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Daryl Stuermer – Another Side Of Genesis – CD Rezension

Seit 1978 spielt Daryl Stuermer in der Genesis Live-Band. Im Jahr 2000 veröffentlichte er eine Art Tribute Album mit Genesis-Coverversionen. Steffen Gerlach hat genauer hingehört…

Nachdem es sein „Vorgänger“ Steve Hackett mit

Genesis Revisited vorgemacht hat, musste der Ex-Tourgitarrist Daryl Stuermer wohl einfach mit dieser Platte nachlegen. Doch eigentlich war es erst gar nicht beabsichtigt, ein Genesis-Tributealbum zu produzieren. Andere wichtige und einflussreiche Künstler sollten für eine Interpretation „herhalten“, aber schließlich wurden dann doch immer mehr Genesis-Songs auf Band festgehalten, bis irgendwann klar war, dass es ja eigentlich eine schöne Sache wäre, ein komplettes Album mit Songs der Gruppe, die wohl die bedeutendste seines Lebens war, aufzunehmen. Er beschränkte sich bei der Auswahl auf die Genesis-Ära, die er selbst auch miterleben durfte. Bis auf zwei Tracks entschied sich Stuermer auf Songs, die zu ihrer Zeit als Singles ausgekoppelt wurden. Er selbst spielte fast alle Instrumente: sämtliche Gitarren und Bässe, Keyboards, Drums und Programming. Unterstützt wurde er bei den Aufnahmen, die hauptsächlich in seinem eigenen Urban Island Studio vonstatten gingen, von Tastenmann Kostia und zwei Bekannten der Collins-Tourmannschaft: Luis Conte an diversen Percussion-Instrumenten und Sängerin Amy Keys für einige Backing Vocals. Zu den Tracks:

Another Side Of Genesis

Another Side Of Genesis

Urban Island Music, keine Katalognr.

1. Follow You Follow Me 4:28

2. Hold On My Heart 4:36

3. Taking It All Too Hard 5:59

4. Throwing It All Away 5:37

5. Since I Lost You 4:26

6. Land Of Confusion 5:10

7. In Too Deep 5:47

8. Turn It On Again 4:13

9. Man On The Corner 4:13

10. No Son Of Mine 6:42

11. Never A Time 5:11

Gesamtspielzeit: 56:33

Der Opener ist auch gleichzeitig der chronologisch älteste Hit dieser Platte:

Follow You Follow Mevom ’78er Album

…And Then There Were Three…. Gleich zu Beginn fällt schon der intensive Einsatz lateinamerikanischer Percussion auf, ein Element, das ja eigentlich untypisch für Genesis war. Durch das jazzig angehauchte Piano und dem Ersetzen des für diesen Song bekannten Rutherford-Gitarrenlicks durch eine weniger spektakuläre Rhythmusgitarre bekommt diese Nummer ein durchgehendes Latin-Feeling, das die Komposition in einem etwas exotischeren Licht erscheinen lässt. Die Gesangsmelodie spielt Stuermer auf einer akustischen Gitarre und variiert das Thema etwas im Laufe des Tracks.

Nummer Zwei der CD ist

Hold On My Heart, einer Ballade vom

We Can’t Dance-Album von 1991. Sehr nah am Original, weicht diese Version lediglich durch eine zusätzliche Pianospur und den neuen Percussionfiguren, die wohl auch ein bisschen die Rhythmusgitarre von Rutherford ersetzen, von selbigem ab. Auch hier wird der Gesang von Stuermers Akustikgitarre „übernommen“ und teilweise vom Piano unterstützt. Zusätzlich gibt’s noch einige „echte“ Backing Vocals. Gänzlich neu sind die Harmonien des Schlussteils mit einem ruhigen Solo von Stuermer.

Obwohl in Amerika 1984 als Single des selbstbetitelten Genesis-Albums ausgekoppelt, wurde aus dem nun folgenden

Taking It All Too Hard weder Hit noch Klassiker, was Stuermer aber wohl nicht davon abhielt, eine eigene Version einzuspielen. Diese Version ist nur unwesentlich schneller und übernimmt alle wichtigen Merkmale des Originals: Groove, Arrangement, Harmonien und Melodie. Nur das Piano verstärkt die einzelnen Parts. Wird die Melodie in der ersten Hälfte noch von der akustischen Gitarre gespielt, wechselt Stuermer später zur angezerrten E-Gitarre. Gegen Schluss gibt es dann noch ein ausgedehntes Solo über den Refrainteil.

Es folgt vom ’86er Erfolgsalbum

Invisible Touch der Live-Klassiker

Throwing It All Away, welcher hier bis auf den neu gestalteten Schluss keine gravierenden Änderungen im Vergleich zur ursprünglichen Studioversion erfuhr. Die Melodie wird erst von Piano, dann von akustischer Gitarre übernommen – die Bridge von E-Gitarre. Im Hintergrund gibt’s noch einige verspielte Percussioneinlagen und Backing Vocals zu vernehmen. Gegen Schluss spielt Stuermer ein sehr ausgedehntes E-Gitarrensolo, das sich über veränderte Harmonien und Rhythmusmuster bis zum letzten Ton immer mehr steigert.

