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Anthony Phillips – Interview (Strings Of Light, 24.09.2019)
Anlässlich des neuen Studioalbums Strings Of Light hatte Andreas Lauer Gelegenheit, mit Anthony Phillips via Telefon ausführlich über das Album und andere Projekte zu sprechen.
Anlässlich der Veröffentlichung seines neuen Studioalbums Strings Of Light ergab sich Gesprächsbedarf. Andreas Lauer hatte die Gelegenheit, mit Anthony Phillips ein ausführliches Interview via Telefon zu führen.
Anthony Phillips: Guten Abend!
it: Guten Abend! – Wie viel Zeit haben wir ungefähr?
Ant: Ach, ich habe so ungefähr drei Tage Zeit – Nein, wie lange brauchen wir? Ich habe ungefähr eine Dreiviertelstunde, reicht das?
it: Das dürfte langen. Bevor wir richtig anfangen: Wir hätten gerne ein oder zwei aktuelle Fotos von dir. Könntest du uns welche zur Verfügung stellen?
Ant: Lustigerweise gibt es keine. Wir liegen der Plattenfirma auch schon damit in den Ohren, und die raufen sich die Haare beim Versuch, das auf die Reihe zu bekommen. Aber ich habe keine aktuellen Bilder – dafür müsst ihr euch bei der Plattenfirma beschweren… Aber da wird bald etwas passieren. Ich glaube, sie haben Angst, dass mein Gesicht inzwischen so schlimm aussieht, dass die Kamera explodiert.
it: Bist du sicher? Ich habe dich im Video für La Cura gesehen, das war gar nicht so schlimm…
Ant: (lacht)
it: Lass uns bei Strings Of Light anfangen, deinem fabelhaften neuen Album. Das war eine riesige Überraschung, als wir im August gehört haben, dass ein neues Album kommt und wie bei Twelve und Field Day auch nur Gitarrenmusik enthält. Inzwischen habe ich es mir einige Male angehört – wie lange hast du daran gearbeitet?
Ant: Ziemlich lange … Nicht so lang wie an Field Day, aber die Arbeit an Field Day musste ich wegen anderer Musik ein paarmal unterbrechen. Bei Strings Of Light war das nicht so. Ich hatte auch schon andere Sachen zu tun, aber ich habe es nicht komplett zur Seite legen müssen. Es hat ungefähr [überlegt] ein Jahr gedauert, ja, ganz sicher über ein Jahr, die Musik dafür zu schreiben. Also, natürlich nicht jeden Tag. Ich mache ja immer auch noch andere Sachen, aber eben nicht über einen gesonderten Zeitraum. Nein, wenn ich sage, ein Jahr kommt hin, dann erzähle ich Unsinn. Ich meine damit, es hat ein Jahr gedauert, um die Musik aufführungsreif zu machen. Aber die Kompositionen – ich könnte gar nicht genau sagen, wann ich die Stücke alle fertig hatte. Einige Stücke kamen schneller, die waren dann nach ein paar Wochen fertig. Andere waren schwieriger, da arbeite ich mich an Details ab und versuche, die richtige Form für das Stück zu finden. Dann gab es Phasen, in denen ich einige Stücke komplett fertig hatte und einfach hierhin und dorthin gesprungen bin. Wahrscheinlich, ziemlich offensichtlich sogar, nimmt man unweigerlich von den längeren, komplexeren Stücken an, dass man dafür länger braucht. Für einige davon habe ich sechs, sieben, acht Monate gebraucht. Das letzte Stück, Life Story, hat wirklich sehr lange gebraucht. Ich hatte da eine Menge verschiedener Abschnitte, und es kam mir wie ein Puzzle vor. Es ging gar nicht darum, jeden einzelnen Teil, den ich geschrieben hatte, da irgendwie drin unterzubringen. Einige habe ich auch verworfen, aber ich wollte versuchen, die zentralen Teile unterzubringen. Und manchmal erforderte dann die Balance des Stückes, dass ich etwas weglassen musste. Wenn man ein Stück von acht oder neun Minuten Länge hat, ist es ziemlich schwierig, die Form zu beurteilen. Den großen Romanschriftstellern ergeht es ähnlich, vermute ich: Die müssen es hinkriegen, dass das, was sie auf Seite 2 schreiben, im ganzen Handlungsverlauf immer noch Sinn ergibt, wenn sie auf Seite 600 sind. Das ist keineswegs einfacher, und erfordert großes Können. Ich habe da eine ganze Weile im Nebel herumgestochert.
