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Anthony Phillips – Strings Of Light – Album Rezension

Nach einigen Jahren veröffentlichte Anthony Phillips im Oktober 2019 mal wieder ein neues Soloalbum. Andreas Lauer hat reingehört.

„Seven long years …“ – sieben lange Jahre sind seit City Of Dreams (Private Parts & Pieces XI) vergangen, dem letzten eigenständigen Album von Anthony Phillips mit neuer Musik. In der Zwischenzeit wurde mit den Esoteric Re-releases zwar eine Menge älterer Aufnahmen erstmals veröffentlicht (drei CDs Private Parts & Extra Pieces, drei Bonus-CDs zu Slow Dance, Invisible Men und Seventh Heaven, zehn Bonustracks auf Harvest Of The Heart, Only Your Love) und darüber hinaus auch einiges an neuem Material (2 Singles mit Lettie Maclean, 3 Stücke auf Harmony For Elephants sowie Gemini und Il Crepusculo). Ein komplettes neues Album jedoch, welcher Art auch immer, wurde seither zwar wiederholt als wünschenswert in Aussicht gestellt, doch stets verbunden mit dem Hinweis, welchen Kraftakt ein solches heutzutage darstelle.

Hintergründe

Durchaus überraschend war daher im August 2019 die Ankündigung eines neuen Albums namens Strings Of Light, das ausnahmslos Gitarrenmusik beinhalte. Anders als seinerzeit bei Field Day war von diesem Projekt im Vorfeld nichts an die Öffentlichkeit gedrungen. Im itInterview (wie auch den anderen auf seiner Internetseite verlinkten Interviews) gewährte Ant uns aber mittlerweile tiefschürfende Einblicke in die Entstehung dieses Albums und seine Arbeitsweise (diese sollen in dieser Betrachtung des Albums aber nicht alle erneut wiedergegeben werden).

Beim Blick in Ants Diskografie stellt man fest, dass Strings Of Light das vierte reine Gitarrenalbum ist, und die zugrundeliegende Konzeption ist bei allen vieren unterschiedlich. Handelte es sich bei Antiques (Private Parts & Pieces III) um Gitarrenduette und -ensembles, eingespielt und größtenteils auch komponiert gemeinsam mit Enrique „Quique“ Berro Garcia, war Ant bei den drei anderen Gitarrenalben solistisch unterwegs. Anders als bei den beiden folgenden kam bei Twelve (Private Parts & Pieces V) nur ein einziges Instrument zum Einsatz, und es gab mit den zwölf Monaten ein zu vertonendes Konzept.

Bei Field Day stand im Vordergrund, die verschiedenen herrlichen Exemplare aus Ants Gitarrensammlung zu präsentieren, und durch die lange Entstehungszeit wuchs dieses zu einem Doppelalbum heran. Bei Strings Of Light möchte Ant nicht von einem Doppelalbum sprechen, da es von der Spieldauer her nur knapp über der Kapazität einer CD liegt – er sieht es eher als ein Album mit zwei „Seiten“, wie in guten alten Vinylzeiten (auch wenn Vinyl längst wieder auf dem Vormarsch ist: von diesem Album gibt es keine Vinylausgabe).

Das Zwei-Seiten-Konzept wendete Ant übrigens auch schon bei Dragonfly Dreams (Private Parts & Pieces IX) und, wenn man so will, Gypsy Suite an, auch wenn diese aus nur je einer CD bestanden. Ein weiterer Unterschied zwischen Field Day und Strings Of Light ist, dass beide zwar eine ganze Reihe unterschiedlicher Instrumente präsentieren, dass bei ersterem jedoch die Instrumente der Ausgangspunkt waren, die durch passende Kompositionen vorgestellt werden sollten, während beim nun vorliegenden Album die Stücke zumindest ansatzweise gegeben waren – gesammelte Ideen vor allem aus den vergangenen 15 Jahren – und das jeweils passendste Instrument für jedes Stück ausgesucht wurde.

