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Brand X – Is There Anything About? – Rezension

Is There Anything About war das letzte Studioalbum von Brand X mit Phil Collins – es entstand aber, als die Band gar nicht mehr existierte. Thomas Jesse erläutert die Umstände und gibt Einblicke in das Album.

Vorbemerkung

Leider ist wieder ein ehemaliger Musiker der Band gestorben. Es handelt sich um Frank Katz, der die Band von 1992 bis 1997 als Schlagzeuger begleitete und half die Fahne hoch zu halten *1. Ihm ist diese Rezension gewidmet.

Hintergrund

Vor 40 Jahren erschien mit Is There Anything About? das letzte Studioalbum von Brand X mit Phil Collins. Mit dessen Erscheinen endete endgültig die erste und fruchtbarste Bandphase. *2

Man darf allerdings nicht unterschlagen, dass die Band bei der Entstehung des Albums nicht mehr existierte. Percy Jones und John Goodsall zog es in die USA, Phil Collins war mit seiner unglaublich erfolgreichen Solokarriere beschäftigt (er werkelte bereits an seinem zweiten Soloalbum) und die restlichen Bandmitgliedern verdingten sich als Sessionmusiker. Ihr europäisches Plattenlabel Charisma hatte die Band längst fallen gelassen. Nur mit Passport Records in den USA bestanden noch vertragliche Verpflichtungen. Brand X „schuldeten“ dem Label ein Album. Robin Lumley sollte den Versuch unternehmen, dieses Album zu produzieren – ohne aktive Band! Er zog sich mit Produzent Steven Short *3 und Saxofonist Raphael Ravenscroft (Wer kennt nicht dessen Solo auf Gerry Raffertys Baker Street?) *4 in die Trident Studios zurück. Gemeinsam mit ihnen durchforstete er vorhandene Outtakes und liegengebliebenes Material, hauptsächlich aus den Sessions für die beiden Vorgängeralben. Somit ist Is There Anything About? kein richtiges, neues Album, sondern eher eine Sammlung von Remixen und überarbeiteten Outtakes.

Titel und Covergestaltung

Cover

Ein in einen Frack gekleideter, weiß behandschuhter Mann winkt dem Betrachter mit gezogenem Zylinder zu. Er ist nur verschwommen zu erkennen, da er sich hinter einer Wand aus Spezialglas befindet. Wer nun denkt, wieder eine skurriles Hipgnosiscover zu erblicken, irrt. Es ist der nicht ganz unbekannte Bill Smith *5, der sich verantwortlich zeigt. Soll es ironisch den Abschied der Band symbolisieren?

In den Linernotes wird u. a. Tony Smith als Gründer der Band gewürdigt. Der Titel des Albums könnte sich auf das Ende der Band beziehen. Gibt es etwas über…? Nicht unwahrscheinlich, da der schräge Humor der Band(mitglieder) bekannt sein dürfte. Beweis dafür ist auch das letzte PS in den Linernotes: Some of the so-called humorous material was nicked from the best-selling book „HOW TO SPELL“ by HM The Quoon (sic!).

Songs

Ipanaemia (Goodsall) – 4:12

Der Opener des Albums wird, wie der Großteil der Tracks, gespielt von Goodsall, Collins, Giblin und Lumley. Eine schräge Gitarrenmelodie eröffnet das Stück und führt durch den Song. Begleitet wird sie von einer Basslinie und gefühlvollem Schlagzeugspiel. Ab ca. einer Minute übernimmt eine akustische Gitarre die Führung und duelliert sich im Laufe der Zeit mit der elektrischen. Kleine Breaks sind eingebaut, ein Synthisolo ist zu hören und immer wieder blubbert der Bass. Ein schönes, leichtes, typisches Jazzrockstück aus der Zeit um Product, geprägt von Goodsall.

A Longer April (Giblin) – 7:14

Bereits auf Product gibt es das Stück April *6. Es ist allerdings nur gut zwei Minuten lang und besteht im Wesentlichen aus einer Basslinie und sanften Keyboardteppichen. Das längere Outtake des Stücks wurde neu überarbeitet. Mit Ravenscroft wird erstmals in der Bandgeschichte ein Saxofon hinzugefügt. Geräusche einer friedlichen Landidylle werden von einem Fretless – Bass untermalt. Er wird ganz gefühlvoll von Giblin gespielt. Langsam streichelt Phil sein Blech, ein Keyboard schlägt harmonische Wellen, das Schlagzeug wird lauter, eine Gitarre versucht gegen den Bass anzukommen, aber dies gelingt nur dem Saxofon. Ein schönes, ruhiges, fließendes fast New-Age-artiges Stück Musik, das zum Träumen einlädt und mit Geräuscheffekten, Gitarrenarpeggien und einem Saxofonschrei endet. Mhm, New Age – Jazzrock? Ein Highlight, nicht nur des Albums!

