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Anthony Phillips – Sail The World – Rezension
Im April 2025 erschien eine Neuauflage des Anthony Phillips Albums Sail The World, die auch etliche bisher ungehörte Stücke enthält.
Im Jahr 1994 erschien Anthony Phillips‘ Soundtrack-Album Sail The World erstmals, veröffentlicht damals auf dem Label Resurgence Records. Aufgrund der hohen Nachfrage gab es zwischen 1997 und 2010 drei Wiederveröffentlichungen bei Voiceprint, zwei davon in Japan. Diese waren gegenüber der ursprünglichen Ausgabe um drei Bonustitel ergänzt.
Nun ist im Rahmen der Wiederveröffentlichungen zahlreicher Alben aus dem Schaffen von Anthony Phillips die jüngste Fassung von Sail The World erschienen, nunmehr ausgestattet mit einer ganzen CD an zusätzlichem Material. Es handelt sich um die vorletzte in der umfangreichen Reihe an Wiederveröffentlichungen des Labels Esoteric Recordings.
Cover, Verpackung und Sleeve Notes
Wie gesagt, handelt es sich bei der neuen Ausgabe um eine Doppel-CD. Das Titelbild des Sleeves zeigt eine exotische Bucht mit Segelbooten, ein Bild, das bereits auf der bisher letzten Voiceprint-Reissue von 2010 den Titel zierte.

Enthalten ist ein 24seitiges Booklet mit einem neuen, umfangreichen Essay von Jonathan Dann zu Hintergründen und Entstehung des Projektes sowie ausführlichen Infos zur Musik, insbesondere zu allen Stücken auf der Bonus-CD. Aufgelockert wird das Booklet durch Fotos aus vorhergehenden Veröffentlichungen in UK und Japan sowie durch schöne Meeresbilder, die Fernweh erzeugen.
Entstehungsgeschichte des Albums
Seit Ende der Siebziger Jahre beschäftigte sich Anthony Phillips verstärkt mit Aufträgen für Library Music sowie der Erstellung von Musik für TV-Produktionen. Seit den 80ern wird dies seine Haupterwerbsquelle. Das 1989 erschienene Album Finger Painting der neuen Reihe Missing Links präsentierte erstmals ausschließlich Material aus diesem Feld des umfangreichen Schaffens des Komponisten. Sail The World macht erstmals einen kompletten Soundtrack von Ant der Öffentlichkeit verfügbar.
Im Jahr 1991 kam es erstmals nach 15 Jahren wieder zu einer musikalischen Zusammenarbeit zwischen Anthony Phillips und seinem Genesis-Kollegen Mike Rutherford. Es handelte sich um die Titelmusik zu der mehrteiligen Doku-Serie Horse Trials. Für Anthony war dies eine Premiere, denn er hatte bisher noch keine Erfahrung mit Vertonung von Sport-Events gemacht. Die hierbei entstandene Musik ist übrigens unter dem Titel The Victors auf der Wiederveröffentlichung von Ants und Joji Hirotas Kollaboration Wildlife auf Esoteric Recordings erstmals für die breite Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.
Musik über eine Regatta für Hochsee-Yachten
Sozusagen als „Folgeauftrag“ ergab sich die Anfrage des Senders ITV, Musik für eine TV-Serie über eine große, weltweite Regatta für Hochsee-Yachten zu schreiben, den Whitbread Around The World Race. Anthony hatte gerade eine Musik in Arbeit (das „Opening Theme“, das dann zur Titelmusik wurde), die den Produzenten so gut gefiel, dass – zur Überraschung und Freude des Komponisten – Ant den Auftrag erhielt, zu der gesamten Serie den Soundtrack zu gestalten. Dies umfasste zunächst eine 50minütige Sendung zum 20jährigen Jubiläum des Rennens.
Anschließend sollte in einem Zeitraum von mehreren Monaten fortlaufend über den Stand des Rennens berichtet werden. Da bei der Serie die zu vertonenden Filmszenen der Doku noch nicht vorlagen, erstellte Anthony im Voraus Themen und Klangskizzen, die zu den zu erwartenden Bildern passen konnten: dynamische Segel-Sequenzen, Stürme und hohe Wellen, aber auch retardierende Momente wie romantische Sonnenuntergänge, stille See oder die Begegnungen mit Meeresbewohnern wie Walen und Seevögeln.
Im Verlaufe der Serie wurde den Zuschauern die Veröffentlichung des Soundtracks Sail The World angekündigt, der schließlich im Mai 1994 erschien.
Die Musik
Auf dem Album befinden sich insgesamt 41 Titel, auf der ersten CD sind es 26, auf der Bonus-CD insgesamt 15 Titel, wovon 5 alternative Fassungen von Tracks aus dem Original-Album, immerhin 10 Stücke aber bislang komplett unveröffentlichtes Material sind.
