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Brand X – Masques – Album Rezension
Brand X sind 1978 ein aufgehender Stern der Fusion-Szene und veröffentlichen ihr drittes Studioalbum Masques – aber ohne Phil Collins. Thomas Jesse blickt zurück.
Brand X sind zu Beginn 1978 ein aufgehender Stern der Jazzrock – / Fusion – Szene. Die Alben verkaufen sich gut und Konzerte werden gut besucht. Damit wächst der Druck auf die Band seitens der Plattenfirma. Das Management fordert ein neues, mainstreamigeres Album, um eine breitere Käuferschicht zu erschließen.
Phil Collins ist intensiv mit Genesis beschäftigt, weil diese auch immer bekannter werden. Der Erfolg soll mit einer monatelangen Welttournee (erstmals Japan-Konzerte!) ausgebaut werden. Er muss seinen Dienst bei Brand X quittieren. Mit Kenwood Dennard war ein Jahr zuvor zwar ein guter Ersatz gefunden worden, aber dieser erscheint der Band zu verspielt, zu sehr dem Jazz verhaftet. *1
Er wird durch den Amerikaner Chuck Bürgi (Al Di Meola Liveband) ersetzt.
Allerdings bleibt das nicht die einzige Personalie. Keyboarder Robin Lumley strebt eine Karriere als Produzent an und ist ebenso unabkömmlich. Er bleibt der Band jedoch verbunden und produziert das Album Masques. So wird Peter Robinson, ein Freund der Band, von Morris Pert vorgeschlagen und bekommt den Job. *2
Apropos Morris Pert: Er wird sich mit dem Album in den Vordergrund spielen und komponiert drei der insgesamt sieben Songs.
Im Mai 1978 geht die Band in ihrer neuen Zusammensetzung erneut in die Londoner Trident Studios und nimmt das Album auf und es wird am 08. September des Jahres veröffentlicht. Davor tourt die Band u.a. in Europa. Am 24.06. spielt man auf dem Knebworth – Festival.*3
Da auch Genesis dabei sind, nutzt Phil Collins die Gunst der Stunde und begleitet Brand X für zwei Stücke mit Percussion-Einlagen.
Album – Titel und Gestaltung:
Hier liegt nun das erste Album von Brand X vor, dessen Cover nicht von Hipgnosis gestaltet wurde. Liegt das an der Abwesenheit von Phil Collins, der die Kontakte über Genesis zu Hipgnosis hat? Will man auch ein neues Outfit wagen? Dem widerspricht das Covermotiv, das einen Beduinen aufweist und die nahöstliche Stimmung des Moroccan Roll Album-Artwork aufnimmt. Die Rückseite ziert ein Schwarz-Weiß-Foto, das die Bandmitglieder herausgehoben aus einer Menschenmenge, Besucher eines Open-Air-Ereignisses, zeigt. Die US-Pressung verfügt nicht über den weißen Rahmen. Die Fotos füllen die gesamte Hülle aus.
Der Titel spricht von Masken, Maskierungen. Eine Anspielung der Band auf ihren Personalwechsel, der jedoch nichts an der musikalischen Ausrichtung ändert, oder auch umgekehrt?
Wer aber nun nahöstliche Klänge erwartet, wird enttäuscht.
Die Songs
The Poke: Das von Goodsall geschriebene Stück beginnt mit einem Kracher, der in einen lockeren Rocker übergeht. Erinnert etwas an Peter Banks Solo-Album The Two Sides Of… Nach knapp zwei Minuten fröhlichem Gefrickel wird es ruhiger, das Keyboard dominiert. Ein blubbernder Bass leitet die Schlussrally ein. Die Gitarre übernimmt das Thema. Schließlich wird ausgeblendet und der Hörer kann Atem holen.
Masques: In dem Song aus Jones und Robinsons Feder geht es etwas relaxter zu. Jones Bass spielt mit Keyboard und Percussion Soundscapes mit kleinen hektischen Ausbrüchen. Kann man die Ruhe der Sahara heraushören? Dann hätten wir doch einen Bezug zum Cover. Ein Stück, dass an Isis Mourning vom Livestock-Album erinnert.
Black Moon: Das Stück beginnt mit einem tragenden Schlagzeug und Spuren einer akustischen Gitarre und melodischen Keyboardperlen. Hören wir nach einer guten Minute etwa eine Rumba-Melodie, die von Xylophon und herrlichem E-Piano-Solo übernommen wird? Nun, der Rezensent fühlt sich jedenfalls in eine südamerikanische Nacht in einer Bar versetzt. Robinson spielt hier ganz fein, treibt die Melodie voran, die gelegentlich vom Thema umlagert ist. Es ist eine schöne, relaxte Pert-Nummer, die an Pierre Moerlens Gong denken lässt.
Deadly Nightshade: Das mit 11.22 Minuten längste Stück des Albums wurde ebenfalls von Pert komponiert. Ein Xylophon spielt eine kinderliedartige Weise, um von Gitarre, Bass und Schlagzeug in einem tragenden Rhythmus abgelöst zu werden. Nach 1.30 Minuten blubbert Keyboard, Bass, Schlagzeug und Perkussion zunächst gebremst, dann immer schneller werdend. Das Keyboardsolo wird bestimmend, schließlich lösen Xylophon und Bass auf, brechen aus und werden wieder gebremst.
Das Stück ist eine Achterbahnfahrt der Rythmen, die durch ein Gitarrensolo ab ca. Minute 5 in proggige Bereiche gelenkt werden. Es erinnert etwas an Hacketts erstes Solo-Album und an Wot Gorilla? von Genesis. Ab ca. Minute 7 überdeckt ein Keyboardschatten die vergehenden Instrumente, um nochmals von Goodsalls Gitarre hinweggefegt zu werden. Ein herrliches Solo! Glockenschläge führen uns zu einem bombastischen Ende. Genesis lässt grüßen – obwohl, der Collins ist ja gar nicht dabei! Bürgi ersetzt ihn Klasse. Halt! Bei Minute 10 ist noch nicht Schluss. Eine Reprise schließt mit Soundscapes.
Eine Nebenbemerkung sei erlaubt: Strawbs haben ein Lied gleichen Titels auf ihrem ebenfalls 1978 erschienen Album Deadlines veröffentlicht. Beide haben nichts miteinander zu tun., denn die Musik kann unterschiedlicher nicht sein.
Earth Dance: Das dritte Perth-Stück umschmeichelt den Hörer mit einem rythmusbetonten Latin -Feeling. Jones Bass duelliert sich mit Perths Perkussionauswüchsen und dem relaxten Schlagzeug von Bürgi. Man könnte fast zu dem Stück tanzen?
Access To Data: Wen wundert es, dass bei einem Goodsall-Stück das schöne ca. zweiminütige Gitarren – Solo ab Minute 2.40 das Ausrufezeichen setzt? Es begleitet eine straighte, sehr perkussive Nummer, die an Bruford erinnert und es wird leicht und locker jam-artig musiziert.
The Ghost Of Mayfield Lodge: Der Titel beruht auf Erlebnissen von Percy Jones, der von 1972 bis 1977 in einem ehemaligen, umgebauten Kutschenhaus in Kent mit ein paar Kumpels wohnte. Nach einer kurzen Zeit begannen sie merkwürdige Geräusche, ein Klappern, Poltern, Scheppern u. ä., zu hören. Deren Ursache haben sie nicht herausbekommen. Jahre später erfuhr Jones, dass sich im Gebäude ein Stalljunge erhängt hatte. War es sein Geist, der im Haus spukte? *4
Der Song nimmt diese Geschichte, beginnend mit leisem Rasseln, auf und explodiert dann in einer vom Bass geführten Klangorgie. Die Keyboards jaulen geisterhaft. Der fast fröhliche Beginn schlägt ab Minute zwei in eine bedrohliche düstere Stimmung mit progressivem Bombast um. Goodsall zeigt dem Hörer mit kleinen Solo-Einlagen, was für ein guter Gitarrist er ist. Abrupt endet der Krawall bei Minute vier, um mit einem Gerassel und Geblubber für eine schmunzelnde Geisterminute zu sorgen. Das leise Getrappel wird aber schnell wieder lauter, eruptiert, um bei ca. Minute 6.50 zum Thema des Beginns zurückkehrend in ein lockeres Jazzrockfinale überzuwechseln und leiser werdend zu enden. Es ist ein toller Abschluss des Albums.
Fazit
Allen Unkenrufen bezüglich des Abgangs von Phil Collins zum Trotz, legen Brand X mit Masques ein versiertes, gutes Album vor. Chuck Bürgi ersetzt Phil ohne Probleme und er spielt gradlinig und routiniert. Das Album feiert Morris Pert, dessen Percussionspiel wundervoll ist und seine drei Songs den Schwerpunkt des Albums bilden.*5
Percy Jones spielt zum ersten Mal einen Fretless Wal Bass. *6
Er und John Goodsall halten die Musik und die Band zusammen und Peter Robinson lässt einen Robin Lumley, der das Album unaufgeregt und auf die Band zugeschnitten produziert, vergessen. Man merkt dem Spiel der Musiker Routine an, aber große Experimente werden nicht gewagt. Vielleicht das einzige, kleine Manko ist, dass Brand X sind zu der Zeit am Zenit ihres Könnens. Das Album ist lockerer, straighter als seine Vorgänger. Dem aufgeschlossenen Hörer fällt es so leicht, in die komplexe Musikwelt aus Fusion und Jazzrock einzutauchen.
Anmerkungen:
*1. zu Kenwood Dennard
*2. Ich verweise auf die ausgezeichnete Bandgeschichte von Steffen Gerlach:
*3. Siehe hier:
*4. Hier nachzulesen
*5. Zu Morris Pert
*6. Zu diesem Instrument
Autor: Thomas Jesse