Für die Interpretation des recht unbekannten Songs

Since I Lost You vom

We Can’t Dance-Album hat man sich ziemlich vom Original entfernt. Gänzlich ohne Rhythmusbegleitung benutzte man hier ausschließlich Piano – mit leichtem Streichersound unterlegt – und akustische Gitarre, die die Originalmelodien variiert. Assoziationen zu Hacketts Guitar Noir-Album werden wach. Auch hier entdeckt man wieder etwas veränderte Schlussharmonien.

Wieder zurück zur

Invisible Touch-LP, serviert uns Stuermer nun eine leicht auf Fusion-Rock getrimmte Version von

Land Of Confusion. Die Beats sind stampfender, dafür sind viele Percussionelemente hinzugekommen. Die etwas jazzigeren Strophenharmonien werden nun mit E-Piano gespielt und die Bass-Gitarrengrooves fallen etwas diffiziler aus. Übrigens verwendet er hier nur E-Gitarre, mit welcher er über den Strophenpart ein spektakuläres Solo spielt, bis zu dem Punkt, an dem wir einen kurzen, neu eingefügten Zwischenteil zu hören bekommen.

Mit

In Too Deepbleiben wir nun in der

Invisible Touch-Ära und lauschen einer Version, die sich wieder stark an das Original anlehnt. Statt E-Piano und Drummachine-Patterns griff man hier auf echtes Piano und echte Percussions zurück. Ein cleaner E-Gitarrensound – im Stile der Dire Straits – ersetzt hier den Gesang, trotzdem gibt es auch hier einige echte Backing Vocals. Die Sequenzerfigur des Mittelteils wird hier interessanterweise mit Gitarre gespielt. Am Ende soliert Stuermer dann noch mal mit E-Gitarre über die Refrainharmonien.

Einziger Beitrag aus dem

Duke-Album von 1980 ist das nun folgende und allseits bekannte

Turn It On Again. Hier meint man, eine durch die programmierten Drums etwas steife Kopie des Originals zu hören. Die E-Gitarre steht hier im Vordergrund und wird für Rhythmus und Melodie eingesetzt.

Eine der wenigen Collins-Kompositionen auf einer Genesisplatte stellt das vom ’81er

Abacab-Album stammende

Man On The Corner dar. Ein Piano-Intro leitet den Song ein, bevor die einzelnen Instrumente dann nach und nach einsteigen. Eine gedoppelte Akustikgitarre übernimmt den Melodiepart. Geändert wurden die Percussionarragements, die im Original von der Maschine kommen. Stuermer lässt es sich auch hier nicht nehmen, gegen Schluss auf der Gitarre zu improvisieren.

Es folgt der zweite von drei

We Can’t Dance-Songs:

No Son Of Mine. Sehr originalgetreu setzt Stuermer diesen Welthit um – es fehlt eigentlich nur dieser ganz spezielle „Elefanten-Sample“. Hinzu kommen sparsame Percussions und hier und da noch ein Keyboard. Die verzerrte E-Gitarre führt uns durch den ganzen Song und legt am Ende noch mal richtig los.

Schlusslicht der CD ist das ebenfalls von

We Can’t Dance entnommene

Never A Time. Etwas langsamer aber dafür grooviger gespielt, bekommen wir hier noch einmal zum balladesken Ende von

Another Side Of Genesis Stuermers akustische Gitarre zu Gehör, und zwar als Melodie- und begleitendes Rhythmusinstrument. Ein paar Backing Vocals und das schon obligatorische Solo zum Ende darf auch nicht fehlen.

Erwartet hatte diese Platte wohl niemand, um so mutiger von Daryl Stuermer, sich an das Material seiner Arbeitgeber zu wagen. Die Fans sind verwöhnt und die Messlatte sitzt hoch. Vielleicht wollte er sich ja auch nur zu den ihm so vertrauten Songs einmal auf Gitarre austoben, da er mit Genesis auf Tour fast ausschließlich die Rolle des Bassisten übernehmen musste. Denn ein technisch besserer Gitarrist als Mike Rutherford ist er allemal. Doch wer nun auf kreative Bearbeitung des Ausgangsmaterials hofft, wird wohl überwiegend enttäuscht werden, da sich Stuermer bei seinen Interpretationen bis auf wenige Ausnahmen sehr an die Originalvorgaben hält, lediglich Collins‘ Gesang auf Gitarre überträgt und sich anschließend als Solist noch einmal „austobt“. Seine solistischen Fähigkeiten stehen allerdings außer Frage. Auch mit seinen Mitmusikern Kostia und Conte hatte er ein glückliches Händchen. Alles in allem ist dieses Werk ein interessantes Dokument für Fans der leichtverdaulicheren Genesis-Ära.

Autor: Steffen Gerlach

Photos: Armando Gallo, Helmut Janisch