Tmiu-Atga (Giblin, Robinson, Lumley) – 4:43

Der Track rückt auf der CD an diese Stelle. Es löst das sich auf der Vinyl-Version hier befindliche Modern, Noisy And Effective ab. Letzteres erhält seinen Platz als Ausklang am Ende der CD. Der Titel ist nicht ein geheimnisvoller Text in irgendeiner fernöstlichen Sprache. Er bedeutet: They’re Making It Up As They Go Along. Motto: Die drei Komponisten haben das Stück so nebenbei improvisiert eingespielt. Wieder beginnt es ruhig mit einem Keyboardsolo und sanften Basstupfern. Erinnert etwas an Anthony Phillips K2 mit Jazzanklängen, oder auch an Lyle Mays Solo Album gleichen Namens. Auf der CD schließt es dramaturgisch klug an das ebenfalls ruhige A Longer April an.

Swan Song (Giblin, Lumley, Collins, Short) – 5:26

Der Schwanengesang der Band? Nun, es wird laut, ein geslapter Bass *7 von Giblin bestimmt das Thema, fanfarenartige Keyboards leiten über in ein klasse Gitarrensolo. Das Schlagzeug spielt, sich treubleibend, ohne Aufregung den Rhythmus. Nach zwei Minuten wird es etwas schneller und wir hören die Ahs und Ohs eines Chorgesangs.

So mäandert das Stück im Grundthema seinem Ende entgegen. Short muss das Outtake noch ein bisschen produktionstechnisch aufgepeppt haben. Nützt nicht viel. Der Schwanengesang bleibt unscheinbar.

Is There Anything About? ( Jones, Goodsall, Lumley, Collins) – 7:47

Das Highlight des Albums! Liegt es an den fast schon freejazzigen Bassfiguren von Jones, der hier das einzige Mal auf dem Album spielt? Das Schlagzeug wird aufgeblendet und frech vom Bass in den Hintergrund gedrängt. Das Keyboard steuert Sirenengesang dazu. Die herrliche Gitarre von Goodsall spielt auf, nur um von Lumleys Keyboard abgelöst zu werden. Nun trommelt sich auch der Collins in einen Rausch. Das erinnert an Weather Report. Das Stück stammt übrigens aus den Sessions zu Moroccan Roll und hieß ursprünglich Moammar!

Is there anything about? Ja, Brand X in fantastischer Form. Es blubbert, dröhnt, kracht, zischt, dass es eine wahre Freude ist. Improvisierte Musik, die nie über das Ziel hinausschießt. Das ist der verspielte Sound dieser einzigartigen Band.

Modern, Noisy And Effective (Goodsall, Lumley, Short) – 3:55

Fanfarenartige Keyboardklänge prägen den fröhlichen, lockeren Abschluss. Wieder wird man an Lyle Mays erinnert. Es hört sich so an, als ob Robinson, der hier einmalig mitspielt, und Lumley unbedingt zeigen wollen, welch ein Geräuschorkan von zwei Keyboardern erzeugt werden kann. Eine schöne Stadionrock-Hymne a la Brand X. Sehr einprägsam, rockig. Ja, eine kurze Nummer, die sogar eine Prise Pop abbekommen hat. Grundlage für dieses Stück bildet der Backingtrack für Soho vom Album Product.

Zusammenfassung

Is There Anything About? ist tatsächlich der Schwanengesang der Band. Längst in alle Winde zerstreut, von der Plattenfirma fallengelassen, wirkt das Album ein wenig zusammengekleistert und bemüht. Es scheint nicht organisch, aus einem Guss. Nicht umsonst wurde auf der CD-Version mit dem Tausch zweier Stücke versucht, einen Fluss herzustellen. Zwei Stücke sind überragend und lohnen den Kauf des, leider auch sehr kurzen, Albums: Das hypnotische, wunderschöne, verträumte A Longer April und der herrlich jazzrockende Titelsong. Zu erwähnen ist noch das muntere Ipanaemia. So bleibt doch ein fader Beigeschmack, denn immerhin sollte das Album das letzte der großen Ära der Band bleiben. Schon der Vorgänger konnte nicht hundert prozentig überzeugen. Die Luft war endgültig raus. Dennoch lohnt sich die Anschaffung als lockerer, kurzer Einstieg ins Brand X Universum. Es ist positiv anzumerken, dass die veröffentlichten Stücke nicht in den Archiven verstaubt sind.

Es sollten in nächsten Jahren noch einige Sampler erscheinen, bevor viel später ein Neustart mit verändertem Lineup gelang.

Autor: Thomas Jesse

Anmerkungen:  

*1. Siehe Facebook
*2. Wie immer: Vielen Dank an Steffen Gerlach für seine hervorragende Bandgeschichte!
*3. Der 2015 verstorbene Steven Short war Sound-Engineer und Produzent. Er arbeitete vornehmlich in den Trident – Studios und ist im Genesis-Lager kein Unbekannter siehe Wikipedia und Discogs.
*4. Auch er lebt nicht mehr. Siehe hier
*5. Über Bill Smith braucht man hier nicht viel Worte zu verlieren. Der Hinweis auf ein schönes Buch sei gestattet.
*6. Siehe hier
*7. Details zur Slap-Technik: