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Anthony Phillips – verschiedene Alben 2008-2012 – Rezension
Anthony Phillips bleibt unangefochten das Genesis-(Ex-)-Bandmitglied mit den meisten Album-Veröffentlichungen. Ob die Quantität auch mit entsprechender Qualität einhergeht, beleuchtet Andreas Lauer in seiner kurzer Vorstellung der fünf aktuellsten CDs von Ant.
Seven Long Years, nein, sogar acht sind verstrichen seit der Veröffentlichung von Anthony Phillips‘ grandiosem Doppelalbum Field Day, und das langersehnte Anthony Phillips Event des Fanclubs wirft erfreulicherweise nun seine Schatten voraus. Höchste Zeit zurückzublicken, mit welchen Albumveröffentlichungen Ant in der Zwischenzeit seine Fans bei der Stange gehalten hat. Die konstante Arbeit an Musik für Fernsehen und Libraries sowie an diversen interessanten Wiederveröffentlichungen älterer Alben ließen ihm nicht allzu viel Zeit für die Einspielung oder Zusammenstellung neuer CDs. Und so sind die seit Field Day erschienen fünf Alben innerhalb von Ants bisherigem umfangreichem Œuvre sicherlich in ihrer Bedeutung als zweitrangig einzuordnen.
Formal lässt sich das an folgenden drei Eigenschaften festmachen, von denen auf jedes der fünf Alben mindestens eine zutrifft: (1) Das Album enthält zum Teil oder komplett Aufnahmen oder Kompositionen, die schon vor Jahren veröffentlicht wurden. (2) Das Album ist kein reines Anthony-Phillips-Album. (3) Kein Stück auf dem Album kommt auf wenigstens vier Minuten Dauer. Trotz ihrer geringeren musikalischen Bedeutung lassen die Veröffentlichungen aber zumindest die Herzen der Phillips-Fans höher schlagen, denn sie enthalten manche lange gesuchte Rarität, stellen die Fortsetzung beliebter Alben-Serien dar oder sie zeigen Ant beim Beschreiten neuer Wege …
Wildlife
Im Jahr 2008 erschien mit Wildlife eine Zusammenstellung von Musik, die für Tierdokumentationen entstanden war. Es handelt sich um ein Album von Anthony Phillips und Joji Hirota, wie seinerzeit schon Teil III der Serie Missing Links: Time And Tide. Es verwundert, dass Ant Musik dieses Genres diesmal nicht als Teil dieser Serie veröffentlicht, zugleich fällt auf, dass es inhaltliche Überschneidungen mit Time And Tide gibt. So beginnt Wildlife mit dem Stück Creatures Of The Magic Water, einer Alternativversion von Amazonas, das Time And Tide eröffnet.
Andere Tracks auf Wildlife sind aber auch erstmals kommerziell erhältlich. So beispielsweise das schlichte, nur 53 Sekunden lange, aber eindrucksvolle Nighthunt (Track 29) aus der Dokumentation Bears Of The Russian Front. Zu den elf Dokumentationen, aus denen die 45 säuberlich sortierten Stücke stammen, gibt es im Booklet genauere Angaben und einen ausführlichen Begleittext von Ant. Er nimmt dabei besonders Bezug auf den charismatischen Tierfilmer und Forscher Nick Gordon, der an einem Großteil der Dokumentationen beteiligt war und 2004 in Südamerika starb. Das Album ist eine gute Wahl, wenn man Ants (und Jojis) Musik für Tierdokumentationen kennenlernen möchte – eine Abenteuereise durch Tier-, Klang- und Stimmungswelten mit sensibel programmierten elektronischen Klängen und echten Instrumenten.
Missing Links Volume IV: Pathways And Promenades
2009 wurde die Serie Missing Links dann doch fortgesetzt: Teil IV, Pathways & Promenades, versammelt neben einiger Library-Musik (darunter Sleeping Giant und zwei Stücke, die für die ZDF-Serie Terra X. verwendet wurden) zahlreiche Stücke, die seit 1986 auf verschiedensten Kompilationen und Samplern erschienen waren und für Fans zum Teil schwer aufzutreiben waren.
Darunter sind einige Perlen, z. B. das heitere Promenade in seiner brillanten 1986er Version und das triste Danza Cuccaracha, die beide Ants Virtuosität als Gitarrenkomponist beweisen, oder Halcyon Days, das während der Sessions für Private Parts & Pieces IX: Dragonfly Dreams entstanden war.
Ahead Of The Field
Im darauffolgenden Jahr veröffentlichte Ant ein Library-Projekt namens Ahead Of The Field aus dem Jahr 1985. Die nicht kommerziell erhältliche Library-Schallplatte von 1985 sah komplett anders aus und enthielt zudem deutlich mehr Informationen als die CD von 2010, deren Booklet außer den suggestiven Titeln der 14 kurzen Rhythm-And-Synthie-Stücke (wie Stress Factor, Metal Man oder Databank) keinerlei Angaben zu dem Projekt oder den Stücken bietet. Das 1985er Sleeve pries die Kollektion an als „modern, punchy, industrial themes with the emphasis on rhythm, composed by Anthony Phillips and played by X-Cess“: ein Album, das definitive nur für Phillips-Sammler von Interesse ist.
Seventh Heaven
2012 überraschte Ant mit einer Kooperation mit dem jungen britischen Komponisten, Arrangeur und Produzenten Andrew Skeet, der unter anderem mit Soundtracks für Film und Fernsehen Bekanntheit erlangt hat. Das gemeinsame Doppelalbum Seventh Heaven – mit einem netten Magritte-Motiv auf dem Cover – enthält gemeinsame Kompositionen und solche von Phillips, insgesamt 36 Tracks. Die Arrangements verwenden häufig Streichorchester (arrangiert von Andrew Skeet), ebenso auch viele Soloinstrumente und Frauenstimme hier und da. Unter den hochprofessionellen Mitwirkenden ist mit Martin Robertson auch ein alter Bekannter zu finden, der immer wieder mit Anthony Phillips und Tony Banks zusammenarbeitet.
Die Aufnahmen fanden von 2008 bis 2011 statt. Die Stücke haben vorwiegend impressionistisch-meditativen Charakter, sind schlicht und wenige Minuten kurz gehalten und stehen kaum in Bezug zueinander. Man entdeckt darunter auch einige erweiterte Arrangements von Stücken, die auf Field Day erschienen waren – Erweiterungen, die diese Stücke nicht brauchten, wie auch überhaupt dieses Doppelalbum keine echte musikalische Offenbarung darzustellen scheint. Die Kooperation mit Andrew Skeet darf wohl, wie auch die mit Guillermo Cazenave, als nicht so produktiv wie jene mit Harry Williamson oder Quique Berro Garcia eingestuft werden.
Private Parts & Pieces XI: City Of Dreams
Im selben Jahr beglückte Ant seine Fans mit einer Fortsetzung der bereits beendet geglaubten Reihe Private Parts & Pieces. Nr. XI, City Of Dreams, besteht aus 31 maximal 3 Minuten 10 Sekunden kurzen, meist elektronischen Stücken, die kaum Höhepunkte aufweisen und mit ihrem Klangflächencharakter eher Ants Produktions- als seine Kompositionskünste unter Beweis stellen, und ist damit wohl das am wenigsten bedeutsame Album der 1978 begonnenen Serie. Leider enthält auch hier das Booklet keinerlei nähere Angaben zur Musik.
Und so darf man gespannt sein, wann Anthony Phillips wieder die Zeit und die Muse (!) findet, komplexere, anspruchsvollere Musik zu schreiben und vielleicht wieder den einen oder anderen Song – für glanzvolle Überraschungen ist der musikalisch führende Kopf der ganz frühen Genesis jedenfalls immer noch zu haben.
Autor: Andreas Lauer