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Chester Thompson – Wake Up Call – Album Rezension
Am 1. Oktober 2023 veröffentlicht Chester Thompson ein neues Soloalbum – Wake-Up Call. Steffen Gerlach hat reingehört.
Ein neues Solo-Album von Chester Thompson sollte Grund genug sein, um sich einleitend noch mal zu erinnern, welch beeindruckende Karriere der nun 74-jährige Schlagzeuger vorzuweisen hat, der von 1977 bis 1992 und von 1999 bis 2010 in die Rolle des Drummer-Back-Ups von Phil Collins schlüpfte und somit viele Live-Aufnahmen sowohl von Genesis als auch Collins solo entscheidend mitprägte. Und von Steve Hackett und Tony Banks wurden seine Skills ebenso im Studio geschätzt.
Aber auch außerhalb des Genesis-Camps war er als Live- und Studio-Drummer sehr gefragt und ist auf Produktionen von Größen wie Ben E. King, Jack McDuff, Alphonso Johnson, Santana (dessen Keyboarder ebenfalls Chester Thompson heisst), Peter Cetera, Bee Gees, George Duke, Donna Summer, Steve Winwood, Neil Diamond, John Fogerty, Frank Black, Taj Mahal und Keb‘ Mo‘ zu hören, um nur die bekanntesten zu nennen. Die wichtigsten Stationen dürften allerdings seine Zeit als Drummer von Frank Zappa und seinen „Mothers“ (1973 – 1975) und bei Weather Report (1975/76) gewesen sein, die ihn weltweit bekannt machten und schließlich auch zu seinem Job bei Genesis führten.
Dass ein Schlagzeuger seines Kalibers den Genesis-Song Throwing It All Away zu seinem Lieblingssong der Band erklärt, mag einige verwundern, aber macht deutlich, dass er sich selbst eher als Musiker denn als Schlagzeuger sieht. So ist es auch nicht überraschend, dass bei seinen Solo-Werken keine wirklichen „Schlagzeuger-Platten“ zu finden sind. Auf dem 1991er Debüt A Joyful Noise bewegt sich die Musik zwischen 80er Funk, Fusion Jazz und Pop, übrigens mit einer Bläser-Truppe mit Harry Kim, Gerald Albright und den Fowler Brothers.
Nach den beiden von Uli Frost initiierten DVDs On The Fly: Live At Drums’n’Percussion Paderborn 2003 und zusammen mit Luis Conte Drum Talk – El Tambor Habla (Live At Drums’n‘ Percussion Paderborn 2005) dauerte es noch ein paar Jahre, bis 2013 das Album Approved (Youtube) vom 2011 gegründeten Chester Thompson Trio erschien, welches mit Pianist Joe Davidian und Bassist Michael Rinne in klassischem Jazz-Style hauptsächlich Klassiker der Jazz-Geschichte und Chesters Vergangenheit interpretierten, darunter auch eine Version von Follow You, Follow Me im 7/8(!)-Takt! Mit Live At Drums’n’Percussion Paderborn erschien anschließend ein (mittlerweile gestrichenes) Live-Album des Trios bevor 2015 das zweite Studio-Album Simpler Times (Youtube) erschien, welches musikalisch in die gleiche Kerbe wie das Debüt des Trios schlägt.
Mit erweiterter Besetzung (mit Trompeter, Percussionist und seinem früheren Weather Report-Kollegen und Freund Alphonso Johnson am Bass) wird Chesters Solo-Album Steppin‘ (Youtube) eingespielt, welches 2019 veröffentlicht wird und durch üppigere Arrangements wieder mehr Funk- und Latin-Einschlag zuläßt, wobei hier neben Gruppen-Kompositionen Chester auch etliche Stücke mit Tastenmann Joe Davidian komponiert hat.
Kommen wir nun zum aktuellen Album Wake-Up Call, welches in Lockdown-Zeiten entstand. Frustriert vom quasi verordneten „Arbeitsverbot“ vieler Musiker sind auch Chesters befreudetes Künstlerpaar Michiko (Keyboards) und PeeWee Hill (Bass), mit denen er schon seit den frühen 80ern jammte und sie auch auf A Joyful Noise stark eingebunden hatte, dazu verdammt, zuhause nur mit programmierten Drums arbeiten zu können. Das nimmt Chester zum Anlass, für die beiden zuhause Drum-Tracks ohne Begleitung aufzunehmen und die Files den beiden für weitere Verwendung zu überlassen.
Inspiriert von Chesters Drums wachsen die nackten Files nach und nach zu Stücken. Für die drei Beteiligten fühlt es sich 30 Jahre nach A Joyful Noise plötzlich nach „Reunion“ an, und man feilt weiter an den Tracks und lässt sie durch Gast-Beiträge (darunter auch Chesters Sohn Akil) veredeln, bis ein komplettes Album mit 41 Minuten Spiellänge daraus geworden ist. Auch wenn das Album von Chester Thompson verüffentlicht wird, sind die Tracks allesamt Gruppen-Kompositionen von Chester, Michiko und PeeWee.
01 Wake Up Call (3:59)
Mit viel Dampf startet der flotte Opener und Titel-Track. Bläser Breaks, Funk-Guitar und Leit-Motiv auf verstimmtem Analog-Synthie geben hier den Ton an. Als Bonus gibt’s noch knackige Gitarren- und Bass-Soli.
02 Sunrise (4:46)
Der entspannte 6/8-Groove von Chester bildet die Basis für Piano-Arpeggios und Fretless Bass, wobei sich im Refrain das Stück fast schon Hymnen-artig aufbaut. Da dürfen Keyboard-Strings und Moog-Melodiebögen nicht fehlen.
03 Hide And Seek (4:14)
Das Stück, mit dem laut Chester alles begann! Eine groovige Nummer zwischen FusionJazz und Funk mit teils geheimnisvoll-schrägen Akkordfolgen in den sphärischen Parts und mehr Trubel und Slap-Bass in den verbleibenden Teilen. Hier hören wir Chesters Sohn Akil an der Gitarre.
04 Feel It (4:59)
Es groovt weiter im eher getragenen Shuffle Feel im 7/4-Takt mit Rhodes Piano und ordentlich Percussion-Zugabe, funky Clavinet und ausufernden Soli auf Moog, Piano und Gitarre.
05 Smack ‚Em (4:14)
Das getriebene Stück zwischen Fusion Jazz und Funk wechselt zwischen düsteren und hellen Teilen und beinhaltet neben Key- und Bass-Soli auch Solo-Spots von Chester an den Drums.
06 Sometime Soon (4:38)
Das entspannte Sometime Soon besticht durch eher klassische Akkordfolgen mit Letmotiven auf Piano und Synthie und wird von einem groovigem Soundteppich aus interessanten Drum- und Percussion-Rhythmen unterlegt.
07 Attitute (4:23)
Der straighte, aber triolische Beat von Chester bildet hier die Basis für verschiedene Saxophon-Motive – und -Solo von Sheila Gonzalez, was als erweiternde Klangfarbe dem Album gut tut.
08 Joy! Joy! Joy! (4:11)
Die flotte Up-Tempo-Nummer hat eine Art Reggae-Feel ohne ein Reggae zu sein. Hier ist auch wieder Chesters Sohn Akil an der Gitarre zu hören. Melodie-bögen werden hier oft von verschiedenen Instrumenten mehr- oder einstimmig gespielt. Der Titel passt!
09 Reflection (5:40)
Der längste Track am Ende kommt in einem eher Bluesig-langsamen 6/8-Groove daher, ohne wirklich Blues zu sein. Die sehnsüchtigen String-Akkordfolgen bieten hier aber trotzdem viel Raum für melancholische Gitarren und Piano-Ausflüge. Und die Steigerung gegen Ende des Tracks bildet einen passenden Abschluß des Albums.
Fazit
Es ist schön, Chester mal wieder am Schlagzeug zu hören. Und dass das Album kein geplantes war, hört man auch: alle Beteiligten scheinen entspannt an die Sache heran gegangen zu sein, da die Herangehensweise mit Chesters Initial-Drumspuren sehr ungewöhnlich ist. Die neun instrumentalen Tracks bieten genug Abwechslung zwischen Funk, Fusion und Pop, um keine Langeweile aufkommen zu lassen. Allerdings sollte man keine Abneigung gegenüber improvisierten Solo-Parts der verschiedenen Beteiligten haben, denn davon gibt es reichlich. Für manche dürfte die Platte vielleicht etwas zu keyboard-lastig sein, aber die Sounds sind allesamt geschmackvoll gewählt. Das Album ist jedenfalls musikalisch mindestens ein würdiger Nachfolger von Chesters Debüt-Album, wenn nicht sogar das bessere von beiden.
Besetzung
Chester Thompson: Drums
Michiko Hill: Piano & Keyoards
Robert „Peewee“ Hill: Bass
außerdem dabei
Akil Thompson: Guitar (3, 5, 8)
Caleb Quay: Guitar (7, 9
Ronnie Vann: Guitar (4)
Brendan Harkin: Guitar (1); Mixing Engineer
Jeff Coffin: Saxophones (5
Scheila Gonzalez: Saxophnes (7)
Walter Rodriguez: Percussion
Gary Hedden: Mastering
Wake-Up Call ist als CD, Vinyl-LP (auch signiert) und als 16bit oder 24bit Download über Chesters Bandcamp-Seite zu bekommen. Mehr Input über Chester bekommt ihr auf seiner offiziellen Website.
Autor: Steffen Gerlach