Ich saß in der Küche auf dem Fußboden und dachte: Das kann ich nicht!
20 der 24 Stücke habe ich im vergangenen Dezember aufgenommen, also etwa 15 Monate nachdem ich mit dem Album angefangen habe. Die vier anderen Stücke, die wirklich schwierigen Stücke, habe ich bis April liegen lassen, weil ich sie nicht alle gleichzeitig üben konnte – das hätte meinen armen Körper kaputtgemacht. Was das angeht, werde ich langsam wirklich alt. Ich hatte Probleme mit dem linken Handgelenk, als ich Field Day aufgenommen habe, weil ich damals viel am Keyboard fürs Fernsehen gearbeitet habe (und eine Menge dieser Sachen werden mit einer Hand gespielt) … Jedenfalls kommt man sehr leicht aus der Übung. Ich erinnere mich, dass Trevor Rabin das selbe erzählte, als er all seine Arbeiten für Filme gemacht hat – man kann eben nicht zwei Leben auf einmal leben. Man kann nicht so viel üben, wie man üben müsste. Rabins Technik ist natürlich ganz anders als meine, vor allem bei elektrischen Instrumenten, aber, weißt du, in den 80ern, bevor die Computer aufkamen, haben wir viel mit der Hand geübt und gespielt, wahrscheinlich viel mehr, vor allem die Songschreiber – heute eben nicht mehr so sehr. Es hat lang gedauert, die Ausdauer und die Kraft wieder aufzubauen – und ich habe in dieser Zeit auch noch viel Physiotherapie gemacht. Letztes Jahr im Dezember, nur ein paar Wochen davor, hätte ich beinahe aufgehört. Ich weiß noch, dass ich in der Küche auf dem Fußboden saß und – naja, nicht in Tränen ausgebrochen bin, aber nur dachte: Ich kann das nicht! Und ein Teil von mir meinte: Na, dann lass ich das jetzt einfach mal alles sein und komme in ein paar Monaten darauf zurück. Und dann dachte ich: Komm, bleib dran! Sei vernünftig, Mann, sei vernünftig! Mach nicht „alles oder nichts“! Ich bin eben schon ein Mensch, der „alles oder nichts“ denkt, aber dann fand ich: Der vernünftige Weg (okay, du bist meistens kein vernünftiger Mensch, aber versuch es mal) sieht so aus: Fang mit den einfachen Stücken an, und dann hast du Zeit zum Üben! Denn wenn ich die schwierigen Stücke geübt habe, hat sich das ziemlich zerstörerisch auf die anderen ausgewirkt: Die schwierigen Stücke haben mein linkes Handgelenk so stark belastet und meine Schulter, dass ich die anderen Stücke nicht ordentlich einstudieren konnte. Die Vernunft hat sich dann durchgesetzt, und ich habe die schwierigen vier Stücke bis zum April liegen lassen. Am 1. April habe ich dann wieder angefangen, und Ostern war ich fertig. Abgemischt haben wir die Stücke dann im Mai. Damit hat das ganze Album von Anfang bis Ende dann anderthalb Jahre gebraucht. Ein bisschen länger.
it: Die schwierigen vier – das waren jetzt aber nicht notwendigerweise die längsten, oder?
Ant: Die schwierigsten vier Stücke, merkwürdigerweise die technisch schwierigsten – da hast du recht. Dabei sind einige für 12-saitige Gitarre. Was die meisten Leute nicht verstehen – naja, sie verstehen es sicherlich schon, wenn ich es ihnen erkläre, aber allein vom Hören her merken sie es nicht, ist: Bei der 12-saitigen Gitarre braucht man aus offensichtlichen Gründen mehr Kraft, um die Saiten herunterzudrücken. Wenn man nur ein paar einfache Akkorde mit drei Tönen anschlägt, ist das kein Thema. Aber wenn man kompliziertere Sachen spielt, wird das linke Handgelenk ziemlich belastet. Und wir haben lange herumprobiert, bis wir die Saitenlage tief genug hatten, dass die Saiten nicht allzu schwer herunterzudrücken waren – aber wenn man sie zu tief legt, bekommt man Nebengeräusche, und wir waren immer dabei, möglichst viel von dem einen und möglichst wenig von dem anderen zu haben. Dale Newman hat ja früher für Genesis gearbeitet und kümmert sich jetzt für mich um die Gitarren; ich nenne ihn „guitar Tsar“, meinen Gitarrenflüsterer.
it: Das habe ich gelesen.
