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Chester Thompson Interview | Der Genesis-Live-Drummer im Gespräch (Düsseldorf 2007)
Vor dem Genesis-Konzert in Düsseldorf am 26.06.2007 trafen Helmut Janisch und Christian Gerhardts den Genesis Live-Drummer Chester Thompson zum it-Interview.
it: Wenn du das mit der Genesis-Tournee 2007 vergleichst, wo liegt der Hauptunterschied?
Chester: Das kann man nicht miteinander vergleichen. Das sind ganz verschiedene Sachen. Phils Musik ist ganz verschieden von der Musik von Genesis. Kleinere Gruppen, also einfacher.
it: Wann hast du erfahren, dass Genesis wieder eine Tour durch große Stadien machen werden?
Chester: Sie haben mich im Sommer angesprochen, im August etwa.
it: Dann habt ihr in New York geprobt. Wie war das?
Chester: Oh, das war tatsächlich ziemlich gut. War nie sehr schwierig. Wir haben uns einfach durch die Stücke gespielt, um zu sehen, was gut ist und ob man noch was dran machen muss. Das Schöne war: Es war sehr lebhaft – viel Gelächter, viel mehr als früher. Die Stimmung war sehr gut und ich war sehr froh, dort zu sein. Wie es eben ist, wenn alte Freunde zusammen jammen.
it: Hattet ihr eine Liste der Stücke, die ihr proben wolltet?
Chester: Natürlich war das alles sehr durchorganisiert, das wisst ihr doch auch. [lacht]
it: Danach ging es zu weiteren Proben nach Cossonay. Es heißt, ihr hättet dort andere Stücke geprobt. Gab es etwas, das du gerne gespielt hättest, das aber nicht geprobt wurde?
Chester: Hm…. in New York haben wir ein paar Sachen geprobt, die wir nicht in Cossonay gespielt haben. Ich glaube, davor [vor Cossonay] wurde noch mal sehr sorgfältig über die Stücke gesprochen. Auch in New York haben wir über vieles gesprochen. Wenn man das mal durchgeht, sind da so viele Stücke – das ist unmöglich … wirklich schwierig. Es hätte auch eine völlig andere Show sein können – zweieinhalb Stunden komplette andere Stücke. Ich glaube, sie haben die beste Kombination gefunden. Ich weiß nicht, ob es für die USA Änderungen geben wird. Vielleicht ein paar Kleinigkeiten.
Abacab spielen wir gerade nicht – ich weiß nicht, ob wir das wieder spielen werden. Ich hatte erwartet, dass wir das spielen würden. Anfangs dachte ich auch, dass wir vielleicht Behind The Lines mit Gesang spielen würden. Meine beiden Söhne wollten wissen, ob wir auch
Dodo spielen, weil sie dieses Stück sehr mögen.
it: Welchen Eindruck hattest du, als du die Bühne in Brüssel zum ersten Mal gesehen hast?
Chester: Es war unglaublich! So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen. Es sieht aus, als würde man da Achterbahnen rüberfahren lassen…
it: Aber der Bereich, in dem ihr tatsächlich spielt, ist kleiner als auf früheren Touren…
Chester: Ich habe da immer die Augen zu, ich sehe nichts. [lacht] Wenn ich dann spiele, kann ich nicht abgelenkt werden. Ich achte auch nie auf die Beleuchtung. Manchmal schaue ich ins Publikum. Also, meine Augen starren hin, aber ich nehme nichts wahr, weil ich mich auf das Stück konzentriere.
it: Du schaust also nie darauf, was Tony oder Mike machen?
Chester: Manchmal schon, für’s Timing. Und wir lachen auch über vieles auf der Bühne. Wenn da auf der Bühne irgendwas passiert, schauen wir einander an und lachen los. Ich glaube nicht, dass das Publikum weiß, worüber wir lachen. [lacht]
it: Wenn du diese Show mit der von 1992 vergleichst, die ja auch eine gewaltige Produktion war – was ist der Unterschied? Ist es diesmal weniger Druck und mehr Spaß?
Chester: … Daran erinnere ich mich nicht … [lacht] Naja, ich bin eben freischaffend. Ich mache alle mögliche Musik. Es ist ja nicht so, dass ich nur auf die nächste Tour warte. Ich lehre an der Universität. Ich bin auf jeder Menge Studioaufnahmen… Ich weiß nicht, ob ich das miteinander vergleichen kann. Im Großen und Ganzen, glaube ich, bringt es allen mehr Spaß. Ich habe jedenfalls immer Freude daran. Alle kommen besser miteinander zurecht, weil alle erst mal fünfzehn Jahre lang ihr Leben gelebt haben. Sie haben
Calling All Stations gemacht, andere Sachen ausprobiert und alle machen ja auch noch Soloprojekte. Wenn man dann wieder zusammenkommt so wie jetzt, dann deshalb, weil alle Lust dazu haben. Bei manchen Bands ist es bekannt, dass sie sich streiten und solche verrückten Sachen. Genesis waren da nie so. Von meiner Warte aus ist alles besser, vor allem die Gefühle zwischen uns.
it: Das Schlagzeugduett, das ihr auf dieser Tour spielt, beginnt eigentlich auf Barhockern. Wie seid ihr auf diese Idee gekommen?
Chester: Wir haben es immer so geschrieben [lacht]. Das Stück fängt nie am Schlagzeug an. Normalerweise spielen wir gemeinsam auf einem Stuhl im Hotel und nehmen das dann auf. Als wir es diesmal aufgenommen haben, war es anders. Meistens hat so ein Hocker eine Korkdecke, diesmal war es Leder und klang richtig gut. Und wir haben es auf Computer aufgenommen statt auf Kassette wie sonst. Als wir uns das anhörten, war der Sound richtig mächtig. Da hatte Phil dann die Idee, das auf der Bühne auszuprobieren. Das war schon sehr lustig. Alle zogen los und suchten passende Barhocker. Danny klapperte die Möbelläden ab … [lacht]
it: Gibt es außer dem Schlagzeugduett einen Lieblingssong für dich bei dieser Show?
Chester: Hmmmm….
Throwing It All Away hat einen schönen Groove, ganz was anderes, mit sehr viel Soul. Ich muss aber sagen, dass es da nichts gibt, was mir nicht gefiele. Es gibt in dieser Show kein Stück, bei dem ich das Gefühl hätte, dass ich es nicht spielen möchte. Ich habe da eine andere Einstellung: Wenn ich in deiner Band mitspiele oder bei Genesis oder sonst wo, dann habe ich keine Meinung. Es ist mein Job, keine Meinung zu haben. Meine Aufgabe ist es, so gut wie möglich zu spielen. Also höre ich zu, lerne jedes einzelne Detail. Und wenn ich mich darauf konzentriere zuzuhören, habe ich keine Zeit für eine Meinung. Wenn ich mir die Aufnahme von einer Show oder so anhöre, denke ich mir „Oh, das gefällt mir“. Während ich spiele, sind die Stücke alle gleich, weil ich mich auf das aktuelle Stück konzentriere. Wenn mir eines besser gefiele als das andere, wäre das gefährlich.
it: Verfolgst du neben der Genesis-Tour noch andere Projekte?
Chester: Die Tour beansprucht im Moment meine ganze Konzentration. Ich habe an der Uni gelehrt. Das war vielleicht keine gute Idee. Es wäre einfacher, wenn ich nicht unterrichten würde, weil ich sehr beschäftigt bin, wenn ich unterrichte und immer noch nebenbei als Studiomusiker mit anderen Leuten arbeite. Und diese ganze Musik vorzubereiten war wirklich schwierig. Ich war sehr froh, ins Flugzeug zu steigen und mich auszuruhen, weil ich vorher keine Ruhe bekommen habe.
it: Ein Blick in die Zukunft. Du tourst jetzt seit 30 Jahren mit Genesis und Phil Collins. Kannst du dir vorstellen, dass du an einen Punkt kommst, an dem du sagst: „Jetzt ist es genug.“ ?
Chester: Wenn ich im Krankenhaus bin und sterbe, dann nicht mehr [lacht]
it: Also machst du weiter, solange du Spaß daran hast…
Chester: Immer, immer.
it: Gibt es andere wichtige Künstler, mit denen du zur Zeit arbeitest, oder nur die Lehre?
Chester: Das habe ich gemacht und ich spiele auch als Studiomusiker für viele verschiedene Leute, aber nicht auf Projektbasis. Diese Sache hier kostet viel Energie.
it: Es gibt also nichts wie Weather Report, bei denen du in den 70ern warst?
Chester: Nein, es sei denn, du hättest eine Band, bei der ich einsteige. [lacht]
it: Eine letzte Frage: Wir veranstalten jedes Jahr ein Fantreffen und haben dazu immer mal wieder einen Ehrengast eingeladen. Könntest du dir vorstellen, zu einem der nächsten Fantreffen nach Deutschland zu kommen?
Chester: Das kommt auf den Termin an.
Interview: Christian Gerhardts
Transkription und Fotos: Helmut Janisch
Übersetzung: Martin Klinkhardt