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Anthony Phillips – The Geese And The Ghost – 2008 Remaster 2CD Rezension
Anthony Phillips‘ Debüt-LP gilt unter Genesis-Fans als Kultalbum, da es spät in den ’70ern eine beachtliche Marke im Progressive Rock-Genre setzte. Nun liegt eine Remaster-Version vor. Eines der Highlights ist die Studioversion von Silver Song, gesungen von Phil Collins, auf der Bonus-Track-CD. Tom Morgenstern hat sich die neue Version dieses Klassikers genauer angehört.
Als ich im Mai 2006 Gelegenheit hatte, Ant Phillips zu fragen, wann denn die lange angekündigten Remasters der Alben The Geese & the Ghost, Wise After The Event und 1984endlich erscheinen würden, sagte er nur „Soon, very soon“. Das zuerst angekündigte Erscheinungsdatum war da bereits verstrichen, trotzdem schien er zuversichtlich. Doch erst über ein Jahr später, im Juli 2007 wurden die CDs dann zunächst nur in Japan veröffentlicht – in der dort landesüblichen, originalgetreuen Mini-Vinyl-Replica-Verpackung – der Rest der Welt musste weiter warten, oder sich die Scheiben teuer bei Ebay besorgen – am Besten gleich in der 8CD-Box-Edition im Schuber für 200 Dollar.
The Geese & the Ghost im Bonsai-LP-Cover ist schon eine sehenswerte Angelegenheit, wenngleich die Farben ruhig ein wenig kräftiger hätten ausfallen können. Das Innencover mit den Erläuterungen zu Henry und den Songtexten, das der deutschen Vertigo-LP-Ausgabe gefehlt hatte, ist nicht nur vorhanden, sondern in der selben eigentümlichen Art beschnitten wie im Original. Im Gegensatz zu anderen Japan-Releases fehlt jedoch dem offenbar ausführlichen Beilagenzettel eine englische Übersetzung. Die ausführlichen und hochinteressanten Liner-Notes von Projektleiter und Archivverwalter Jonathan Dann bleiben so dem Sprach- und Schriftunkundigen leider verschlossen. Obwohl als Doppel-CD angekündigt, ist im stabilen Cover jedoch kein Platz für die Bonus-Track CD. Stattdessen befindet sich diese in einer zweiten, unabhängigen Papphülle von der gleichen Größe und Stärke wie das liebevoll reproduzierte Cover der eigentlichen CD. Auch hier finden sich leider nur die Minimalinformationen zu den einzelnen Titeln.
Die im April 2008 dann endlich auch in Europa erschienene Ausgabe gibt sich jedoch in dieser Hinsicht leidlich Mühe. Das Booklet des 2CD-Jewelcases ist 20 Seiten dick und informativ, die Labels ziert die geharnischte Gans der Cover-Rückseite; nicht ganz gelungen erscheinen die Versuche, die Fraktur-Variante des Titelschriftzugs mit einem ähnlichen Font aufzugreifen und zum Teil sogar zu ersetzen. Dennoch kann man an der grafischen Gesamtgestaltung nicht wirklich etwas Negatives finden, sieht man davon ab, dass das Artwork von Peter Cross durch seine liebevoll ausgearbeiteten, selbst in der LP-Version oft winzigen Details für das CD-Format einfach viel zu groß ist. Den Schnecke-reitenden Mini-Ritter unten rechts zum Beispiel erkennt man nur, wenn man ihn schon einmal in Originalgröße gesehen hat. Wahrscheinlich war man sich dieses Mankos durchaus bewusst: Einige markante Ausschnitte (leider nicht der kleine Ritter) wiederholen sich im Booklet und auf der Innenseite des Tray-Einlegers in deutlich vergrößertem Format.
Das Album beginnt mit der recht kurzen, praktisch nur aus Ein- und Ausblende bestehenden instrumentalen Einleitung Wind – Tales, das nichts anderes ist als ein einminütiger Ausschnitt des orchestralen Finales von Sleepfall: The Geese Fly West – jedoch rückwärts abgespielt.