Ant: Er hat großartige Arbeit geleistet, alle Gitarren zu den richtigen Reparaturwerkstätten zu bringen und alles so hinzubasteln, dass es möglichst einfach zu spielen ist. Wenn man nämlich #ein# solches Stück spielt, ist das okay, aber wenn man eine ganze Reihe von Stücken einspielt und die Noten teilweise lange halten soll, dann nimmt die Belastung der linken Schulter und des linken Handgelenkes sehr stark zu. Das letzte Stück, Life Story, ist ein ziemlich langes. Das war auch technisch anspruchsvoll. Lustigerweise ist Winter Lights, eines der längsten Stücke, ein Biest. Ein absolutes Biest für die linke Hand auf der 12-saitigen Gitarre. Aber es klingt überhaupt nicht so, als sei es eins der schwierigsten Stücke auf dem Album. Ein anderes Stück, das ich sehr schwierig fand, weil ich nur ganz selten schnelle Leadgitarrenpartien übe, ist Mouse Trip. Für mich war das eine technische Herausforderung. Und das Stück hat viele Veränderungen erlebt. Es gab einen Moment, da war es noch viel großspuriger als jetzt, aber ich habe es ein bisschen zurückgenommen, um es etwas schlichter zu halten. Und das andere Stück war das auf der 16-saitigen Gitarre.
it: Die Grand Tour?
Ant: Genau. Das war wirklich schwer! Einmal, weil es eine 16-saitige Gitarre ist – du hast zwei zusätzliche Saiten oben, zwei zusätzliche Saiten unten, der Gitarrenhals ist also viel breiter. Und es war ein sehr verwickeltes Stück, es ging auch um Komplexität. Das Stück war jetzt keins von denen, die dein Handgelenk schrotten, weil man die Saiten so fest drücken muss, aber es war so verwickelt. Und die Gitarre war unglaublich schwierig zu stimmen, wir hatten große Probleme, sie zu stimmen. Da hatten wir also viele verschiedene Schlachtfelder, aber bei diesem Album habe ich etwas gehabt, was ich seit den 70ern nicht mehr gemacht habe: Ich hatte für die ganze Aufnahmezeit einen Toningenieur dabei! In erster Linie habe ich mir das früher nicht leisten können, aber es hat einen gewaltigen Unterschied gemacht. Es bedeutete, dass ich jemanden hatte, der mir Richtungen zeigt, jemanden, dem ich vertraue, der mir einerseits sagt „Das ist in Ordnung, mach weiter“, der mich aber andererseits auch mal stoppt: „Schöne Idee, aber das müssen wir nochmal machen.“ Wenn ich alleine eine Aufnahme mache, dann neige ich dazu, das Klein-Klein zu betrachten; ich verliere mich dann sehr leicht im Detail. Dann spiele ich immer nur ein kleines bisschen, weil ich immer wieder aufhöre und wieder anfange. Das ist gefährlich, wenn man, wie es mir passiert, dann den großen Fluss des Stückes verliert. Mein Ingenieur James hat mich dazu gekriegt, längere Teile eines Stückes aufzunehmen und die dann nochmal anzuhören. Und wenn es da etwas gab, was nicht gepasst hat, dann haben wir diese kleinen Abschnitte versucht zu reparieren. So haben wir dann die Entwicklung, den Fluss des Stückes erhalten. Wenn man immer wieder stoppt und neu ansetzt, verliert man dieses Durchgängige, dann entwickelt sich das Stück nicht natürlich. James hat dafür eine ganz entscheidende Rolle gespielt, und er hat auch für einen tollen Sound gesorgt.
it: Das stimmt, der Klang ist beeindruckend. Was hat er sonst noch beigesteuert? Was hat er beim Sound bewirkt? Gab es irgendwelche Overdubs? Ich glaube, mindestens Sunset Riverbank hat einen Overdub?
Ant: Da hast du vollkommen Recht. Er hat auf vielfältige Art und Weise mitgewirkt, über das hinaus, was ich angesprochen habe. Wir hatten zwei verschiedene Mikrofoneinstellungen. Ich habe einen wunderbaren neuen Studioraum – wenn ihr mal in London sein mit Helmut und den anderen, dann müsst ihr euch den mal ansehen – er ist luftiger. Darin steht mein Klavier und mein Cembalo und so. Es ist etwas luftiger als das eigentliche Studio, in dem ich manchmal Aufnahmen mache, und deshalb klingen manche Stücke dort besser. Ich habe auch ein fantastisches neues Mikrofon aus einem Ort namens Deutschland – ich weiß nicht, ob du schon mal von Deutschland gehört hast [lacht] – ein großartiges Mikro, es macht einen unglaublich warmen Klang. So nah sind wir, glaube ich, noch nie an den echten Klang des Instruments herangekommen. James war unglaublich wichtig für den Mikrofonaufbau, und er war sehr wichtig, wenn es darum ging zu entscheiden, wann wir Effekte einsetzen sollten und wann nicht. Du hast ja die zusätzliche Gitarre auf dem einen Stück angesprochen, und wir hatten kleine Verbindungsstücke und einige Überblendungen, in denen mehrere Gitarren zu hören sind. Und ich überlegte: Was sollte ich tun? Sollte ich da noch ein paar 12-saitige Gitarren drüberlegen? Das Ende dieses einen Stücks hat fünf oder sechs 12-saitige Gitarren hintereinandergeschaltet. Das war wirklich gut. Und dann gibt es Überblendungen, wenn bei verschiedenen Teile eines Stückes der Hall hinzukommt und wieder schwindet, und er war super darin, den Sound für diese Sachen hinzubekommen. Und, weißt du, ich kann mich auf ihn verlassen und muss nicht hochrennen und alles selbst machen.
Niemand will 75 Minuten Musik am Stück hören
Und bis zum Schluss hat er mir mit den Songtiteln geholfen, denn bei diesem Album habe ich mich merkwürdigerweise mit den Songtiteln schwergetan. Gewöhnlich fällt mir das leicht, aber diesmal war ich fertig, und viele Stücke hatten noch keinen Titel. Auch die Reihenfolge der Stücke festzulegen war so eine Sache. Ich werde immer wieder gefragt: „Wie bist du auf diese Reihenfolge gekommen?“ Ehrlich gesagt: Wir haben geraten. Es war nicht so wie bei dem Spiel, wo man die Augen schließt und eine Nadel an den Track heftet, so schlimm war es nicht. Aber wir hatten das Gefühl, dieses Stück sei gut am Anfang und jenes gut fürs Ende. Und während wir dabei waren, haben wir etwas wichtiges gemerkt – wir haben es immer gesehen, aber erst fast ganz am Schluss haben wir gemerkt: Das ist zu lang für ein einfaches Album. Wir haben nie auf die Länge der Stücke geachtet. Ich wusste nicht, wie lang die Stücke sind, aber wir wussten: Wenn wir alle Stücke behalten, ist das Album ein kleines bisschen zu lang. Die Frage war also: Schneiden wir etwas heraus, lassen zwei Stücke weg und landen bei ungefähr 75 Minuten? Wir wussten aber auch, dass das zu lang ist – niemand will 75 Minuten am Stück Musik hören. Es war also viel besser, die Musik auf zwei CDs zu verteilen. Wobei wir das mehr als zwei Seiten des Albums aufgefasst haben. Die Leute denken immer, eine Doppel-CD enthielte zweimal über eine Stunde Musik. Aber hier ist jede Seite knapp über 40 Minuten lang, 42 oder 43 oder so, und deshalb haben wir es ganz klar als die Albumseite A und die Albumseite B betrachtet. Und dann macht man sich in der Mitte erstmal eine schöne Tasse Tee und genießt die Pause. Also hatten wir den Anfang der A-Seite, das Ende der A-Seite, einen guten Track für den Anfang der zweiten Seite, und wir wussten, mit welchem Stück das Album enden sollte. Danach haben wir die Mitte gefüllt mit … wir mussten Tempo und Klangfarben abstimmen, nicht zu viele Stücke auf der klassischen Gitarre auf einmal haben, nicht zu viele langsame Stücke zusammen, nicht zu viele schnelle, und die Klangfarbe wechseln. Wir haben das dann einmal durchgehört und die Abfolge nicht mehr geändert. Das war unsere erste Intuition, und sie scheint zu funktionieren.
it: Das Gesamtkonzept ähnelt ja dem von Field Day, aber die Stücke sind hier länger, sodass es nicht so viele verschiedene Stücke gibt. Field Day war, glaube ich, über zwei Stunden lang – hier ist es nicht so viel Musik, aber du hast eine Menge Gitarren auf dem Album …
Ant: Ja, ich habe mir Field Day angeschaut. Das Album hat ein paar schöne Stücke, aber ich selbst finde, dass Field Day wahrscheinlich zu lang war und gewissermaßen zu viel Information enthielt. Ich will das alte Album nicht abwerten, aber ich finde schon, dass das neue Album kompakter ist, schlanker und deshalb nicht so eine Herausforderung für die Ohren der Hörer. Und es gibt nicht so viele kurze kleine Stücke wie auf Field Day. Ich habe das große Glück, eine schöne Sammlung von Gitarren zu haben, also habe ich nicht einfach gesagt: „Das ist die beste Gitarre, die muss ich verwenden.“ Ich bin einfach durch das Quellmaterial gegangen, jede Menge davon, nur grobe Ideen, die ich mir in den letzten zwei oder drei Jahren notiert hatte. Viele Komponisten arbeiten so; sie fangen nicht immer mit einem leeren Blatt Papier an. Wie ein Maler habe ich Skizzenbücher und kleine Ideen. Man muss sich ja auch vor Augen führen, dass ich seit Ewigkeiten kein Gitarrenalbum aufgenommen habe. Ich habe ein bisschen Librarymusik auf der Gitarre gemacht, aber das ist etwas anderes. Also habe ich Sachen hervorgeholt und sie einfach auf der Gitarre gespielt, auf der ich sie auch ursprünglich gejammt habe. Es gab ein paar Stücke, bei denen ich die Gitarre, auf der ich gespielt hatte, nicht gut genug fand. Dann hatte ich eine Gitarre zur Verfügung, die viel … Beim letzten Stück zum Beispiel, Life Story: Ich habe das auf der Gitarre gespielt auf der ich tatsächlich 1973 meine Prüfung als Gitarrenlehrer abgelegt habe – ist das zu glauben? Eine schöne Gitarre mit Ausstrahlung, aber sie hat einfach nicht die Tiefe, nicht einmal ansatzweise. 1973 habe ich 70 Pfund für sie bezahlt, das war damals eine ganze Menge Geld. Aber jetzt habe ich das Stück auf einer Francisco Simplicio gespielt, die ist von 1929 oder 1930: eine wundervolle Gitarre mit solcher Wärme und Tiefe. Und wenn du eins deiner Stücke in seinem besten Licht sehen willst, dann wird natürlich der Klang umso besser, je besser das Instrument ist. Ich habe das nicht gemacht, um mit den Instrumenten anzugeben. Ich habe nur versucht, die jeweils beste Gitarre für das jeweilige Stück zu verwenden.
it: Stimmt es, dass viele Gitarren auf Strings Of Light noch nicht auf anderen Alben zu hören waren? Außer der Bell Cittern auf Field Dayund der L’Arrivée?
Ant: Richtig. Wenn man so drüber nachdenkt, sind es ja schon fast zwanzig Jahre, seit Field Day erschienen ist. Naja, so viele noch nicht, aber darauf läuft’s schon hin, mehr als fünfzehn Jahre auf jeden Fall. In dieser Zeit habe ich eine Menge Instrumente erwerben können. Ein paar 12-saitige sind es, einige sechssaitige, die Brook Sechssaiter, die ich schon früher benutzt habe … Manche davon sind nicht sehr teuer, und die Guitarina, auf der ich Mystery Tale eingespielt habe, das war fast eine Spielzeuggitarre, die im Laden 100 Pfund gekostet hat [lacht]. Es sind also nicht nur wunderbare antike Instrumente. Es sind ein paar wundervolle dabei, ein paar wirklich ganz wundervolle. Und ich glaube, beim Hören merkt man auch, dass ich mit dieser schönen Sammlung sehr privilegiert bin.
it: Wollen wir uns ein paar Stücke anschauen? Mouse Trip zum Beispiel; du sagtest, das sei ein schwieriges Stück gewesen. Für mich klingt das so, als würdest du es auf dem Gitarrenhals spielen. Stimmt das?
Ant: Nein. Naja, also ich spiele da schon mit verschiedenen Haltungen [gemeint ist die Haltung der rechten Hand, d.R.]. Aber ich weiß, worauf du hinauswillst. Ich habe die Saiten mit meiner rechten Hand gedämpft. Ich habe die Saiten berührt, um diesen Dubbing-Effekt*) zu erreichen. Bei Streichinstrumenten ist das das Pizzicato. Und das ist auch das einzige Stück, bei dem wir eine Art Wirbeleffekt verwendet haben. Anderswo haben wir ein kleines bisschen Echo und Schimmer eingefügt – Mouse Trip sollte allerdings ein bisschen verschroben klingen. Wir haben da ein paar kleine elektronische Effekte genutzt. Allerdings hast du recht, bei den ersten drei Runden spiele ich mit Dubbing, und das ist technisch ziemlich schwierig, denn wenn man das rechte Handgelenk nahe am Steg auf die Saiten drückt, während man spielt, ist das nicht so ganz einfach [lacht].
it: Ein anderes experimentelles Stück ist Into The Void. Es ist auch sehr kurz, aber: Wie hast du das gemacht?
Ant: Schön, dass du fragst – danach hat mich tatsächlich noch niemand gefragt. Das kam tatsächlich eigentlich von einem anderen Experiment. Ursprünglich habe ich den Effekt auf einer Gitarre namens Tuplett ausprobiert, die ich nicht auf diesem Album spiele. Man lässt die Gitarre – nicht zu fest! – also den Hals und die Saiten auf ein Holz fallen, und dann federt sie auf und ab. Und während sie federt, wird der Ton immer schneller und schneller – exponentiell schneller und entschwindet dann in der Ferne. Kann man sich so vorstellen – der Ton macht [ahmt es nach] daaaam, daam, dam, dam, dam, dam, d-d-d-d-d-d… und verschwindet dann in der Ferne. Eine exponentielle Kurve, habe ich mir sagen lassen. Bei dem mathematischen Ausdruck bin ich aber nicht ganz sicher. Wir fanden den Effekt toll, weil er so seltsam ist. In der Surroundversion hat James ein paar Surroundeffekte eingesetzt, da scheint der Klang herumzusausen, immer schneller, je schneller er wird – dieser Effekt hat uns gut gefallen, und dann geht es direkt in Andean Explorer über. Das war lustig. Es war ein Zufall, aber ein glücklicher Zufall.
it: In einem anderen Interview mit dir, das kürzlich erschienen ist, meine ich gelesen zu haben, dass Shoreline und Winter Lights schon ältere Stücke sind.
Ant: Das sind sie! Sie sind ziemlich bald entstanden, nachdem ich Genesis verlassen hatte, also 1971. Shoreline war sogar ein Teil meines – das habe ich noch niemandem erzählen können – Shoreline war ein Teil des [‚mit großen Augen‘] Exklusivmeldung! – Also Shoreline war ein Teil des Gitarrenquintetts, das ich geschrieben habe. Das Quintett wurde aber nie gespielt, weil es zu ungeschlacht war, ehrlich gesagt. Ich habe es für Gitarre geschrieben – Gitarrenquintett, Streicherquintett und Holzbläserquintett. Und es gab vier Sätze in dem Stück und das wurde alles ein bisschen viel. Das war kurz nach The Geese & The Ghost, also nachdem The Geese & The Ghost nicht erschienen war, und es war alles schwer in den Griff zu kriegen. Als später der erste Teil auf … ich weiß nicht mehr welchem Album herauskam, nannte ich ihn Beautiful Conversation; das war der erste Satz**). Und das hier ist der dritte Satz des ursprünglichen Gitarrenquintetts. Ich habe es Shoreline genannt. Es hat diese langsame, rollende Beschaffenheit wie Wellen. Und auch Northern, äh, Winter Lights kam aus derselben Zeit, ist aber ein anderes Stück. Auch ziemlich kompliziert für damalige Verhältnisse, um ehrlich zu sein. Die Griffe in der Einleitung sind nicht einfach, und um es direkt zuzugeben, nach so vielen, vielen Jahren fand ich sie jetzt auch nicht mehr viel einfacher. [lacht].
it: Hattest du Aufnahmen dieser Stücke oder hattest du dir die Noten aufgeschrieben?
Ant: Gute Frage. Wirklich eine sehr gute Frage! Zum Glück hatte ich eine Partitur für das Gitarrenquintett. Ich konnte mich nämlich nicht mehr auf die Gestaltung besinnen. Die Gitarren sind eigenartig gestimmt, beide auf DADGAD. Und ich kam auch nicht mehr auf die Griffe, da waren einige seltsame dabei. Und dabei habe ich Shoreline tatsächlich vereinfacht. Die Partitur war noch verwickelter. Da gab es auch noch sehr lustige Sachen – Spielereien mit Harmonien und so, so kompliziert, völlig durchgeknallt. Ich war damals 25, 26 oder so, und dermaßen ehrgeizig – na, vielleicht jünger, 23, glaube ich, als ich das Stück geschrieben habe. Also habe ich es ein wenig vereinfacht.
Ich war ungefähr 25 und total ehrgeizig
Aber du hast schon recht mit deiner Vermutung, einer davon, denn bei Winter Lights konnte ich mich wirklich nur an die ersten paar Abschnitte erinnern – den Aufstieg, wie es dann in den Mollteil geht und den Abstieg. Ich wusste nicht mehr, was danach kam. Mein Gefühl sagte mir, wenn es gut gewesen wäre, richtig gut, dann hätte ich mich daran erinnert. Wenn ich mich an die Anfänge hätte erinnern können, an die ersten Sachen – man denkt, dass man das nicht vergisst, dass man sich durch die tausende Konzepte und das Zeug wühlt und es findet, aber man findet es halt nie. Du kannst dich nicht daran erinnern? Dann vergiss es. Ich habe das alles geschrieben und … der mittlere Teil ist ganz neu. Seltsam, das miteinander zu verheiraten – wir sprechen hier von fast 50 Jahren Altersunterschied. Wenn man darüber nachdenkt, ist das ziemlich angsteinflößend. [lacht].
it: Um nochmal auf Life Story zurückzukommen: Beim Hören hatte ich das Gefühl noch nie ein Stück von dir mit so vielen schwierigen Ausschmückungen gehört zu haben?
Ant: Danke. Ich wollte da nicht über die Maßen clever wirken, möchte ich gleich sagen. Die Gitarre ist auf eine Art gestimmt, die ich erst kurz zuvor entdeckt habe. Sie ist auf einen Durakkord gestimmt, offene D- oder E-Stimmung, aber die zweite Saite ist höher gestimmt, so dass verrückterweise die Mollnote im Akkord ist, und das erweckt stark den Eindruck von Meer. Ich wollte dem Stück einen Titel mit „Sea“, also „Meer“, geben, denn das Stück weckte in mir Bilder vom Meer, von Wasser, Bewegung und so. Aber die anderen waren nicht meiner Meinung. Ich habe schon immer den Eindruck gehabt, dass es einfach ist gute Melodien zu finden und auch einfach Spaß macht, wenn man die Gitarre wie eine Sitar spielt; die wird praktisch mit offenen Saiten gespielt, nicht wahr, und alle Ornamentik findet nur auf der obersten Saite statt, und vielleicht ein kleines bisschen noch auf der zweiten. Viele Abschnitte in diesem Stück waren genau so – die Figuration und Ornamentik auf der obersten Saite, manchmal auch auf der zweiten – und manche gingen auch über alle 6 Saiten hinweg. Ehrlich gesagt war einiges davon sehr schwierig, wirklich sehr schwierig. Ein paar Griffe musste ich vereinfachen, damit ich sie spielen konnte [lacht].
it: Du erwähntest schon, dass das Stück verschiedene Teile hat. Würdest du den Begriff „rhapsodisch“ akzeptieren?
Ant: Ja, schon… Ich meine, mir ist es egal, wie jemand das nennt. Ehrlich gesagt und ganz aufrichtig: Ich bin erstaunt, dass das überhaupt geklappt hat. Ich weiß noch, dass ich zu James über die vier schwierigen Stücke gesagt habe: „Wenn zwei von diesen Stücken gut werden, bin ich froh. Drei Stücke wären unglaublich. Und vier wären eine mittleres Wunder.“ Als ich das Stück zum ersten Mal gespielt habe – da hatte niemand es gehört, keine Menschenseele seit anderthalb Jahren, da dachte ich, James sagt: „Das ist ein Chaos. Das funktioniert nicht, das hat keinen Fluss.“ Aber er sagte: „Moment mal, das läuft ja richtig gut!“ Es gibt diese kleinen Abschnitte, und ich verstand, dass es um das Gleichgewicht geht, das Stück zwischen den einzelnen Teilen auch mal atmen zu lassen und den Rest dann durchzuziehen. Wenn man zu viel Platz zum Atmen gibt, wird es langsam und gewichtig. Wenn man es zu sehr durchziehen will, klingt es hastig. Wie es ist, ist es auf seltsame Weise durchgängig. Und ich könnte nicht annähernd sagen, dass ich es gut hingekriegt habe. Aber als es dann gut zu klappen schien – ist es rhapsodisch? Ich sehe es als ein Thema mit Variationen, denn es gibt ein Hauptthema am Anfang und dann jede Menge Variationen und reichlich … Ja, man kann dem Stück schon eine Menge Namen geben, es hat keine feste Form, also im klassischen Sinn. Es ist auch nicht nur ein Thema und seine Variationen, denn da sind auch noch andere Teile. Aber die Hauptsache ist, dass es für die Hörer interessant ist und eine Art Geschichte erzählt. Und ich bin ziemlich zufrieden mit dem Ende. Damit bin ich zufrieden, weil es so schwierig war.
