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Anthony Phillips & Joji Hirota – Missing Links Vol. 3: Time And Tide – Rezension

Anthony Phillips Missing Links Vol. 3: Time And Tide ist Library Musik und wird komplettiert durch den Sampler Survival: The Music Of Nature

Plus: (Various Artists) – Survival: The Music Of Nature


Fernseh- und Library-Musik 1992-1997

Seil Jahren, so scheine es, ist Anthony Phillips dazu verurteilt, aus finanziellen Gründen neben seinen Tätigkeiten für das Fernsehen und Music-Libraries keine weiteren größeren musikalischen Projekte verfolgen zu können, die z:war wohl kommerziell weniger lukrativ wären, es ihm aber erlaubten, kompromisslos seinen musikalischen Genius walten zu lassen. Und so waren alle seine CD-Veröffentlichungen mich dem 1992er Virgin-Venture-Auftragswerk New England Sammlungen älteren Materials, Mitschnitte von ]am-Sessions mit seinen spanisch sprechenden Freunden, Live-Reproduktionen oder eben Fernseh- und Library-Produktionen, für die 1989 die Missing Links-Reihe etabliert wurde.

Als dritte Folge dieser Serie erschien Ende November 1997 Time And Tide bei Blueprint. Nur wenige Monate zuvor hatte Virgin auf dem Doppelalbum The Music Of Nature Musik herausgebracht, die acht Künstler für die renommierte britische Tierdokumenrarionsreihe Survival geschrieben hatten. 13 der insgesamt 38 Titel stammen von Ant und sind, wie auch Missing Links Vol. 3, zumeist in Zusammenarbeit mit dem japanischen Perkussionisten und, so möchte ich ihn nennen, Meditationsmusiker Joji Hirota entstanden. Da es Überschneidungen zwischen beiden Alben gibt, sei ihnen ein gemeinsamer
Artikel gewidmet.

Die 29 Stücke von Time And Tide führen den Hörer nacheinander in verschiedene Regionen des Erdballs. Die Reise beginnt auf dem südamerikanischen Kontinent. Das Eröffnungsstück Amazonas war, wie einige andere Tracks des Albums auch, bereits im Frühjahr 1993 auf der Atmosphere-Library CD Travelogues And Drama (C.D. 44) erschienen (als The Condor Flies) und wie die meisten der zehn Südamerika-Stücke für das Survival-Special Crentures Of The Magic Water verwendet worden. Amazonas bildet auch die ersten 55 Sekunden von Glide With A Manatee auf dem Survival-Album, allerdings mit Gitarren- statt Panflöten-Melodie. Mit Peruvian Plains folgt eine Variation des ersten Stücks, und Manatee Garden (Atmosphere-Titel: Gliding Over High Ground) ist als „extended version“ als zweite Hälfte von Glide With A Manatee auf der Virgin-CD zu finden. Turtle Race (auf C.D.44 als River Running) wird durch Jojis schnelle, doch konstant leise Perkussion getragen, und eine liebliche Flöten-Melodei erzählt von einem Indio Wedding (auf Travelogues … als South American Journey). Bei UnderwaterForest (Library-Titel: Forest Magic) ist Jojis Okarina-Spiel mir seinen echten Glissandi besonders beeindruckend.

Abermals dolce wird es bei Fiestn Del Charangos, einem Alterna6v-Mix des bei Atmosphere als Charango Village Life und auf The Music Of Nature als Amazinian Market Day veröffentlichten Stückes mit Flöte und u. a. Charangas. Slow Hand Sloth (Faultier-Musik)- ursprünglicher Titel: Jungle Kingdom – dient als sich subtil steigernde Hinführung zu dem drohenden River Chase (hieß Drug Barona), welches eine Up-tempo-Perkussionssequenz quasi a la Peter Gabriel (vgl. z.B. die zweite Hälfte von The Feeling Begins auf Passion) darstellt. ach Sacred Kingdom, welches Elemente aus Manatee Garden, die Underwater Forest-Okarina und die Amazonas-Gitarre (vgl. Suivival-Version) vereint, wechselt der Schauplatz nach Afrika.

Nach der geruhsamen Tonmalerei African Dream bilden Bedouin Train und Sandstorm ein musikalisches Wüsten-Diptychon, das – bereits auf der Atmosphere-CD Travelogues 3 veröffentlicht – seine Kraft aus leiser Synthesizer/Perkussions-Kollaboration mit delikaten Akkorden und schnellen Riffs bezieht.

Mit den Japanese Drums von KalahariMarch (auf Travelogues And Drama als Zambesi) verabschiedet man sich schon wieder vom Schwarzen Kontinent, und die nächsten fünf Stücke repräsentieren den Fernen Osten. Auf SongoKu und Schuan Journey ist der Chinese Guo Yue von den Guo Brothers auf der Bambus-Flöte zu hören – ein Höhepunkt auf diesem Album. Er arbeitete bereits mehrfach mit Joji zusammen, so z. B. für das einzigartige Real World-Album Trisan (mit Pol Brennan von Clannad) oder ihr gemeinsames Album Red Ribbon, auf dem auch Jojis wundervolles SongoKu-Thema schon verarbeitet wurde.

Auch Schuan Journey war in seiner ursprünglichen Version bereits auf Travelogues And Drama enthalten. Ebenfalls bekannt ist das Hauptmotiv von Slow Boat To China (Old Hong Kong auf C.D. 44) aus In The Firmament, dem zweiten Teil von Tiwai: Island Of The Apes von Missing Links vol. 2: The Sky Road. Nochmals finden wir recyceltes Material vor mit Back In The Land Of Dragons (in der Library als 1000 Bicycles), einer „gläsern“ klingenden „revisited“ Version von Kites, dem zweiten Satz der 1989er Land Of Dragons Suite von Missing Links Vol. 1 : Finger Painting.

Shadow Puppet schließlich verarbeitet eine kompositorische Idee von Mikes Mechanic Adrian Lee und ist bei Atmosphere mit GameIan betitelt. Der Hörer taucht nun ein in die Welt des Wassers, beginnend mit Sea Jewel, der Originalversion des Dwellers Of The Deep von der Survival-CD mit etwas mehr in den Hintergrund tretender Melodie. Auch End Theme For Five erinnert an genanntes Doppelalbum, denn dieses kurze Intermezzo teilt sich sein Thema mit der Melodie von Valley Beneath The Sea von der Vlrgin-Veröffentlichung.

Die folgende „Tetralogie des Meeres“, wie ich sie bezeichnen möchte, bildet ein weiteres Herzstück dieser Platte. Nach dem ausgelassenen Minnow Dance taucht man plötzlich ab in die Tiefen des Ozeans zu den Sunken Galleons – eine Geräusch-/Effekte-Komposition, an der Steve Hackett sicher Gefallen fände. Drohend und ohne „happy ending“ folgt sodann Haunting The Dark Sea – Arbeitstitel: Shark.

Für Fachkundige erklärt Ant im Booklet den komplizierten Weg der Erzeugung des mächtigen Schlusstons, und der ahnungslose Hörer staunt, wieviel Raffinesse, Sachverstand und Kunstfertigkeit wohl zur Kreation solcher scheinbar schlichter Musik gehören mag. Mit dem Titelstück Time And Tide taucht man wieder auf und reflektiert über die Unendlichkeit von Zeiten und Gezeiten und bemerkt, dass hier der typische Effekt vom Wildlife Choir (von Sail The World) wiederverwendet wurde.

Die letzten vier Stücke der CD sind dann nicht mehr einer einzigen topographischen Region zuzuordnen. Okavanga, benannt nach dem gleichnamigen afrikanischen Becken, besticht u. a. durch die tiefen leisen Perkussion-Töne und ist als Remix mit ausgedehnter Einleitung (Titel: In The Heart Of Africa) auf The Music Of Nature zu finden. Tief meditativ wird es bei Under Desert Stars, das in Lost In A Desert Night übergeht, beides eine Komposition aus Gitarre und Röhrenglöckchen. Zum guten Schluss kehrt bei Blue Lagoons (Arbeitstitel: Slow Shrimps) das Klangbett von Minnow Dance wieder, überlegt mit allerlei Effekten aus Joji Hirotas perkussionistischer Schatzkiste.

Fünf der Stücke von der Survival-CD wurden bereits erwähnt. Ants und Jojis Beiträge zu diesem offenbar nur im Vereinigten Königreich erhältlichen Album sind ebenfalls einige Anmerkungen wert und meines Erachtens über die Oberflächlichkeit vieler anderer Stücke auf diesem Sampler erhaben. Es beginnt in der Welt des Wassers mit Citizens Of The Coral, einem sehr atmosphärischen Klangbild, welches sich zweimal harmonisch immer weiter von seinem Ursprung (C-Moll) entfernt und dann plötzlich zurückkehrt.

Zu Valley Beneath The Sea (vgl. oben End Theme For Five), auch finden wir hier den bei Time And Tide (dem Stück) erwähnten Effekt wieder. Dwellers Of The Deep ist wie gesagt schon als Sea Jewel bekannt, und Glide With A Manatee vereint Amazonas (Gitarren-Version) und Manatee Garden.

Wir begeben uns nun nach Afrika: Empire Of The Elephant schildert den Dickhäuter nicht eben als das schwere trompetende Tier, als das wir ihn zu kennen glauben, sondern führt uns durch SURVIVA eine leichte Flötenweise irre. Ebensowenig ist The Rhythm Of Hell’s Gate ein sehr rhythmisches Stück, jedoch unheimlich kraftvoll durch die regelmäßig wiederkehrenden tiefen Töne und die dramatischen Akkorde. FÜr Details zu In The Heart Of Africa – siehe Okavanga.

East Of Eden ist zur Beschreibung von Salzgebirgen gedacht, nach einem oboenartigen Intro folgt ein zweiter Teil mit einer sehr „organischen“ Perkussionsschleife. Amazonian Market Day ist schon als das Charango-Stück besprochen worden, und Apalachian Heights ist eine kleine Hymne auf das Gebirge im Osten der USA. Der Rhythmus von Amazonian Journey ist so schnell wie bei Turtle Race, doch exzessiver, und geht ins Mark wie schon In The Heart Of Africa. Einem Bewohner des Regenwaldes ist Web Of The Spider Monkey gewidmet, und als letzten Beitrag hören wir schließlich Mysterious Skies.

Fazit

Das 22 . Studio-Album von Ant und der Virgin-Sampler sind eine Sammlung 42 musikalischer Kleinode für alle, die Ants Anpassungsfähigkeit an vorgegebene Stilrichtungen und die Kollaboration zweier genialer Multiinstrurnentalisten aus sehr verschiedenen Kulturen zu schätzen wissen.

Autor: Andreas Lauer
zuerst erschienen in it-Magazin #24, September 1998