Da Ant seine Sammlung an Zupfinstrumenten seit Field Day erfreulicherweise noch deutlich erweitern konnte, bekommen wir einige der Neuerwerbungen zu hören. Ein paar der 17 Instrumente (das sind übrigens genauso viele verschiedene wie auf Field Day) sind aber auch Altbekannte (z. B. das charakteristische Bell Cittern, zu Deutsch Hamburger Cithrinchen, bekannt von Bel Ami).

Cover

Die Anzahl der Stücke, nämlich 24 (zwölf auf jeder „Seite“), weckt Assoziationen. Etwa an Sammlungen wie Das Wohltemperierte Klavier von Johann Sebastian Bach und ähnliche, in denen für alle zwölf Dur- und alle zwölf Molltonarten je ein Stück komponiert wurde – solcherlei trifft hier jedoch nicht zu. Auch ist – trotz zeitlicher Nähe der Veröffentlichung zur Vorweihnachtszeit – keine Vermarktung als Adventskalender zu erkennen. Die Zahl 24 kommt also mehr oder weniger zufällig zustande. Bei vier besonders schwierigen Stücken stand deren Zustandekommen sogar lange in Frage; und selbst, als man auch diese im April 2019 im Kasten hatte, überlegte man, ob man nicht zwei Stücke weglässt, um alles auf eine CD zu bekommen (entschied dann aber, dass das „zweiseitige“ Hörerlebnis mit Teepause dazwischen entspannender sei). Die Dauer der 24 Stücke beträgt durchschnittlich 3:35 (zum Vergleich Field Day: 2:07) und rangiert von 0:21 bis 10:00 (0:27 bis 8:27).

Dem geneigten Phillips-Fan stellt sich nun vor dem ersten Hören die bange Frage: Hat er’s noch drauf? Schafft er es immer noch, auf der Gitarre originell zu sein, wirklich Neues zu kreieren? Hören wir also mal rein …

I/1 Jour de Fête

Ein Festtag also soll es werden, und damit ist die positive Grundstimmung gesetzt, die die „leuchtenden Saiten“ ausstrahlen sollen, bei aller Stimmungsvielfalt, die wir auch unterwegs erleben werden. Der Einstieg erfolgt (wie schon bei The Geese & The Ghost, New England, Field Day oder City Of Dreams) mit einem bewusst schlichten Stück zur Einstimmung – heiter, nur wenig Kontraste, Tonika-Grundton D fast immer präsent. Die schon oben erwähnte Cister mit glockenförmigem Korpus (Bell Cittern) ist hier zu hören … und zu sehen, denn es gibt zu diesem Stück auch ein offizielles Livedarbietungs-Video.

I/2 Diamond Meadows

Welch ein klanglicher Kontrast zum Eingangsstück! Eine zwölfsaitige Gitarre erstrahlt, sie funkelt regelrecht (wie Diamanten) in ihrer Pracht. In einem Interview erklärt Ant diesen Effekt zum einen mit der Wahl der Saiten (Seide und Stahl), vor allem aber damit, dass die sechs Saitenpaare, die normalerweise auf den je gleichen, höchstens oktavierten Ton gestimmt sind, zum Teil auf unterschiedliche Töne gestimmt sind, wodurch sich viel reichhaltigere Akkorde ergeben. Zum Vergleich lohnt es sich, die auch hier existierende Livevideo-Version zu hören, bei der – um im Bild zu bleiben – das Licht wiederum etwas anders auf die Diamanten fällt.

Das Stück ist eine Art Toccata in C, in der Form AABCCD, wobei A 8- und C 4-taktig ist. B ist langsamer und rubato (freier) vorgetragen, D hingegen groovig-stringent, auch mit Betonungsverschiebungen, oszilliert zwischen Dur und Moll (quasi Blue Notes) und endet in einer langen ruhigen Coda, mit Flageoletttönen gespickt.

