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Anthony Phillips – Library Songs 2010-2013 (feat. Lettie Maclean & Chris White) – Rezension

Unbemerkt von der Öffentlichkeit produzierte Ant in den Jahren 2010 bis 2013 etliche Songs in Zusammenarbeit mit der Singer/Songwriterin Lettie Maclean und seinem Kollaborateur Chris White, die für TV und Werbe-Produktionen Verwendung fanden.

Für die meisten ist She’ll Be Waiting aus dem Jahr 1995 der letzte Song, den Anthony Phillips aufgenommen hat. Und richtig ist, dass es der letzte Song war, den er auch selbst gesungen hat. Allerdings griff er auch bereits in früheren Jahren bei seinen Songs auf die Skills anderer Gesangstalente zurück. Seitdem gibt es nicht wenige, die sich neue Songs von und mit Ant gewünscht haben, doch sein Output blieb instrumental…fast! Denn unbemerkt von der Öffentlichkeit produzierte er für „nicht öffentliche“ Welt der Library Music in den Jahren 2010 bis 2013 etliche Songs in Zusammenarbeit mit der Singer/Songwriterin Sophia Letitia Maclean – bekannt als Lettie Maclean – und seinem Kollaborateur Chris White, die für TV und Werbe-Produktionen Verwendung fanden. Dass diese Songs alles andere als „Wegwerf“-Songs sind, zeigt die Tatsache, dass über die Nutzung solcher Songs in visuellen Produktionen nicht wenige nach den Interpreten der verwendeten Musik fragen. Und schließlich wurden auch einige der Songs mit Lettie später überarbeitet und offiziell veröffentlicht. Aber auch das restliche Material ist mittlerweile zum Großteil auf Streaming- und Download-Plattformen kommerziell erhältlich oder zumindest auf der Verleger-Seite als Stream einhörbar, was es uns ermöglicht, einen Höreindruck dieser Songs zu bekommen.

Chris White, studierter Musiker und ebenfalls Singer/Songwriter, begann 2006 seine Zusammenarbeit mit Anthony Phillips. Neben der Produktions-Assistenz für Ants Library Output, taucht er ab 2007 auch als Ko-Komponist einiger instrumentaler Library Tracks auf. Und Lettie Maclean hatte 2008 bereits zwei Solo-Alben veröffentlicht und war 2009 mit Peter Murphy (ex-Bauhaus) auf Europa-Tour. Ihre bezaubernde Stimme schmeichelte erstmals 2010 auf einer von Ants Library Tracks den Ohren des Hörers…

Frozen Tear

Das gut anderthalb-minütige Frozen Tear erschien im Juni 2010 in zwei Versionen auf der Library-Compilation Essential Electronica von Atmosphere Music (ATMOS CD268). Die Basis bildet ein von Ant sehr sparsam und melancholisch gespieltes Piano, in gebrochenen Akkorden und in Hall getaucht. Dazu improvisiert Lettie eine Gesangslinie, die als „Ahh“ intoniert auch gänzlich ohne Text die Stimmung des Tracks unterstreicht. Die Vocal-Version ist hier als Frozen Tear 1 und Ants Solo-Version als Frozen Tear 2 betitelt.

Frozen Tear 1: amazonMP3 | YouTube

Simple Beauty

Im August 2010 erscheint mit Orchestral Undercurrents eine weitere Library-Compilation von Atmosphere Music (ATMOS CD270) mit zwei Tracks von Ant und Lettie. Die 100 Sekunden von Simple Beauty wird von weiten, zweistimmigen Gesangslinien von Lettie (in einer nicht identifizierten Sprache) getragen und von einem leisen, orchestralen Drone-Akkord von Ant untermalt – man fühlt sich fast an einem ruhigen Bergsee im Norden bei herbstlichen Temperaturen und Sonnenschein versetzt.

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Suspended Time

Etwas frostiger kommt Suspended Time daher, das auf gleicher Länge mit einem schon fast verzerrten Drone-Sound eine eisige Stimmung verbreitet, unterlegt mit anschwellenden Akkordwechseln und halligem „Ahh“-Motiv von Lettie, die gegen Ende Tonhöhe und Lautstärke der anwachsenden Wall Of Sound bis zum abrupten Ende anpasst. Auf der Verlags-Seite ist auch eine instrumentale Fassung verfügbar.