Auf der Scheibe befinden sich ausschließlich Instrumentals. Die Länge der Kompositionen liegt meist zwischen 1:30 und 3:00 Minuten, der überwiegende Teil sind also kurze Stücke. Der Sound wird dominiert von verschiedenen Synthesizern und Keyboards, Synth-Bass und Drumcomputern, außerdem kommen elektrische Gitarren als Begleit- und Lead-Instrument zum Einsatz. Akustische Instrumente wie Piano, Percussion und Akustikgitarre werden seltener eingesetzt. Sail The World gehört also eher zu den Keyboard-orientierten Alben von Anthony Phillips.
Während etliche der Stücke mit durchgehenden Rhythmen unterlegt sind, besteht die andere Hälfte eher aus atmosphärischen Klangflächen und Soundscapes mit teilweise meditativen Qualitäten.
Alle Instrumente wurden von Anthony Phillips eingespielt, außer bei einigen wenigen Songs, bei denen insgesamt zwei Kooperationspartner beteiligt sind. Vo diesen beiden wird später noch die Rede sein.
Tracklist CD1:
Opening Theme
Fast Work
Dark Seas
Cool Sailing
Wildlife Choir
I Wish This Would Never End
Salsa I *
Roaring Forties
Lonely Whales
Icebergs
Majestic Whales
In the Southern Ocean
The Fremantle Doctor
Long Way from Home
Wildlife Flotilla
Big Combers
Cool Sailing II
Cape Horn
Amongst Mythical Birds
Salsa II *
Into the Tropics
In the Doldrums
Heading for Home & Victory
Paradise
Eastern Magic
Closing Theme
* mit Joji Hirota
Die erste CD enthält wie gesagt die ursprünglichen 23 Stücke der ersten Ausgabe, plus die drei Bonustracks. Die Reihenfolge der Tracks folgt der Route, die das Yachtrennen nahm: von Southampton über den Atlantik nach Punta del Este in Uruguay, dann in östlicher Richtung über den Südatlantik und Indischen Ozean nach Fremantle in Westaustralien, dann über Auckland (NZ) durch den Südatlantik, an Kap Hoorn vorbei nochmals nach Punta del Este, und schließlich über Fort Lauderdale (Florida) zurück nach Southampton.
Das Opening Theme ist als Einstieg gleich die rockigste Nummer, mit treibendem Rhythmus, E-Gitarren-Riffs und Synthesizer-Fanfaren. Es folgen drei weitere Nummern in dem Stil, Akkordwechsel über ostinaten Achtel-Bassläufen, bevor es in Wildlife Choir zum ersten Mal ganz ruhig und sphärisch wird. Etliche der kommenden Stücke gehen in diese atmosphärisch-schwebende Richtung, etwa die beiden Whales-Nummern, Icebergs, die Mythical Birds und natürlich In the Doldrums (In der Flaute).
Was hat das Album noch zu bieten? I Wish This Would Never End entspinnt über einem knurrenden Bass-Groove über feinen String-Teppichen eine einprägsame Melodie auf der elektrischen Gitarre. – Long Way From Home überzeugt mit einer gut zum Titel passenden sehnsuchtsvollen Melodie. – Cape Horn ist geprägt von einer geradezu mystischen Stimmung. – Auf Salsa (I und II) begeistert Koop-Partner und Percussionist Joji Hirota mit lateinamerikanischen Rhythmen (mehr Samba als Salsa). Diese beiden Stücke untermalen übrigens die beiden Zwischenstopps der Regatta in Uruguay. – Der Zieleinlauf der Yachten in Southampton mit Heading for Home & Victory wird schließlich gekrönt mit einem jubilierenden E-Gitarren-Solo von Ant.
Tracklist CD2
Opening Theme (original version)
The Dream Race
Starboard Drift
Epic Whales
World Piece*
Temple*
Ocean Life*
Cool Sailing (alternate mix)
Playmaker**
Another Day
Fast Work (alternate mix)
Journey’s End
Tokyo Nights*
Paradise (alternate mix)
Heading for Home & Victory (alternate mix)
* mit Joji Hirota
** mit Martin Robertson
Nun also zur Bonus-CD, der natürlich mein besonderes Interesse galt, weil ich die anderen Stücke ja bereits kannte. Sie enthält 15 Stücke, von denen fünf alternative Versionen des Originals sind. Das Titelstück Opening Theme in einer kürzeren Version ist als Urfassung, mit der Anthony wohl diesen (hoffentlich für ihn lukrativen) TV-Auftrag erhielt, für Interessierte von Bedeutung.
Zehn ganz neue Nummern schließlich, und da gibt es einige echte Highlights: Another Day etwa, das über repetitiven Mustern mit Marimba-Sounds, Klavier und Gitarre ein kleines Klanggemälde schafft, oder Journey’s End mit einer eingängigen, fast folkigen Melodie, die man sich auch in akustischem Gewand gut vorstellen kann.