Danach folgt mit Which Way The Wind Blowsder erste eigentliche Song des Albums. Er wurde, so Jonathan Dann in seinen ausführlichen Erläuterungen im Booklet, ebenso wie die anderen Stücke der ersten LP-Seite, das instrumentale Henry: Portraits From Tudor Times und die Ballade God If I Saw Her Now, in den ersten zehn Tagen nach Ants Ausstieg bei Genesis im Juli 1970 geschrieben (eine Aussage, die zumindest auf God If I Saw Her Now nicht zutreffen kann, existiert doch von diesem Song ein Demo von 1969, veröffentlicht auf Ants hervorragendem Sampler Archive Collection Vol.1). Which Way The Wind Blows, eine langsame, romantische 12-String-Gitarrenballade mit einem längeren Instrumentalteil, wird zweistimmig gesungen von Phil Collins, sein Gesangsstil ist ähnlich verhalten wie auf den ersten Genesis-Alben, bei denen er der Leadsänger war. Phil hatte damals gerade die Aufnahmen am Debutalbum von Steve Hackett beendet, auf dem er außer den Leadvocals auch die Drums eingespielt hatte, als er zu den Geese-Sessions dazu stieß. Phil und Ant hatten, obwohl sie nie gleichzeitig Mitglieder von Genesis waren, bereits einige Male zuvor zusammengearbeitet – zuerst 1973 beim Demo für Take This Heart, ein Choral für den Charisma-Sampler Beyond An Empty Dream (diese Demo-Version ist nicht identisch mit der auf Archive Collection Vol.1 und somit leider immer noch unveröffentlicht), dann bei den Aufnahmen für die Single Silver Song / Only Your Love im gleichen Jahr und schließlich bei den Demo-Sessions mit Peter Gabriel und Martin Hall im Sommer 1974.
Eine alternative Version von Which Way The Wind Blows, 1974 aufgenommen und gesungen von Anthony Phillips selbst, findet sich ebenfalls auf Archive Collection Vol.1.
Henry: Portraits From Tudor Times, eine Gemeinschaftskomposition von Anthony Phillips und Mike Rutherford, ist eines der beiden instrumentalen Zentralwerke dieses Albums, eine mehrteilige Suite mit Motiven aus dem Leben des englischen Königs Heinrich VII. Sie ist bewusst mittelalterlich in Harmonie und Arrangement gehalten. Fanfarenklänge eröffnen und beschließen das Werk, dazwischen liegen spannungsgeladene Gitarrenduelle auf nebligen französischen Schlachtfeldern, sterbende Ritter, siegreiche Kämpfe mit dramatischen E-Gitarrensoli und schließlich die triumphale Rückkehr des Königs mit krachenden Salutschüssen und dem Schlussgesang des Chores in der königlichen Kapelle. Die einzelnen Teile, im Original sechs, hier ergänzt um einen siebten, tragen Untertitel und werden durch Miniaturen von Peter Cross und kurze Beschreibungen illustriert. Als das Album 1977 nach langen Querelen mit den Plattenfirmen endlich veröffentlicht werden sollte, erschien Henry mit seinen 14 min ein wenig zu lang. Eine längere Passage, der 1:17 min lange Lutes‘ Chorus Repriseund zwei Wiederholungen von kürzeren Phrasen wurden daher eiligst herausgeschnitten, insgesamt 1:52 min konnte man so einsparen. Leider waren die Schnitte nicht sehr geschickt gemacht, für trainierte Ohren waren sie leicht zu entdecken. Bei der Durchsicht der Masterbänder stieß Jonathan Dann auf diese später entfernten Stücke und so entschloss man sich, Henry für das Remaster erstmals in der langen, ungekürzten Version zu veröffentlichen. Ob dies dem Stück gut getan hat, ist jedoch fraglich. Die zuvor herausgeschnittenen Stücke bieten jedenfalls nichts Neues; sie sind lediglich Variation oder schlichte Wiederholung von vorhandenen Elementen. Zudem leidet an einer Stelle die Wirkung eines durch den Schnitt besonders dynamischen und dramatischen Effekts, bei der man in der gekürzten Fassung das stakkatoartige Gitarrenforte, mit dem Henry Goes To Warbeginnt, direkt auf das extrem leise Ende von Misty Battlements folgen ließ. Selbst, wenn man das Stück gut kannte, wurde man von der erheblichen Lautstärkedifferenz dieses Schnittes immer wieder überrascht. Nach dem Wiedereinfügen des Lutes‘ Chorus Reprise an genau dieser Stelle setzt Henry Goes To War nunmehr zwar immer noch unvermittelt, aber mitten in einer wesentlich lauteren Passage ein. Zusammenzucken ist hier so leider nicht mehr, die Wirkung geht verloren. Die Einzelteile der Henry-Suite wurden für die Virgin-CD-Erstausgabe mit eigenen Trackmarken versehen; darauf hat man hier glücklicherweise verzichtet. Stattdessen hat man Indexmarken gesetzt – ein Feature, das heutzutage leider nur noch selten verwendet und von wenigen Playern angezeigt, geschweige denn anwählbar gemacht wird, jedoch hier verzichtbar ist, da die Suite ein geschlossenes Ganzes darstellt.
Für God If I Saw Her Now gewann man als Duettpartnerin von Phil Collins die weitgehend unbekannte und inzwischen verstorbene Sängerin Vivienne McAuliffe, deren Nachname leider auch in diesem Booklet in der Mitwirkendenliste falsch geschrieben wird. Der Song folgt zunächst einem sehr simplen, aber wunderschönen E-Gitarren-Folkpicking, auf das ein fabelhaftes Flötensolo von Steve Hacketts Bruder John folgt. Beide Sänger nehmen sich sehr zurück und geben dem Stück eine ruhige, fragile Grundstimmung, die gut mit dem leicht tragischen Text korrespondiert. Viv McAuliffe hat die gesamte erste Strophe, sowie die letzten Zeilen der Strophen zwei und drei; Phil Collins singt den Rest, und somit die letzte Strophe allein, wenn auch zweistimmig mit sich selbst. God If I Saw Her Now ist das nachdenkliche Fazit des Songs und deshalb endet er, recht abrupt, mit dieser Zeile und damit auch die Seite 1 des Albums.
Seite 2 beginnt ähnlich wie Seite 1 mit einem kurzen Instrumentalstück, genannt Chinese Mushroom Cloud, das eigentlich nur eine kurze Sequenz des Titeltrack-Hauptthemas ist, abgespielt jedoch mit halber Geschwindigkeit. Nicht viel mehr als ein Gag, bildet es so jedoch immerhin eine etwas düstere, aber passable Einleitung zum nachfolgenden The Geese & the Ghost, das zweite instrumentale Zentralwerk dieses Albums. Dieses zweiteilige Stück wurde bereits zu Genesis-Zeiten von Rutherford und Phillips gemeinsam komponiert. Es hatte seinerzeit den Arbeitstitel D Instrumental; das Original-Demo von 1969 wurde unter diesem Titel 1996 auf Archive Collection Vol.1 erstveröffentlicht. Es bietet eigentlich alles, was Genesis-Fans gefällt, lange Passagen mit akustischen 12-String-Gitarren, komplexe Rhythmen, krumme Takte und Mellotron-Klänge (das Gerät hatte Ant sich extra für die Aufnahmen von Tony Banks geliehen), aber auch ein Streichquartett, das ein wenig zum Soundtrack-Charakter des Stückes beiträgt. Fantastisch und virtuos ist das Zusammenspiel der beiden Gitarristen – es ist unmöglich, herauszuhören, wer genau was spielt, so intensiv greifen die Instrumente ineinander. Kompositorisch gesehen ist dieses Instrumental sicherlich der frühe Höhepunkt in Phillips‘ Gesamtwerk – ein echter Klassiker. Collections lautet der einzige gesungene Titel auf Seite 2, eine ebenfalls bereits 1969 geschriebene Ballade; und diesmal singt Ant Phillips selbst, mit seiner introvertierten, in den oberen Lagen recht unsicheren und oft brüchig klingenden Stimme. Der Song beginnt ruhig, nur mit Piano-Begleitung und steigert sich zum orchestralen, bisweilen etwas kitschig arrangierten Finale. Der Übergang zu Sleepfall: The Geese Fly West gelingt fließend, als bildeten beide Stücke eine musikalische Einheit. Sleepfall– beinhaltet im Grunde nur eine einzige, achttaktige Melodieidee, die zunächst solo vom Piano gespielt, dann, von anderen Instrumenten übernommen, mehrere Male wiederholt wird und deren orchestrales Arrangement sich kräftig steigert, bis sie dann mit den Gänsen und sanften Flötentönen im fernen Westen verschwindet. Ein wunderschönes Ende eines wunderschönen Albums.
Dies ignorierend fand sich leider auf der Virgin-CD-Erstpressung danach noch als Bonustrack das Demo von Master Of Time, das, obwohl 1973 aufgenommen, entstehungsgeschichtlich ebenfalls in die Trespass-Phase fällt. Ursprünglich für das Album vorgesehen, konnte dieser Song aber aus Zeitgründen nicht bei den Album-Sessions aufgenommen werden. Sowohl von der Klangqualität als auch von Instrumentierung und Interpretation kommt diese Version an keiner Stelle über das Demo-Niveau heraus, die Überlänge (7:38 min!), Ants brüchige Stimme und die schlichte Instrumentierung lassen auch beim geneigten Hörer schnell Langeweile aufkommen und wurden im Laufe der Zeit eher zu einem Ärgernis. Master Of Time ist nunmehr völlig zu Recht auf die Bonus-CD verschoben worden, wo er keinen Schaden mehr anrichten kann.
Diese zweite CD ist laut Anthony Phillips seinem schlechten Gewissen geschuldet – er fand es nicht angemessen, das Album einfach nur zu remastern und den Fans ohne weiteren Mehrwert zu verkaufen. So finden sich neben Master Of Timehier eine ganze Reihe weiterer interessanter und klug zusammengestellter Bonustracks: Title Inspiration ist eine kurze Solo-Vorführung der beiden Sounds. Geese“ und „Ghost“) des ARP Pro-Soloist Synthesizers, die dem Album seinen Namen gaben und die im Titelsong etwa ab 4:40 zu hören sind. Es folgen eine Reihe von Basic-Track-Versionen der Album-Stücke, aufgenommen im Oktober 1974 auf Ants Vierspur-TEACs in seinem eigenen Studio in Send. Diese hat man später, im Juli 1975, in Tom Newmans schwimmendem Argonaut-Studio auf eine 16-Spur-Maschine überspielt und komplettiert. Zuerst hören wir den ersten Teil des Titelstücks, reduziert auf zwei 12-String Gitarren. Befreit vom übrigen Arrangement, lassen sich hier erstmals Melodieverläufe und das Zusammenspiel der Instrumente ungestört verfolgen.
Collections Link ist ein kurzes Pianostückchen, das den Übergang darstellen sollte zwischen dem ersten Teil des Songs, in Send 1974 aufgenommen, während der zweite, orchestrale Teil zusammen mit Sleepfallerst Oktober 1976 in den Olympic-Studios beendet werden konnte. Der Basic-Track von Which Way The Wind Blows enthält wiederum nur die beiden 12-Strings mit einem gegenüber der finalen Version leicht veränderten Schlussteil – keinen Gesang. Der gleich instrumentierte Silver Song ist insofern eine Überraschung, als dass diese Version eine Neuaufnahme darstellt – fast ein Jahr nach der (nicht erschienenen) Phil Collins-Version bei den Basic-Sessions für das Geese-Album aufgenommen. Auch die Urfassung der Henry-Suite ist hier zu hören, bestehend aus nur vier separat aufgenommenen Teilen, insgesamt 5:37 min lang. Entgegen den Angaben im Booklet sind hier jedoch zunächst keine 12-String Gitarren zu hören, sondern ein Duett zwischen einer E-Gitarre, die fast ebenso klingt wie eine klassische Gitarre und einer echten Nylon. Erst der letzte Teil, Misty Battlements, wird dann mit zwei akustischen 12-Strings gespielt.
Das folgende Demo von Collections ist einige Monate älter, aufgenommen im Frühjahr 1974 für Charisma-Boss Tony Stratton-Smith (zusammen mit Autumnal, das später auf Private Parts & Pieces erschien). Interessant ist hier vielleicht, dass Ants klagender Gesang nahezu identisch ist mit der finalen Version. Der zweite Teil des Titelstücks folgt, wiederum bei den Vierspur-Sessions enstanden. Wie beim ersten Teil bemerkt man auch hier zwar, dass viele melodieführende Instrumente fehlen, so dass scheinbar Lücken entstehen. Umso interessanter ist es jedoch, zu hören, was die beiden Gitarristen währenddessen als „Begleitung“ spielen und vor allem, wie fantastisch sie zusammen spielen. Der Basic-Track von God If I Saw Her Now wurde dagegen von Phillips allein aufgenommen, Ende November bis Anfang Dezember 1974, während Rutherford mit der Lamb Lies Down On Broadway-Tour in Amerika unterwegs war. Das später von John Hacketts Flöte übernommene Solo spielt hier Ant selbst auf seiner Fender Stratocaster. Sleepfall– beendet dann die Reihe von Basic Tracks. Dieser wurde jedoch zwei Jahre nach den anderen Basic Tracks aufgenommen, als endlich eine Plattenfirma gefunden war, die das Album herausbringen wollte und Anthony Phillips also die Aufnahmen zu Ende bringen musste. Hier hört man nur ihn am Piano und seinen Bruder Robin mit der Oboe.
Die eigentliche Sensation dieses Albums ist jedoch die Erstveröffentlichung von Silver Song in der Phil Collins-Version, mit der die Bonus-CD endet. Dieser Song, geschrieben von Phillips und Rutherford noch zu Genesis-Zeiten als eine Art Abschiedsgruß für den zweiten Genesis-Drummer John Silver, war seinerzeit im Gespräch, als A-Seite einer möglichen Phil Collins-Solo Single veröffentlicht zu werden; immerhin finanzierte Charisma die Studio-Session im November 1973, tat jedoch anschließend nichts damit. BBC Radio One spielte das fertige Tape von Silver Song im Anschluss eines Interviews mit Phil im Juni 1974 – auch hier ging man noch von einer baldigen Veröffentlichung aus; dies scheiterte jedoch aus bis heute ungeklärten Gründen. Generationen von Genesis-Fans waren somit auf dürftig klingende Bootlegs angewiesen, die zunächst nur den BBC-Mitschnitt enthielten; später tauchten auch Bänder der Aufnahmesession auf mit einigen Work-in-Progress-Versionen und dem als B-Seite geplanten Song Only Your Love, ebenfalls eine Rutherford/Phillips Komposition.
Im Booklet des 1990 von Virgin auf CD wiederveröffentlichten Anthony Phillips-Albums Private Parts & Pieces, das eine erweiterte, von Phillips vier Jahre zuvor neu eingespielte Demoversion von Silver Song als Bonustrack enthielt, schrieb Phillips noch, dass es grundsätzlich keine Chance gebe, dass die Phil Collins-Version je erschiene. Für viele Fans ist somit ein 35 Jahre lang ersehnter Traum in Erfüllung gegangen, auch wenn es unbegreiflich ist, dass Only Your Love hier fehlt. In einem kürzlich erschienenen Interview mit Dave Negrin meinte Anthony Phillips, dass dieser Song eher roh und unfertig geblieben war, da er seinerzeit in ziemlicher Eile aufgenommen wurde und er deshalb Phil nicht auch noch habe um Erlaubnis fragen wollen, nachdem dieser der Veröffentlichung von Silver Song hier erstmals zugestimmt hatte. Phillips wollte aber nicht ausschließen, Only Your Love in absehbarer Zeit woanders zu veröffentlichen, etwa in einer Archive #3-Compilation.