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Everything Always There

Weiter geht es im Januar 2011 auf der Atmosphere-Compilation The Rhythm Collective (ATMOS CD277) mit zwei 2-minütigen Songs. Bei dem melancholischen Everything Always There spielt Ant Finger Picking auf klassischer Gitarre und Lettie singt sich herzerwärmend durch zwei Strophen, Bridge und weiteren zwei Strophen bis zur Schlußerkenntnis, dass alles schon immer da war. Das Stück gibt es auf der Verlags-Seite auch instrumental nur mit Ant.

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Never Let Go

Beim „Durchhalte“-Song Never Let Go geht es in Sachen Arrangement mehr zur Sache. Mit spanischen Gitarren, Bass, Drums, jeder Menge Percussions und sogar flächiger Bandoneon-Harmonika gibt es jede Menge zu entdecken. Und Letties flotter Gesang kann auch mit catchy Melodien punkten. Die Verlags-Seite hat neben der Instrumental-Version auch eine abgespeckte Vocal-Version ohne Drums, Percussions und Bandoneon in Angebot.

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Let Let Go

Neun Jahre später wurde der Song von Ant und seinem Kollegen James Collins überarbeitet: die Drums verschwinden, (neue) Percussions und Violine kommen hinzu. Der jetzt 2:15 lange Song Let Let Go wird schließlich als Lettie-Single im Dezember 2020 von CherryRed kommerziell veröffentlicht.

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Catch A Moment

Mit dem Titel Summer Songs ist die Richtung der Compilation von Atmosphere Music vom Mai 2011 (ATMOS 280) bereits klar, und gleich vier der enthaltenen Songs stammen aus dem Phillips-Lager. Bei Catch A Moment (2:14) kommt nun auch Chris White als Co-Autor und Sänger zum Einsatz. Bei dieser verträumten Gute Laune-Nummer spürt man regelrecht die angenehme Wärme der Sonne und denkt sich gleich noch ein paar Insektengeräusche zu dem beschwingt-leichtem Arrangement aus Picking auf akustischer Gitarre, entspanntem Shaker und Tambourine, E-Piano, Flöte, Violine und herzerwärmenden Backing Vocals von Lettie. Die unprätentiöse Stimme von Chris tut sein Übriges, und das gepfiffene Thema im Mittelteil ist das i-Tüpfelchen des Stücks. Auf der Verlags-Seite gibt es sogar eine komplett gepfiffene Version des Songs in gleichem Arrangement, aber auch interessanterweise eine komplett andere, zweieinhalb-minütige Aufnahme des Stücks – eine um einiges langsamer eingespielte „Late Night Lagerfeuer“-Version mit lediglich zwei akustischen Gitarren und Gesang instrumentiert. Leider wurde der Song für die Veröffentlichung auf Streaming-Portalen von Summer Songs entfernt, aber ihn gibt es noch auf 7digital.com zu kaufen.

Love Will Shine

Chris und Ant schrieben auch gemeinsam mit Lettie den nächsten Song namens Love Will Shine, der als herzliche Liebeserklärung überzeugend von letzterer intoniert wird. Ein Gitarrenarpeggio mit drei Akkorden bildet das komplette Fundament des ganzen 2min-Songs, und Lettie singt einfach drei unterschiedliche Melodien darüber, die dadurch Strophe, Refrain und Mittelteil erkennen lassen. Lediglich ein Glockenspiel und eine zweite Gitarre kommen im Refrain unterstützend dazu. Eine Instrumental-Version des Stücks ist auf der Verlags-Seite verfügbar.

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Over And Over Again

Dieser Song wurde ebenso 2020 von Anthony Phillips und James Collins neu bearbeitet: es wurde noch ein Cello hinzugefügt. Der Song bekam dann den Titel Over And Over Again und wurde zusammen mit Let Let Goim Dezember des Jahres offiziell als Single von Lettie veröffentlicht.

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Halcyon Days

Weiter geht es bei den Summer Songs mit dem 2 ½-Minuten-Song Halcyon Days (nicht zu verwechseln mit dem Track gleichen Titels aus Ants New England-Sessions 1991/92). Im beschwingten 6/8-Takt gibt die akustische Gitarre den geschlagenen Rhythmus vor, während Lettie einen glücklich-zufriedenen Moment in Worte fasst. Ihr Gesang wird im Mittelteil von einer Violine abgelöst. Die Instrumental-Version auf der Verlags-Seite beschränkt sich ausschließlich auf Ants Gitarre. Eine alternative, instrumentale Version mit gezupfter Ukulele ist dort ebenfalls zu finden, wie auch eine in französischer Sprache gesungene Version! Leider wurde der Song für die Veröffentlichung auf Streaming-Portalen von Summer Songs entfernt, aber ihn gibt es noch auf 7digital.com zu kaufen.

Halcyon Days (Days To Remember)

Aber auch dieser Song wurde für eine offizielle Veröffentlichung stark überarbeitet. 2016 wird wieder von Anthony Phillips und James Collins eine Version produziert, die unter anderem Schlagzeug, Kalimba und diverse Keyboards mit in das neue Arrangement integriert und somit einen vollen „Band-Sound“ bekommt. Als Halcyon Days (Days To Remember)wird das Stück im Mai das Jahres inklusive animiertem Video als Single von Lettie Maclean veröffentlicht.

Halcyon Days (Days To Remember): amazonMP3 | YouTube

Sunshine Upon Your Shoulder

Der letzte Ant/Lettie-Song auf dieser Compilation trägt den Titel Sunshine Upon Your Shoulder und ist gut zwei Minuten lang. Die instrumentale Basis wird hier lediglich von einem sehr perkussiv gespielten, pizziccato-artigem Harfen-Motiv gespielt, das mit Echos fröhlich vor sich hin groovt. Darüber versprüht Letties Gesangslinien eine Leichtigkeit und Unbeschwertheit, die mit einem „nana-nana-nana-nana-na“-Teil die Stimmung unterstreicht. Auch hier bietet die Verlags-Seite wieder eine Instrumental-Alternative an. Leider wurde der Song für die Veröffentlichung auf Streaming-Portalen von Summer Songs entfernt, aber ihn gibt es noch auf 7digital.com zu kaufen.

Sunshine Upon Your Shoulder: YouTube

Sunshine On Your Shoulder

Und auch bei diesem Song wurde 2016 erneut von Ant und James Hand angelegt. Mit fettem Beat, groovigen Loops und jeder Menge elektronischer Sounds plus jetzt zweistimmigem Gesang wird das jetzt 3:42 lange Sunshine On Your Shoulder zu einer modernen Pop-Nummer, die Vergleiche zu zeitgenössischen Produktionen nicht scheuen muss. Die Lettie Maclean-Single wurde von CherryRed im August 2016 veröffentlicht.

Sunshine On Your Shoulder: amazonMP3 | YouTube

Sunny Afternoon

Im Mai 2013 veröffentlicht Atmosphere Music mit The Summer Soundtrack (ATMOS 312) eine Compilation mit gleichem Konzept, die drei weitere Songs aus dem Hause Phillips beinhaltet. Bei der Co-Komposition Sunny Afternoon mit Chris White kommt auch selbiger wieder als Sänger zum Einsatz. Dieser entspannte 2-Minuten-Song besteht genau genommen aus einem 2-taktigen, auf akustischer Gitarre gezupften Thema, das zunächst nur von der 2-stimmig gesungenen (und einzigen) Strophe und Fills einer zweiten Gitarre ergänzt wird. Es kommt ein Shaker dazu, der Gesang wechselt in ein fröhliches „la-la-la“-Thema und immer mehr Saiten-Instrumente, Percussions und Akkordeon steigen Takt für Takt mit ein, bis zu einem countryesk-euphorischen Schluß. Auf der Verlags-Seite ergänzt man mit einer 1:1-Instrumental-Fassung, einer ausgedünnten Version nur mit Gitarren und Shaker und einer Version mit ausschließlich Gitarren. Interessant ist dort auch ein instrumentaler 30sec-Teaser mit Flöten und Violine, die nur hier zu hören sind.

Sunny Afternoon: amazonMP3 | YouTube

These Days

Beim nächsten Song These Days mit 2:43 Spiellänge ist wieder Lettie als Co-Autorin und Sängerin im Einsatz. Eine rauhe, verhalten gespielte Schrammel-Gitarre eröffenet und Lettie erfreut sich an dem Vogelgezwitscher in den Bäumen. Ab Refrain begleiten nun zwei Schrammel-Gitarren euphorisch Letties freudiges, mehrstimmiges „Uaiaiaio“ bis zum eher ruhigen Mittelteil. Lediglich ein Tambourine ergänzt das ansonsten spartanische Arrangement. Die Instrumental-Version auf der Verlags-Seite verzichtet sogar auch auf dieses Percussion-Element.

These Days: amazonMP3 | YouTube

You’re Unusual

Die letzte Nummer, You’re Unusual, ist eine von Lettie in ein Liebeslied verwandelte, getragene Ballade von 2 Minuten. Die Begleitung beschränkt sich hier lediglich auf gezupfte Akustik-Gitarre von Ant, allerdings in einer merklich ungewöhnlichen Stimmung. Die Verlags-Seite überrascht hier neben einer normalen Instrumental-Version mit einer weiteren, alternativen Instrumental-Aufnahme des Stücks in einer anderthalb-minütigen, schneller gespielten 7/8-Takt-Fassung!

You’re Unusual: amazonMP3 | YouTube

Bonus Tracks? Neben diesen 12 Vocal-Tracks mit Lettie Maclean und/oder Chris White gibt es noch drei weitere Beiträge, die hier Platz finden sollten.

Im Januar 2020 wurde auf der Compilation Results von Spark! (SPK027) ein schönes 30-Sekunden-Duett von Ant und Lettie namens Seaside Lullaby veröffentlicht.

Seaside Lullabye: amazonMP3 | YouTube

Ebenfalls 2020 erscheint im März mit Late Night City Grooves ein Library-Album von Ants Kollege James Collins auf Felt Music (FML1011), auf dem mit dem drei-minütigem LA Nights ein Stück enthalten ist, das auch Ant und Lettie als Co-Autoren listet und von letzterer gesungen wird. Ganz anders als die Singer/Songwriter-Songs geht dieses Stück in Richtung elektronischem Chill-Out. Auf der Verlags-Seite gibt es außerdem zwei Instrumental-Versionen.

LA Nights: amazonMP3 | YouTube

Abschließend sein noch eine Phillips/White-Kollaboration hingewiesen, die im März 2011 auf der Library-Compilation Little Pictures, Big Ideas von Bruton/APM (BIGS-0019) veröffentlicht wurde. Mit den knapp 2-minütigen Tracks Mediterranean Summerund Sunshine Love Song bekommen wir mediteranes Sommer-Feeling mit typischen Flamenco-Gitarren und portugiesischem Gesang geboten. Es ist der gleiche Song mit alternativen Texten, gesungen von einer Dame, die hier leider namentlich nicht erwähnt wird (Lettie ist es nicht).

Mediterranean Summer: amazonMP3 | YouTube

Sunshine Love Song: amazonMP3 | YouTube

Fazit

Anthony Phillips‘ Musik mit Gesang dürfte für einige eine lang vermisste Facette seines Schaffens sein. Das macht die hier eigentlich ausschließlich zu Library-Zwecken entstandenen, und damit nicht kommerziell veröffentlichten Songs so interessant. Ant hat mit der Auswahl seiner Mitstreiterinnen Und Mitstreiter ein glückliches Händchen bewiesen, denn die Kombination der Beteiligten hat zum Zwecke des gemeinsamen Schreibens und Aufnehmens wunderbar funktioniert. Und es wäre einfach viel zu schade, wenn diese Ergebnisse der Zusammenarbeit mit Sänger und Sängerin in anonymen, virtuellen Musik-Bibliotheken im Wartemodus bis zu einer „Verwertung“ verstauben. Mit dem vorhandenen Material ließe sich ein schönes (Mini-)Album basteln, dass es vielleicht auch hinbekäme, neue Kundschaft auf Ants Musik aufmerksam zu machen oder auch verlorene Hörerschaft wieder anzutriggern, die das Interesse an seines instrumentalen Outputs verloren hatten. Zumindest können wir dank eines Umdenkens in der Library-Branche, solche Stücke hören, wenn nicht sogar kaufen.

Chris White hat sich ab 2014 mit Loft8 Productions selbständig gemacht und produziert nun alleine Musik für TV- und Werbekunden – mehr Informationen gibt es auf seiner Website.

Lettie Maclean hat zwischenzeitlich weitere Solo-Alben veröffentlicht. Das neue Album Endless Climbmit dem Produzenten David Baron erscheint am 11. November 2022. Weitere Informationen findet ihr auf ihrer Website.

Autor: Steffen Gerlach

Links:

Anthony Phillips Recording Compendium – Website-Special Forums-Topic zu Ants Zusammenarbeit mit Lettie