I/3 Caprice in Three

Es folgen zwei Stücke auf der klassischen (d. h. sechssaitigen) Gitarre von David Whiteman, dem auf diesem Album am häufigsten verwendeten Instrument, das später auch noch bei Pilgrimage of Grace und Fleur-de-Lys zu hören sein wird. Hier handelt es sich um ein gar nicht sehr kapriziöses (wenn man bedenkt, dass das Wort ursprünglich Horror bedeutet …), sangliches Stück in G-Dur im ¾-Takt. Struktur: AABABA plus Coda, wobei sich B harmonisch bis nach B-Dur entfernt. Caprice in Three atmet etwas vom Geist des Lullaby – Old Father Time, mit dem Unterschied, dass bei letzterem eine zweite Gitarre zum Einsatz kam, dafür aber ein kontrastierender B-Teil fehlte.

I/4 Castle Ruins

Dies ist eines der Stücke, bei denen Ant sich mit der Titelfindung etwas schwertat – ihm schwebte etwas Iberisches, etwas Mittelalterliches vor … Die Motivik gemahnt an das Läuten einer Glocke (vielleicht die einstige Glocke der verfallenen Festung) und erinnert damit etwas an Church Bells At Sunset.

Bei aller äußerer Schlichtheit finden wir hier musikalische Besonderheiten: Taktwechsel, die durch Fermaten (länger ausgehaltene Töne oder Pausen) fast unbemerkt bleiben; und die außergewöhnliche sog. phrygisch-dominante Tonart auf G, am Ende jedoch nach C-Dur aufgelöst.

I/5 Mermaids and Wine Maidens

Dieses Stück auf sechssaitiger Gitarre ist musikalisch mit Diamond Meadows verwandt, hier als Toccata in D, diesmal mit etwas mehr Melodik in der Oberstimme. Am Ende erfolgt eine Reprise (Wiederaufnahme) des Anfangsteils.

I/6 Winter Lights

Winter Lights ist nicht nur das längste Stück der „Seite 1“, sondern auch eines der vier besonders schwierigen Stücke des Albums und eines der beiden „alten“, die aus dem Jahr 1971 herrühren – es gehört zu den im itInterview ausführlicher besprochenen. Alt ist jedoch nur der Anfangsteil, der dann später auch wiederkehrt. Neu komponiert sein dürfte das Material von 1:57 bis 3:51 – man bemerkt den Altersunterschied von fast 50 Jahren nicht – und sicherlich handelt es sich bei Winter Lights auch um das im Interview erwähnte Stück, bei dem am Ende fünf oder sechs Zwölfsaiter übereinander gemischt sind. Das Eingangsthema ist sehr markant, und das Stück in D erinnert insgesamt an Material aus den 1970ern (Tregenna Afternoons, Gypsy Suite).

I/7 Song for Andy

Der oder die Widmungsträger/in dieses sehr geschmackvollen Liedes ohne Worte ist nicht bekannt. Die Melodie ist in der Oberstimme skizziert, das Lied ist mehrstrophig und hat eine Bridge. Der Grundton G kommt in der Unterstimme außer in den Schlusskadenzen nicht vor, was dem Ganzen einen schwebenden, im positiven Sinne angespannten Charakter verleiht. Es ist zu hoffen, dass der Song for Andy eines Tages mit Gesang auf einem Liederalbum von Ant erscheint!

I/8 Pilgrimage of Grace

Wechsel von G-Dur nach E-Moll: Struktur AABABA‘, ähnlich Caprice in Three. In der Oberstimme hören wir eine angedeutete Melodie mit bezaubernden Legato-Elementen (Legato: der Ton wird nicht neu angezupft, sondern die linke Hand am Griffbrett gleitet zu diesem Ton). Harmonisch wird E-Moll kontrastiert mit dem Gegenklang C-Dur, dann mit dem verminderten Akkord auf Cis, schließlich – recht krass und auskostend – mit C-Moll.

Der Titel erinnert an ein historisches Ereignis, einen Aufstand gegen Heinrich VIII.

I/9 Skies Crying

Ein echter Hinhörer! Lebhafte Wechsel von Spannungen und Auflösungen in hoher Lage mit viel Hall (erinnert etwas an White Spider), schließlich auch ein Strumming-Teil, das Ganze in Cis-Moll – hier wird erstmals auf dem Album der Regen beschworen, der dem Album nach Ants Vorstellung eigentlich seinen Titel geben sollte – Rainy Day Postcard.

I/10 Mouse Trip

Das trotz seiner Kürze von nur 1:05 vielleicht am schwierigsten zu spielende Stück des Albums, mit der Palm Muting oder (laut Ant auch) Dubbing genannten Spieltechnik und beeindruckend schnellen Plektrum-Triolen auf klassischer Gitarre, ist kompositorisch recht simpel und stellt das Scherzo (ohne das wohl kaum ein Phillips-Album auskommt) und vielleicht auch den Kinderfavoriten auf dem Album dar. Zum verschrobenen Charakter des Stücks in G-Dur tragen auch ein paar Special Effects von Toningenieur James Collins bei; hervorragend passen zudem die – ob nun spieltechnisch als Nebengeräusche bedingten oder hinzugemixten – „falschen“ Töne zum Stil. Dieses Stück zählt vielleicht nicht zu den klanglichen Höchstgenüssen des Albums, betritt aber zweifelsohne Neuland, und seine humoristische Note wird auch durch das Wortspiel des Titels (Anspielung auf mouse trap, Mausefalle) unterstrichen.

I/11 Restless Heart

Eines der kompositorisch reichhaltigsten Stücke, bewegt sich Restless Heart ruhelos wandernd-wechselnd sowohl durch verschiedene Tonalitäten (mal F-Dur, mal E-Moll) als auch durch verschiedene Taktarten: mal 10er-, mal 5er- oder 4er-Takt – mitunter lassen Rubato und kurze Pausen d. Hörer*in im Unklaren, in welchem Takt das ruhelose Herz gerade schlägt. Auch dies ein Höhepunkt dieses Albums.

I/12 Still Rain

Der Regen kehrt noch einmal zurück, wie bei Skies Crying mit viel Hall, diesmal jedoch ruhiger und freundlicher. Zwei Zupfmuster wechseln sich ab: Das anfängliche Muster A kehrt ab 2:07 wieder, Muster B beginnt bei 1:03 bzw. bei 2:45. Auch hier wechseln die Tonarten: E-Moll, H-Moll und schließlich G-Dur. Atemberaubend ist der A-Moll-Akkord bei 3:20 im H-Moll-Teil – und so beseelt lässt man den stillen Regen (oder meinte man „immer noch Regen“?) ausklingen und wendet sich einer schönen Tasse Tee zu.

Strings Of Light


Wer glaubt, CD 2 bzw. Seite 2 enthalte nun die B-Ware, dürfte positiv überrascht werden.

II/1 Into the Void

Man kommt vom bloßen Zuhören nicht unbedingt darauf, wie diese 21 Sekunden Klang erzeugt werden – im it-Interview erklärt Ant es ausführlich. Ob die Verkürzung der Zeitintervalle wirklich einer Exponentialfunktion entspricht, wie Ant vermutet? Wir haben es nicht nachgerechnet, aber vorliegende Berechnungen zu den Zeitintervallen eines hüpfenden Balles deuten darauf hin. Die zwölf Saiten scheinen – soweit das Ohr nicht durch Obertöne getäuscht wird – vielleicht in EHcdeg gestimmt zu sein, zumindest sind diese Töne herauszuhören.

II/2 Andean Explorer

Mit derselben Gitarre (aber sicher nicht in vorgenanntem Tuning) geht es weiter. Die ersten 80 Sekunden verkörpern pure Abenteuerlust – Lebhaftigkeit und Dramatik erinnern an Twelve oder Flamingo. Das Stück ist wechselhaft wie Restless Heart, weckt aber eher positive Assoziationen. Ein langsamerer Teil, bei dem der Andenforscher wohl die Mühen der (Hoch-)Ebene zu bewältigen hat, folgt, mit sonderbar-reichhaltigen Akkorden voller dezenter Dissonanzen und mit kurzen Vorschlägen. Ein kurzer fragender Teil ab 2:37 leitet über in eine Reprise des Anfangs, und das den Hörer bereits beim ersten Hören vereinnahmende Stück endet mit einem E-Moll-7-9-11-Akkord.

II/3 Mystery Tale

Hier kommt die „Spielzeuggitarre“ Guitarina zum Einsatz. Über einem E-H-Bordunklang entfaltet sich eine kurze, schlichte Melodie in harmonisch Moll, mit zarten Legatostellen.

II/4 Sunset Riverbank

Es ist, nach der Teepause, DER Ruhepunkt des Albums. Die sechssaitige Gitarre spielt ihr Stück dreimal, wobei sie beim dritten Durchgang, der bei 1:55 beginnt, nicht mehr nach D-Dur wechselt. Über diesen dritten Durchgang ist ein zartes, teils zweistimmiges Solo mit der elektrischen Gitarre (Fender Stratocaster) gelegt. Ein Stück wie gemacht, um es in der Endlosschleife zu hören und dabei zur Ruhe zu kommen.

II/5 Tale Ender

Wem das Mystery Talenicht mysteriös genug war: es war noch gar nicht zu Ende. Hier wird es nochmal auszugsweise zitiert, vor allem jedoch in Form von Hall, es wirkt wie ein Traumgesicht des Mystery Tale, das dadurch nun doch seinen Namen zu Recht trägt. Tale Ender ist das letzte von drei Klangexperimenten (nach Mouse Trip und Into the Void), die das Album in der Mitte etwas auflockern.

Strings Of Light Digipak

II/6 Shoreline

Wieder sind wir bei Nr. 6, wieder bei der zwölfsaitigen L’Arrivée und damit bei dem nächsten (diesmal komplett) „alten“ Stück. Shoreline ist der vereinfachte und auf eine Gitarre reduzierte Satz 3 eines viersätzigen Quintetts, das Ant 1971 für Gitarren und alternativ für Streicher oder Bläser entwarf, aber nie fertigstellte oder gar aufnahm (Satz 1 war als Conversation Pieceauf Radio Clyde und im Living Room Concertzu hören). Musikalisch erinnert das Stück beispielsweise an die Tibetan Yak Music. Ein als Brandung zu deutendes Motiv erscheint in verschiedenen Variationen, ab 1:07 im langsamen Dreiertakt, und wird mit einer schönen Melodie (ab 1:43) kontrastiert. Ab 2:38 erfolgt unvermittelt eine Wiederholung des Stücks, das durch seine in der Ruhe liegende Kraft und seine Klangfarbenwechsel besticht.

II/7 Days Gone By

Eine beschauliche Meditation in G im 7/8-Takt, weniger liedhaft, die Melodie in der Oberstimme eher einfach gehalten: Mit seiner Struktur AABA’ABA’A“ und 3:44 ist es ein Quäntchen zu lang geraten.

II/8 Crystalline

Diese farbenfrohe Zwölf-Saiten-Fantasie, die in der Form diszipliniert bleibt, trägt ihren Namen möglicherweise aus ähnlichen Gründen wie Diamond Meadowsund repräsentiert somit in besonderer Weise den Albumtitel.

II/9 Fleur-de-Lys

Eigentlich ein langsamer vierstimmiger Satz, triolisch umgesetzt, wäre als Satz für kleines Streicherensemble denkbar, gehalten im Stil einer barocken Air – daher wohl auch der Titel, die Lilie war Wappenfigur z. B. Ludwigs XIV.