Meine persönlichen Favoriten sind die fünf Stücke, bei denen die beiden Gastmusiker zum Einsatz kommen. Da ist als Erstes Joji Hirota zu erwähnen, der allen Anthony-Phillips-Fans als Ko-Komponist, Percussionist und auch Flötist von den beiden Alben Time and Tide sowie Wildlife bestens bekannt ist. Temple verbreitet mit Gongs, Becken, Geraschel und verschiedenen Glöckchen eine ganz dichte Atmosphäre. – Tokyo Nights arbeitet mit asiatischen Assoziationen. Und in Ocean Life entspinnt sich auf verschiedensten Percussion-Instrumenten ein polyrhythmisches Geflecht in Zwiesprache mit Ants schwebenden Keyboard-Sounds, und Joji spielt darüber eine Melodie auf der Tonflöte Okarina.
Einer meiner persönlichen Favoriten auf der Bonus-CD ist dann World Piece. Hier brennt Joji Hirota ein wahres Feuerwerk auf seinem reichhaltigen Schagwerk-Arsenal ab, perfekt abgestimmt mit Ants an Gamelan-Sounds angelehnte Keyboard-Sequenzen. Ein toller, verrückter Titel, der mich ein bisschen sogar an Frank Zappas Jazz from Hell-Album erinnert!
Ein weiterer Lieblings-Track von mir ist die Zusammenarbeit mit dem zweiten Gastmusiker bzw. Koop-Partner, dem Saxophonisten Martin Robertson. Ant begleitet mit strahlenden, offenen Akkorden auf der 12saitigen Gitarre, darüber werfen sich Robertson am Sax und Anthony auf der verzerrten elektrischen Gitarre melodisch die Bälle gegenseitig zu. Schade, dass dieser herrliche Titel schon nach knapp zwei Minuten zu Ende ist.
Fazit:
Wie ist nun Sail The World einzuordnen in Anthony Phillips‘ Schaffen? Und wie steht die Musik für sich? Schließlich darf man nicht vergessen, dass die Musik für einen Zweck geschaffen wurde, der Untermalung von bewegten Bildern. In einem Film wie diesem, bei dem die Musik nicht im Vordergrund steht, sondern dem Gesamten dient, bei dem neben den Bildern auch noch O-Ton, Naturgeräusche wie Wind und Wasser sowie Interviews und Kommentar zu hören sind, da darf die Musik nicht zu differenziert sein.
Ein filigranes Stück wie die The Geese and the Ghost-Suite etwa wäre hier völlig fehl am Platz. Ein Beispiel, was ich damit meine: Ein Stück mit einem treibenden, durchgängigen Rhythmus und darüberliegenden Gitarrenriffs und Keyboard-Akkorden hingegen funktioniert gut, wenn im Film eine Yacht bei meterhohen Wellen mit 25 Knoten durch meterhohe Wellen pflügt. Wie aber wirkt die Musik, wenn sie ohne Film für sich steht?
Nun, wie immer ist es natürlich Geschmackssache, wer welche Musik gern hört und bevorzugt. Wer mit der Keyboard- und Synthesizer-Musik von Anthony Phillips bisher nichts anfangen konnte und wer vielleicht zudem eine Aversion gegen Drumcomputer hegt, dem wird wohl Sail The World eher nicht so gut gefallen. Das Album ist sicher auch nicht für Menschen die erste Wahl, die Ants Musik noch nicht kennen, und die eine Empfehlung für den Einstieg suchen.
Wer hingegen Musik mit Synthesizern in unterschiedlichen Spielarten von sphärisch bis groovy mag, der kann hier auf seine Kosten kommen. Wer meditative Musik mag, die harmonisch und klanglich über plattes New-Age-Gesäusel hinausgeht und trotzdem dem Ohr schmeichelt, der wird sich vortrefflich aus den Stücken eigene Playlisten zusammenstellen können. Die Empfehlung zum Kauf gilt ohnehin allen eingefleischten Anthony-Phillips-Fans, die stets nach noch ungehörten Schätzen aus der Werkstatt des Meisters lechzen.
Denn auf jeden Fall bietet allein die Bonus-CD wieder einen erheblichen Mehrwert gegenüber den vorherigen Fassungen, gerade durch die tollen Beiträge der beiden Gastmusiker. Danke an Sound-Archivar Jonathan Dann, dass er immer wieder unentdeckte Juwelen birgt und uns Fans zugänglich macht. Bei der Abmischung wie auch beim (neuen) Mastering hat man viel Sorgfalt aufgebracht, und auch das liebevoll gestaltete Booklet lässt keine Wünsche offen.
Am Schluss noch ein paar persönliche Worte von mir: Beim ersten Kauf der Ausgabe von 2010 gehörte Sail The World nach dem ersten Hören nicht zu meinen Favoriten, ich konnte mit den meisten Stücken relativ wenig anfangen. Durch das intensive Anhören für die Rezension dieser neuen Ausgabe ist mir doch Vieles auf dem Album ans Herz gewachsen, weil ich – auch in den Stücken, die ich zunächst nicht mochte – viele Feinheiten entdeckt habe, die sich erst bei mehrmaligem Hören erschließen.
Viel Spaß wünsche ich Euch beim Neu-Entdecken von Sail The World!
Autor: Gereon Schoplick, April 2025
Karte der Regatta: Sémhur, Flappiefh, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons