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David Rhodes – Bittersweet – CD Rezension

Im August 2009 veröffentlichte David Rhodes sein 1993 (!) angekündigtes erstes Soloalbum. Ob sich das Warten gelonht hat, beantwortet diese Kritik.

David Rhodes – dieser Name steht für die Gitarre von Peter Gabriel, für einen wichtigen Bestandteil in Gabriels musikalischer Arbeit. Grund genug, sich einmal mit diesem Künstler und dessen aktuellem Album Bittersweet zu befassen.

1993 kam die Compilation-CD Plus From Us heraus. Die darauf enthaltenen Stücke stammen von einigen Musiker, die auf Peter Gabriels Album Us mitwirkten, das ein Jahr zuvor erschien. Die meisten dieser Künstler hatten damals bereits eigene Alben produziert. Einer jedoch ist zwar ein begehrter Sessionmusiker und langjähriges Gabriel-Bandmitglied, aber eine eigene CD fehlte ihm noch: David Rhodes. Er steuerte den Song Down By The River bei. Was aber noch erfreulicher war: Im Booklet stand, dass dieser auf Davids kommendem Soloalbum enthalten sein soll …

Sechzehn Jahre später haben wir nun die Chance dieses Album zu hören. Das ist sogar gemessen an den Veröffentlichungszyklen Peter Gabriels eine sehr lange Zeit. Bittersweet heißt das Werk. Es ist nicht im Handel zu finden [Update Juni 2010, siehe unten!], sondern nur per Download erhältlich, wofür man jedoch Mitglied der Bowers & Wilkins Society of Sound werden muß. Klingt kompliziert, ist es auch. Aber da dass wohl der einzige Weg war das Album überhaupt zu vermarkten, bleibt dem geneigten Fan nichts weiter, als dieses Angebot zu nutzen oder auf eine reguläre CD-Veröffentlichung zu hoffen. Immerhin bietet B&W das Album in verschiedenen hochwertigen Audio-Formaten an und liefert das Coverartwork mit. Ach ja, und neben neun anderen Songs ist auch Down By The River nach sechzehn Jahren Reifezeit enthalten.

David ist kein Mann, der gerne im Rampenlicht steht, so ziert sein Album auch kein Foto von ihm, sondern ein Bildauschnitt in dem man ihn beim Stimmen einer Gitarre sieht. Die B&W-Seite liefert noch ein paar Schnappschüsse von den Aufnahme-Sessions. Mehr Optik bekommt man nicht. Die Album-Credits enthalten – wen wundert es – bekannte Namen und Orte: Aufgenommen wurde in Gabriels Real World Studios und der Herausgeber ist Real World Music Ltd. Produziert wurde das Album von David zusammen mit Richard Evans, mit dem er seit einigen Jahren regelmäßig gemeinsam an verschiedenen Projekten arbeitet. Schlagzeug spielt auf dem Album Ged Lynch, der nun auch schon länger zur Gabriel-Band gehört. Weitere Mitwirkende sind eher ohne Peter Gabriel-Bezug: Dan Brodrick (Keyboards), Charlie Jones (Bass, spielte u. a. schon für Robert Plant und Goldfrapp), Tosca String Quartet. Kuriosität am Rande: Peter Hamill sang bei einem Stück im Hintergrund. Dass Gitarre und Gesang von David Rhodes stammen, versteht sich von selbst …

Aber nun zu den zehn Songs auf Bittersweet, und damit zu meinen noch deutlich subjektiveren Eindrücken, denn eine neutrale Beurteilung ist mir schwer möglich. Seit den frühen ’90ern bin ich großer Fan von David und habe mir fast alles, worauf er mitwirkte, zugelegt. Ich war daher wohl auch einer der ersten, die das Album am 25. August 2009 herunterluden.

Bereits beim ersten Anhören kam mir die Idee, die einzelnen Songs zu klassifizieren. Dabei habe ich mal vier „Schubladen“ aufgemacht, aus denen sich David meiner Meinung nach bedient hat:

Damit habe ich versucht, einige Basiseigenschaften jedes Songs über ein Diagramm darzustellen.


1. Reality Slips
Das Album beginnt recht unerwartet mit einem kurzen Streicher-Intro. Dann baut Davids bekannter Gitarrensound und sein manchmal etwas fragiler Gesang langsam einen aus meiner Sicht typischen Rhodes-Song auf. Aber Reality Slips ist keine seiner üblichen Balladen im Stil der alten Version von Down By The River oder seiner Songs auf Snowflake – dass hier wird gegen Ende hin richtiger Rock mit viel Power, einem knackigen Instrumentalteil mit messerscharfen E-Gitarre-Sequenzen und pochenden Drums. Über allem schweben nach wie vor die Streicher-Parts vom Anfang weiter. Das Tempo ist eher langsam, was die Nummer dann durchaus an einige Gabriel-Titel erinnern läßt. Auch einige Sounds und Melodielinien kommen irgendwie bekannt vor. Das mag Einbildung sein, aber vermutlich ist es wirklich so, dass Peter und David nach all den Jahren Zusammenarbeit stilistisch etwas miteinander „verschmolzen“ sind. Ein schöner Opener der meine Erwartungen erfüllt.

2. Down By The River
Erster Eindruck: Oh, das ist ja ganz anders als auf Plus From Us. Damals war das Stück viel melodischer und balladesker gehalten. Die neue Version fängt mit einem äußerst minimalistischen, von Gitarre und Gesang bestimmten Strophe-Refrain-Teil an. Danach baut sich der Song langsam auf. Schlagzeug und Bass bringen das Stück langsam in Fahrt. Der karg instrumentierte ruhige Refrain nimmt immer wieder Tempo raus. Im Mittelteil streut David ein paar ruppige E-Gitarren und etwas merkwürdige Sounds (leises Brummen, Knattern – ein Produktionsfehler?) in die Strophen ein. Der Song endet sehr gefühlvoll mit der mehrmaligen Wiederholung des Refrains, der ausgeblendet wird und langsam instrumental ausläuft. Da unter anderem dieses Stück in seiner Ur-Version als Messlatte für meine Schublade „Rhodes-Stil“ dient, ist dieser Faktor hier auch sehr hoch. Man merkt aber auch, dass sich David in sechzehn Jahren verändert hat und viel moderner klingt als 1993.

3. Just Two People
Das Tempo zieht wieder an und auch der Stil verändert sich, wird noch moderner. Ein langsamer, fast schon dancefloor-artiger Beat und ruhiger Gesangspart eröffnen Just Two People, um dann von schnelleren, rockigeren Tönen überdeckt zu werden. Der deutlichste Unterschied zu den zwei Stücken davor ist aber Davids Gesang, der hier agressiver eingesetzt wird – vor allem im Refrain. Das Ganze erinnert mich sehr an seine frühere Band Random Hold, wo David ähnlich sang. Aber wir befinden uns nicht mehr Anfang der ’80er Jahre, und wen wundert’s da, dass David 2009 eher wie eine moderne Version seiner Ex-Band klingt als eine Neuauflage. Interessant sind bei dem Stück auch ein paar ungewöhliche Sounds, wie z. B. einer, der mich an den „elephant sound“ bei No Son Of Mine von Genesis erinnert. Nach einem sehr schnellen, rockigem Mittelteil endet der Song in einem langen sehr groovigen instrumentalen Schlußpart, zunächst mit Streichern, dann mit einem Keyboard-/Gitarren-Teppich und dem anfangs beschriebenen Beat.

4. Crazy Jane
Da ist er wieder, der Rhodes-typische Sound a la Snowflake. Aber wie bei Reality Slips geht David hier deutlich rockigere Wege. Generell ähneln sich beide Stücke auch etwas. Crazy Jane ist melodischer und vielleicht weniger kantig. Auf alle Fälle kommt der Song David Stimme entgegen, die hier (wie bei allen etwas ruhigeren Songs) sehr gut klingt. Zur Halbzeit der Mid-Tempo-Nummer nimmt David in einer Bridge kurz etwas Tempo und Lautstärke aus dem Stück. Crazy Jane endet so melodisch wie es begonnen hat und mit einer längeren, zuvor schon im Refrain benutzten „Ooohooo“-Chor-Wiederholung.

5. All I Know
Das letzte „Ooohooo“ von Crazy Jane ist kaum verhallt, als ein gefälliger Gitarren-Loop-/Drumbeat-Mix einsetzt, der sich komplett durch All I Know zieht. Ich weiß nicht so recht, wo ich dieses Stück einordnen soll. David klingt hier nicht wie ich ihn kenne – ein wenig nach Random Hold, aber doch anders. Hinzu kommt, dass das Stück erneut gut rockig ist, und sehr „modern“ klingt, was immer das sein mag. Seine Stimme und die Art des Songs erinnern mich an … Simon Collins (!). Vielleicht sollte ich auch mal etwas anderes hören, als Musik aus der „Genesis-Familie“. All I Know wird hauptsächlich bestimmt durch seinen langsamen Rythmus und darin verwobene verschiedene Gitarrensounds.

6. If It Could Only Be That Easy
Etwas düster und in gedrückter Stimmung leiten Gitarre und Drumbeat diesen langsamen Song ein und ziehen sich wie ein roter Faden durch die Strophen. Der Refrain wirkt anfangs glücklicher, hoffnungsvoll, hebt die Stimmung, um dann wieder ins melancholische umzukippen, unterstützt von traurigen Streicher-Parts. Sehr passend dazu auch der schon fast geseufzt gesungene Refrain-Satz „If it could only be that easy“. Hier werden Stimmungen erzeugt und wird mit Gefühlen gespielt, statt einfach nur zu unterhalten. Das Stück könnte man sich durchaus auch auf einem Peter Gabriel-Album vorstellen. Klavier, Streicher und vor allem „quälende“ Gitarrensounds bestimmen das letzte (instrumentale) Drittel dieser Nummer, die völlig aus dem Rahmen fällt, was David bisher gemacht hat. Die Streicher kommen noch einmal ganz am Ende groß zum Einsatz, um die famose Überleitung zu schaffen zum nächsten Stück des Albums …