II/10 Grand Tour

Das Stück trägt seinen Namen vielleicht wegen seiner sechsminütige Dauer, vielleicht auch wegen des 16-saitigen Umfangs der Gitarre. Letzterer Umstand machte es zu einem der besonders herausfordernden Stücke für Ant. Es beginnt mit besonders interessanten Akkorden über A, und das tiefe A‘, das erklingt, ist wirklich beeindruckend. Ab 2:08 folgt ein ruhigerer Teil über E, ab 3:45 eine Reprise des Anfangsteils, ab 4:16 wird groovig geschrummt. Überraschend endet das Stück auf H-Dur. Streckenweise erinnert der Klang dieses von Michael Cameron speziell für Ant gefertigten Instrumentes an ein Akkordeon.

II/11 Home Road

Vor dem großen Schlussstück (oder dem 24. und größten Türchen des Adventskalenders) darf nochmal Luft geholt werden. Home Road bildet mit Jour de Fêteeine Klammer um fast das ganze Album, indem es wieder das Bell Cittern verwendet und musikalisch sehr heiter, simpel und kurz bleibt.

II/12 Life Story

Das letzte und umfangreichste „Biest“, auch kompositorisch, das Ant zu bewältigen hatte, ist dieser Zehnminüter in D. Ant ist im itInterview ausführlich darauf eingegangen. Der warme Klang des fast 90 Jahre alten spanischen Instrumentes, die ausgiebigen Verzierungen, einige harmonische Wendungen (anfangs der C7-9, die Kadenz ab 7:20, der B7 vor 8:14) und der pianissimo umgesetzte Schluss (mit der schwierigen gleichzeitigen Umsetzung von Shimmering und Hammer-on) sind die besondere Würze dieses Stückes. Ob das Stück nun eher Meeresepisoden (wie Ant es empfindet) oder eine Lebensgeschichte darstellt – der Schluss scheint als Aushauchen des Lebens tatsächlich gut zur gewählten Betitelung zu passen.

Fazit

Wieder in der Gegenwart angekommen, blicken wir auf ein vielseitiges und vielsaitiges Werk zurück, das sehr deutlich Ants Handschrift trägt, aber gleichwohl zahlreiche neue Ideen in Musik umsetzt. Was wirklich neu ist: der einmalige Sound, der, wie Ant sagt, die Aufnahme so sehr wie nie zuvor wie das wirkliche Instrument klingen lässt. Die Effekte, vor allem Hall und ein paar Überblendungen, gehen – abgesehen von den drei Klangexperimentalstücken – stets nur so weit, die Komposition zu unterstützen, greifen nie in sie ein. Anthony Phillips hat erneut den Kairos, den guten, sich bietenden Moment genutzt, auf dem Instrumentarium, auf dem er am originellsten ist, Musik auszukomponieren und aufzunehmen – danke, Ant!

Was es sonst noch zu sagen gibt: Eine Surround-Sound-DVD gibt es gleich dazu, wobei sich der Effekt in Grenzen halten muss, wenn doch zumeist nur ein Instrument in Aktion ist. – Für das Cover-Artwork wurden wohl Lichtpunkte (in Form einer Gitarre) in Bewegung gefilmt, ähnlich wie bei And Then There Were Three. Dies inspirierte letztendlich den Albumtitel. – Die Liner Notes sind eher knapp gehalten. Am Schluss dankt Ant drei Frauen in so bemerkenswerter Weise, dass dies aus Respekt vor diesen Dreien an dieser Stelle nicht wiedergegeben werden soll.

Autor: Andreas Lauer
Strings Of Light erschien bei Esoteric/CherryRed als 2CD/DVD im Digipak und kann bei Amazon, JPC und direkt bei CherryRed erworben werden.