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Cut – Ray und Steve Wilson im Interview – 15.01.1999
Die it-Redaktion traf exklusiv die Wilson-Brüder, die in Deutschland ein Woche lang auf Promotion-Tour für das erste Cut-Album waren.
it: Wie fing es mit Cut an?
Ray: Es fing mit einer Band namens Guaranteed Pure an. Als ich von meiner Heimatstadt Dumfries nach Edinburgh zog, begann ich, mit meinem Keyboard-Spieler Paul Holmes, der nun in Norwegen lebt, zu arbeiten. Paul und ich gründeten Guaranteed Pure. Wir traten in Bars auf, schrieben gemeinsam Musik und spielten ein paar Coverversionen. Wir haben versucht, damit unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Nach etwa fünf oder sechs Monaten fragte ich Steve, der damals noch in Dumfries lebte, ob er nicht zu uns kommen wollte, und so spielten wir also als Trio. Dann stieß John als Bassist hinzu und schließlich noch ein Drummer. Genauer gesagt waren es zwei verschiedene Schlagzeuger, die mit uns spielten. Das ging bis ca. Ende 1993. Zu diesem Zeitpunkt ging ich mit dem dritten Album, das wir machten, pleite. Bei unseren Konzerten hatten wir Alben und Tapes verkauft, und das dritte Album war eine CD, die wir im Studio von Fish in Haddington aufnahmen. Das hat uns alle, insbesondere mich, viel Geld gekostet. Ich war bankrott. Der Keyboard-Spieler verließ uns. Ich antwortete auf Anzeigen im Melody Maker und verschickte Tapes von mir und sang bei Stiltskin vor. Vier oder fünf Monate später war ich dann Nummer eins in den Charts.
Steve: Wirklich einfach (lacht)!
Ray: Das war also das Ende von Guaranteed Pure. Bei Stiltskin war ich etwa ein Jahr, bevor sich alle aus Geldgründen miteinander verkrachten und auseinandergingen. Der Drummer und der Bassist verließen die Band. Schließlich bestand Stiltskin inklusive mir nur noch aus zwei Leuten, und da beschlossen wir, nicht weiterzumachen. Danach, es war Anfang 1995, begann ich, das Cut-Material zu schreiben, was etwa eineinhalb Jahre dauerte. Ich trommelte Guaranteed Pure wieder zusammen, aber wir änderten unseren Bandnamen in Cut, denn die Musik hatte sich sehr geändert, und der Name Cut passte besser. Ich machte mich auf den Weg zu Udo Lange, dem Chef von Virgin Deutschland in München, der einen Plattenvertrag für mich hatte, als Genesis mich anriefen und anfragten, ob ich für sie singen würde. Ich musste mir also überlegen, was ich tun wollte. Ich schlug Mike und Tony vor, beides zu tun, wie Mike mit den Mechanics oder Phil mit seiner Solokarriere und Genesis, und sie waren einverstanden damit. Cut waren darüber zwar nicht glücklich, aber sie verstanden mich. Zu guter Letzt, neun Jahre später, bin ich nun hier – das ist die Story.
it: Könnt ihr uns ein paar Hintergrundinformationen zu Millionairhead geben?
Steve: Die Musik liegt irgendwo zwischen Stiltskin und Genesis. Die ursprüngliche Musik – mit Ausnahme des Titels, der entstand, als Ray mit Genesis zu tun hatte – war ziemlich gitarrenorientiert. Es gab nicht viel Keyboards. Aber Rays Zusammenarbeit insbesondere mit Tony beeinflusste die Art und Weise, wie wir letztes Jahr das Album aufnahmen. Wir begannen damit, sehr viel mehr Sounds zu benutzen, die Tony vielleicht in den 70ern benutzt hätte – diese analogen Keyboardsounds, mehr Klavier und dergleichen. Die Songs wurden etwas keyboardorientierter. Es gibt ein paar Klaviersolos, was ziemlich ungewöhnlich für Rockmusik ist.
Ray: Ich fand die Idee ziemlich gut. Was mir an Genesis besonders gefiel, war die Magie der 70er Jahre, nicht nur mit Peter, sondern auch mit Phil. Das war für mich eine besondere Ära, auch wenn sie nicht so viele Alben verkauften. Ich liebe die ersten zehn bis vierzehn Jahre von Genesis. Ich mag Tonys alte analoge Mellotron- und String-Sounds. Paul, unser Keyboard Spieler, und ich konnten einige Samples von frühen analogen Sounds an Land ziehen. Die alten Geräte sind inzwischen ja hinüber. Tony hat sie übrigens irgendwo gelagert. Aber ich wollte die Sounds gerne verwenden. Die Idee war, etwas dieser Magie von Genesis, was die Sounds angeht, mit der heftigeren gitarrenorientierten Musik von Stiltskin zu kombinieren. Daraus entstand eine ziemlich gute Variation der Struktur. Aus richtigem Heavy-Material wurde fast etwas Orchestrales, mehr Keyboardorientiertes. Ich finde das spannend. Es ist nichts, was Genesis machen würde. Das Cut Album ist heftiger und etwas rockiger. Aber ich mag die Idee, diese Sounds zu kombinieren, denn es steht vielleicht dafür, wo ich mich befinde: zwischen Genesis und Stiltskin. Ich weiß nicht, ob das etwas über meinen Einfluss auf das nächste Genesis-Album aussagt und ob sie mir so etwas wie diese heftigen Gitarren erlauben würden. Mike wäre wahrscheinlich nicht allzu glücklich darüber.
it: Werden Cut auch live spielen?
Ray: Oh ja, im April oder Mai.
it: Wo werdet ihr spielen?
Ray: Nur in Europa, nicht im Großbritannien. Wir haben für dort noch keinen Vertrag unterschrieben. Virgin UK wollten uns nicht haben – wegen Genesis. Wir werden also entweder unabhängig bleiben, wie Stiltskin, oder bei einem anderen Label unterzeichnen.
Steve: Vielleicht werden wir ein paar kleine Warm-up-Shows in England geben.
Ray: Wir bekommen auch ganz gute Reaktionen aus den USA. Es wäre schon eine ziemliche Ironie, wenn ich mit Cut und nicht mit Genesis in Amerika Erfolg hätte. Eigentlich sollte man annehmen, es wäre andersherum. Aber es sieht momentan in den USA ganz gut aus, und ich bin recht zuversichtlich, denn amerikanische Rockmusik ist die Musik, die ich mir anhöre. Ich bin ein großer Fan von Bands wie Live und Pearl Jam. Jeff Buckley hat mich sehr beeinflusst. Das ist alles etwas heavy, aber ich mag es.
it: Ray, wenn du auf deine bisherige Zeit mit Genesis zurückblickst, was sind die Momente, die dir am besten in Erinnerung geblieben sind?
Ray:Das Vorsingen war so ein Moment. Ich hatte Genesis mit Phil als Backgroundsänger in meinen Ohren und sang dazu. Das war eine erstaunliche Erfahrung. Die Aufnahme-Sessions machten mir auch viel Spaß, denn ich lernte jede Menge – man konnte Meistern bei der Arbeit zusehen. Ein- oder zweimal musste ich mich selbst kneifen, weil ich es nicht glauben konnte, dass ich dabei war, insbesondere als wir mit den Tour-Proben begannen. Manchmal sang ich, und Mike ging vorbei, und dann kam mir so der Gedanke: „Oh shit, das ist ja Genesis hier.“ Ich versuchte, nicht zu oft daran zu denken und mir klarzumachen, dass es einfach nur eine weitere Band ist, auch wenn es eine der besten Bands ist. Das war schon etwas Außergewöhnliches für mich. Was die Tour angeht, waren die Konzerte, die gut abliefen, sehr wichtig für mich. Wir hatten einen phänomenalen Gig in Dortmund. Hamburg war auch sehr gut – ein prima Publikum. Alle deutschen Shows waren gut. Der allerletzte Auftritt der Tour, bei Rock im Park, war mein liebster – einer der besten meines Lebens ü̈berhaupt -, denn ich dachte, Genesis seien wieder da, wo sie hingehören: in einem Stadion. Es war toll für mich, denn ich hatte noch nie mit Genesis in Stadien gespielt. Die Earls Court-Show in London war auch gut. Mike und Tony hatten Bammel davor, denn es war ihr Heimspiel. Für mich war es kein Problem. Als wir dann in Glasgow spielten, war es genau umgekehrt.
it: Wie sieht die Zukunft von Genesis aus?
Ray: Ich glaube, es wird dieses Jahr ein Greatest-Hits-Album geben. Es ist noch nicht bestätigt, und ich habe es eigentlich auch nur von anderen Leuten gehört. Allzuviel habe ich nicht mitbekommen. Angeblich sei Phil wieder bei Genesis und solche Gerüchte. Zuletzt sprach ich mit Mike und Tony im November, als ich das Cut-Album auf der Farm abmischte. Das einzig Konkrete und Gesicherte zu diesem Thema ist demnach, dass wir vorhaben, ungefähr ab September wieder an einem neuen Album zu schreiben, mit dem Ziel, es Anfang nächsten Jahres herauszubringen. Das ist nach meinem Wissen der aktuelle Stand der Dinge. Ich habe auch gehört, dass Carpet Crawlers mit Phil, mir und Peter aufgenommen werden soll. Ich weiß nicht, was die anderen beiden davon halten, aber für mich wäre das phänomenal. Die zwei sind Legenden – ich nicht. Viele Leute fragen sich auch, ob es eine Greatest-Hits-Tour geben könnte mit Peter als Sänger und Phil als Drummer. Ich weiß, dass Phil in Interviews gesagt hat, dass er gerne dazu bereit wäre, falls Peter singt. Man kann das von zwei Seiten her sehen: Wenn sie sich wiedervereinigen würden, ohne dass ich miteinbezogen bin, könnte ich das verstehen. Es würde aber auch das Ende von Genesis bedeuten, denn wir könnten danach nicht einfach weitermachen und ein neues Genesis-Album aufnehmen, es sei denn, Peter bleibt in der Band, was ich mir nicht vorstellen kann. Eine andere Möglichkeit wäre, dass es eine Reunion gibt, die mich einschließt. Ich könnte vielleicht Gitarre spielen und ein oder zwei Songs singen, Peter würde einige Stücke singen und auch Phil. So könnte so etwas funktionieren. Es wäre für Genesis und die Fans eine tolle Sache, und ich würde es gerne machen: Peter könnte die frühen Sachen singen, Phil sicher den Großteil und ich natürlich nur ein wenig. Sicher hätten wir ein bißchen Spaß dabei. Mein O.k. hat das Projekt also, aber wir müssten die anderen halt noch überreden und ihr wisst ja, wie die drauf sind.
zuerst veröffentlicht in itNr.26 (Frühjahr 1999)