The Geese & The Ghost wurde erst im März 1977 veröffentlicht, zweieinhalb Jahre nach den ersten Aufnahmesessions in Send Barns. Anthony Phillips schildert in seinem Schlusswort, wie schwierig es war, eine Plattenfirma dafür zu begeistern. Nicht einmal Charisma wollte das Album herausbringen. Immerhin war Tony Smith davon überzeugt und als der Deal mit der amerikanischen Firma Passport Records endlich perfekt war, gründete er eigens das Label Hit & Run Records, um es im UK herauszubringen – das Album bekam die Katalognummer HIT001 und das eigens gestaltete Label, das zwei Figuren des A Trick Of The Tail-Albumartworks zeigte, ist auf Seite 2 des CD-Booklets abgebildet. Es sollte die einzige Veröffentlichung des Hit & Run-Labels bleiben.
Wie auch alle nachfolgenden Anthony Phillips-Alben wurde The Geese & The Ghost kein Hit. Auch diverse Aufkleber, die auf die Mitwirkung der Genesis-Kollegen hinwiesen, änderten nichts daran, es wurde auch von treuen Genesis-Fans weitgehend ignoriert – erstaunlich bei all den Genesis-Referenzen. Schließlich sind die meisten Stücke noch während oder kurz nach seiner Zeit mit der Band enstanden und knüpfen so konzeptionell aber auch musikalisch direkt ans Trespass-Album an. Wäre es zwei Jahre früher erschienen, hätte es möglicherweise die Beachtung gefunden, die ihm zustand, 1977 hatte sich die Musikszene unter dem Einfluss von Punk und New Wave weltweit bereits so stark verändert, dass dieses Album bemerkenswert unmodern klang.
Die LP-Pressungen waren zudem klanglich allesamt bescheiden, viel zu groß war die Dynamik der Musik um sie in dieser Länge (fast 48 min Gesamtspieldauer) adäquat auf zwei Seiten Vinyl unterzubringen (bei mehr als 18 min pro Seite muss die Gesamtlautstärke reduziert werden, da die Rillen enger geschnitten werden müssen – Rillenauslenkung und Lautstärke sind proportional). Für die extrem leisen Passagen vor allem von Henry war dies letztlich Gift, sie gingen im Rillenrauschen nahezu vollständig unter.
1990 erwarb Virgin Records die Rechte an allen Phillips-Alben und brachte sie erstmals auf CD heraus (das Geese-Album war in den USA allerdings bereits zwei Jahre zuvor von Passport auf CD wiederveröffentlicht). Für das Mastering wurde ein Trident-Studio-Mastertape unbekannter Generation verwendet, das erkennbar nicht das Original-Master war – der deutlich vernehmbare Rauschteppich störte denn auch empfindliche Ohren und enttäuschte alle, die sich von den CDs einen erheblichen Gewinn an Dynamik versprochen hatten. Das Remaster von Jonathan Dann konnte nun erstmals auf das Original-Master zurückgreifen. Es klingt daher um einiges brillanter und lebendiger als alle Veröffentlichungen zuvor. Ein Vergleich der Frequenzkurven zeigt, dass bei der Virgin CD ab etwa 2 KHz ein Hochtonabfall zu verzeichnen ist – bei 4 KHz beträgt die Differenz 3 dB, bei 10 KHz bereits 6 dB, also eine Halbierung der Lautstärke. Gleichzeitig ist die Basswiedergabe des Remasters ebenfalls leicht kräftiger. Bei 40 Hz gibt es eine deutliche Anhebung, die Senke der Virgin CD bei 65 Hz wurde ausgeglichen, ebenso wie ein kleiner Peak bei 650 Hz. Im direkten Vergleich erscheint die Virgin CD daher muffig und unpräzise, das Remaster dagegen frisch und druckvoll und das bei erheblich geringerem Rauschen. Es hat sich also definitiv gelohnt, nach all den Jahren hier noch einmal Hand anzulegen.
Autor: Tom Morgenstern