7. Monster Monster
Monster Monster schließt sich nahtlos an das Outro von If It Could Only Be That Easy an und spielt erneut mit den Emotionen des Zuhörers. Textlich könnte man es mit Darkness von Peter Gabriel verbinden, musikalisch erinnert das Saiten-Kratzen und die Stimmung eher an Intruder. Beides sind keine Happy-go-lucky-Stücke, und bei Monster Monster kann es einem auch schon mal eiskalt über den Rücken laufen. Stimmlich liegt David hier wieder auf Random Hold-Linie. Musikalisch passiert in der kurzen Nummer einiges, vom Intro a la „Gruselfim-Soundtrack“ über die rockigen Strophen, dem bombastischen Mittelteil mit Chor, heftigen Drums, viel Gitarren bis hin zu der beinahe flehend vorgetragenen Aufforderung an das Monster „Disapper into the deap … disappear!“ Monster Monster finde ich sehr originell, ja fast gabrielesque und insbesondere in Verbindung mit den Song davor sehr gelungen.

8. There’s A Fine Line
Das Monster hat sich verkrochen und schon wird die Laune besser. Zwischen Lustig und Traurig gibt es eine dünne Linie sagt hier sinngemäß dann auch der Refrain von There’s A Fine Line. Eine melodische Hammond-Orgel, rauhe Gitarrentöne und ein sattes Schlagzeug sorgen für einen eingängigen Mid-Tempo-Song. David wandert stimmlich zwischen Random Hold und Snowflake-Songs hin und her. Das Resultat ist sicher nicht das Highlight des Albums, aber auch keine Totalausfall.

9. One Touch
Ein pochender Gitarre-/Bass-Rythmus, dazwischen ein wenig Keyboard, etwas Gitarre, ein paar Streicher – so baut sich One Touch langsam auf. Davids darüber gehauchter, fast gesprochener Gesang in den Strophen verleiht dem Ganzen zusätzlich eine ganz eigenartige Stimmung. Die Refrains sind dagegen wesentlich eingängiger. So richtig rockig wird es gegen Mitte des Stücks wenn David seine Gitarre für ein kurzes Solo einsetzt. Den instrumentalen Up-Tempo-Schlußteil mit Streichern, schrammeligen Gitarren-Sounds und Orgel benutzte David zum Experimentieren wie z. B. dem Herumwandern von Instrumenten zwischen rechtem und linkem Kanal. Auch nach mehrmaligem Hören ist One Touch der Song des Albums, mit dem ich Wenigsten anfangen kann, wobei ich den Grund dafür immer noch suche. Eventuell kann ich ihn am Wenigsten in eine meiner Schubladen stecken.

10. Bittersweet
Den Abschluß des Album bildet ein Stück, dass Davids ruhigen Werken z. B. auf Head, Hands And Feet oder Snowflake wohl am Ähnlichsten ist. Ein wenig Klavier aus dem rechten Kanal, etwas Gitarre aus dem linken Kanal, Davids leiser und zugleich mit viel Hingabe dargebotener Gesang in der Mitte, ein paar String-Arrangements darüber, ein paar Backing vocals – und schon hat man einen sehr emotionalen Song, der ebenfalls auf einem Peter Gabriel-Album gut aufgehoben wäre. Ein sanfter Ausklang eines abwechslungsreichen Albums.

Fazit

Bittersweet hat aus meiner Sicht nur sehr wenige schwache Momente, aber eine Menge wirklich guter Songs mit einigen bekannten Elementen, aber auch mit etlichen Überraschungen. Als Rhodes-Fan kommt man ohnehin nicht an dem Album vorbei, und wer die Random Hold-Alben, Davids Songs z. B. auf Head, Hands And Feet und Snowflake und seine Arbeit für Peter Gabriel mochte, wird auch Bittersweet mögen. Wie das Werk auf unvoreingenommene Hörer wirkt, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber es hat sicher genügend Potential, um etliche neue Fans für David Rhodes zu begeistern. Das Warten hat sich gelohnt, und es bleibt einzig der Wunsch, dass Bittersweet irgendwann auch regulär als CD auf den Markt kommt und dass David es schafft, nicht erneut sechzehn Jahre verstreichen zu lassen, bis wir weitere Songs von ihm präsentiert bekommen.

Autor: Helmut Janisch

Fotos: York Tillyer


Update, Juni 2010:
Bittersweet
wurde nun auch als CD veröffentlicht. Die deutsche C.A.R.E. Music Group brachte sie pünktlich zu Davids Tourstart im Mai auf den Markt (offizieller VÖ-Termin war der 4. Juni 2010). Während die Musik identisch mit dem B&W-Download ist, erhielt das Album ein komplett anderes Cover-Artwork. Ein Booklet fehlt, aber alle wichtigen Informationen rund um diese CD sind auf der Innenseite des Digipaks aufgelistet.


Links
A Musical Retrospective – Übersicht zur Soloarbeit von David Rhodes
Interview 2002
Bittersweet kaufen / downloaden: Bowers & Wilkins Society of Sound