ersten Akt ein Knalleffekt, jedoch dominiert hier deutlich der Spaßfaktor und nicht die Spannung.
Clayton und Janes Vater bekommen nun auch ihre Auftritte. Clayton wird solide, aber stellenweise zu „weich“ verkörpert. Janes Vater dagegen wird exzellent dargestellt, auch wenn man sich fragen muss, warum ein junger Schauspieler dafür ausgewählt wurde. Rein optisch kommt er allerdings den Zeichtrickfiguen am Nächsten und spielt seinen Part auch relativ filmnah. Inhaltlich orientiert sich das Musical naturgemäß am Disney-Film, auch wenn es einige Abwandlungen der Story gibt. Im Musical wurde z. B. der Schluss leicht verändert – hier werden die Gorillas nicht auf das Schiff gebracht und von Tarzan befreit.
Zum Finale gibt es noch einmal so eine Art Mega-Mix der besten Film-Songs und die Darsteller fliegen wieder über die Köpfe der Zuschauer hinweg. Insgesamt wird das Publikum auf diese Weise sehr gut in das Geschehen eingebunden. Das Musical ist angekommen in Hamburg und es verspricht, eine großartige Unterhaltung zu werden.
Die Musik
Viele Elemente und Songs des Musicals sind durch das amerikanische Cast-Album bereits bekannt, dazu hatte Collins selbst auch den Song Everything That I Am eingesungen. Die Anforderungen eines Musicals waren für Phil Collins Neuland und sind nicht vergleichbar mit der Dramaturgie, die beispielsweise sein Debütalbum Face Value hatte oder zuvor ein Genesis-Album wie z. B. Foxtrot. Collins Bemühungen, dieser Anforderung Rechnung zu tragen, sind nicht zu überhören, doch hat die Musik durchaus auch ihre Längen.
Interessant wird es paradoxerweise während des Musicals immer dann, wenn es reine Instrumentalpassagen gibt (hier gibt es dann auch eine Parallele zu Genesis), bei denen das Schlagzeug dominiert. Das Songmaterial ist naturgemäß anders strukturiert als bei normalen Collins-Soloalben. Bei manchen Songs fühlt man sich an frühere Collins-Stücke erinnert. Who Better Than Me / Du Brauchst Einen Freund beispielsweise klingt wie ein Nachfolger des Songs Two Hearts. Manche Songs leiden etwas unter der Übersetzung, diese funktionieren im englischen original besser. Insgesamt fängt Collins die Stimmung der einzelnen Szenen treffend ein und beim Erleben des Musicals begreift man, warum Collins so viel an dieser Produktion liegt. Der ein oder andere Spannungsbogen hätte aber besser auskomponiert werden können.
Für das deutsche Cast-Album gibt es noch eine weitere Rezension unter diesem Link (folgt in Kürze).
Die Premieren-Events
Das Fan-Preview am 11. Oktober war eine der ersten Aufführungen, die relativ öffentlich stattfand. Hierfür gab es Tickets zum Vorzugspreis, dazu Freigetränke und den Zugang zur After-Show-Party. Wer von der After-Show-Party zu viel erwartete, wurde enttäuscht. Highlight war hier ein Duett zwischen Tarzan und Jane (Dir gehört mein Herz), das live dargeboten wurde.
Zur Medienpremiere am 18. Oktober waren schließlich die Vertreter der schreibenden Presse (Zeitungen, Magazine, Internet) und weitere Medienvertreter zugegen, dazu kamen geladene Gäste. In einer Pressemappe gab es zwar teils interessante Details zur Produktion, allerdings fehlte die Vorstellung der meisten Darsteller (nur die Rollen von Tarzan und Jane wurden ausführlich vorgestellt), sowie die Cast-CD des Musicals. Immerhin gab es eine sachlich richtige und auf den neuesten Stand gebrachte Kurzbiografie über Phil Collins. Phil selbst war während der Medienpremiere nicht im Theater. Während der Show verletzte sich der Darsteller von Terk an der Hand. Er konnte die Show zwar zu Ende spielen, hat am Folgetag aber aussetzen müssen.
Am 19. Oktober fand schließlich die Galapremiere des Musicals statt. Phil Collins war anwesend und weitere Promis wie Udo Jürgens und Chris Norman waren ebenfalls vor Ort.
Fazit
Zwei Welten – das trifft es wohl aus Sicht des Genesis Fans. Während Collins 2007 noch einen Großteil der Show selbst auf das Schlagzeug einprügelte und mit seinen Genesis-Kollegen Prog-Nummern zum besten gab, hat er nun ein Musical auf die Bühne gebracht und damit in Form des Cast-Albums ein lupenreines Konzeptalbum erschaffen, ähnlich wie Peter Gabriel mt OVO im Jahr 2000.
Die Häme und Kritik, die er dafür einstecken musste, insbesondere auch von Genesis-Fans, dürfte nach und nach verblassen, oder sich zumindest relativieren. Zugegeben, ein Musical ist sowohl künstlerisch als auch konzeptionell etwas völlig anderes als Rockmusik im Stil von Genesis, aber es passt in die Vita eines Genesis-Mitglieds, andere Interessen zu entwickeln und diese auch zu verfolgen. In seiner Vielseitigkeit muss sich ein Phil Collins definitiv nicht hinter einem Peter Gabriel verstecken. Nach Genesis, der Fusion-Band Brand X, einer mindestens zu Beginn interessanten Solokarriere, zwei Big Band Projekten, zwei Disney Film-Soundtracks hat er nun ein ausgewachsenes Musical komponiert, das mit ziemlicher Sicherheit ein großer Erfolg werden wird. Das muss man nicht gut finden, aber so mancher, der diese Show gesehen hat, wird Phils Arbeit in einem ganz anderen Licht sehen als bisher. Die Show jedenfalls ist atemberaubend und für jede Altersklasse geeignet. Sie hat Witz, Dramatik, natürlich auch ihre Längen und ist vor allem eines: spektakulär.
Tickets für das Musical erhaltet ihr unter diesem Link.
Autor: Christian Gerhardts
Fotos: © Stage Entertainment GmbH
Links:
| Rezension der deutschen Cast-CD (folgt)