it: Ja, das Aushauchen …
Ant: Genau. Das letzte Stück war schwierig. Wahrscheinlich kommt die Bemerkung, die ich aufs Cover geschrieben habe, etwas arrogant rüber. Aber ich meine es wirklich nicht hochmütig. Denn auf dem Cover heißt es „Beim letzten Stück gibt es keine Overdubs“, weil ich dachte, die Leute könnten meinen, dass dieser Schimmer-Effekt separat eingespielt wurde. In Wirklichkeit spiele ich ihn mit der rechten Hand, wie wir es schon bei Genesis gemacht haben – Mike und ich bei White Mountain, das ist derselbe Effekt. Die linke Hand schlägt die Noten ganz selbstständig an.
it: Wow!
Ant: Und das war auch nicht dieses „Ich bin ja so clever!“ Ich fand nur, das würde schön klingen. Und der Blick auf die Noten zeigte, dass es ging. Und ich wollte einfach, dass die Leute wissen: Das lässt sich beides zusammen spielen. Mehr nicht.
it: Hattest du vielleicht das Leben von jemand anderem im Kopf, als du das Stück Life Story genannt hast?
Ant: Nein, überhaupt nicht. Das könnte ich nicht behaupten. Ich habe das Stück als eine Reihe von Meeres-Episoden betrachtet. Aber James, mein Ingenieur meint, es klänge wie die Geschichte eines Lebens. Und wir dachten an eine Lebengeschichte: Ist es nicht überzogen, zu viel, wie ein Grabstein oder so? Also dachte ich, warum nennen wir es nicht Life Story [was im Gegensatz zu „Story Of Life“ den Aspekt der Geschichte betont; d.Übers.]. Denn es durchläuft viele Veränderungen, viele Abenteuer, hell und dunkel. Wahrscheinlich ist dir bei The Geese & The Ghost und Slow Dance schon aufgefallen, dass ich am Ende gerne auf der Seite des Lichts stehe. Ich möchte, dass die Guten am Ende gewinnen. Das einzige Album, bei dem das nicht so war, ist 1984; naja, weil das Buch eben auch kein gutes Ende hat. Und so, wie sich die Welt momentan entwickelt, sieht es auch ständig so aus, als würde es auch kein gutes Ende nehmen. [lacht]. Bei 1984 passte es eben, diesen Misston nicht zu hinterfragen. Aber ich habe es gern, wenn die Geschichte eine Auflösung hat und die Leute das Gefühl haben: [im Tonfall überwältigender Erleichterung] „Ah, jaa, okay, gut.“
it: Immerhin steht am Ende von 1984 ja das friedliche Anthem …
Ant: Yeah.
it: Aber ich mag den Akkord.
Ant: Freut mich.
it: Dürfen wir noch ein paar andere Fragen loswerden, die nicht mit Strings Of Light zu tun haben?
Ant: Aber ja, schieß los.
it: Vor sieben Jahren hast du dein bislang letztes Album mit neu aufgenommener Musik veröffentlicht, nämlich Private Parts & Pieces XI. In der Zwischenzeit hast du ja aber beispielsweise auch Songs mit Lettie Maclean aufgenommen …
Ant: Ja, wobei die Stücke mit Lettie strenggenommen für Library-Musik waren. Es gibt da gerade einen gewissen Umbruch. Die Leute bekommen über Youtube und so Zugriff auf Library-Musik, und ich bin damit nie glücklich, denn was wir für Library-Musik machen, ist maßgeschneidert für die Forderungen des Musikverlags – wir sind da keine freien Künstler und machen nicht unsere eigenen Sachen. Deshalb fühle ich mich damit nicht so wohl. Gut, wir haben uns entschieden, dieses eine Stück zu veröffentlichen, weil wir den Eindruck hatten, es spreche für sich selbst. Aber das ist schon eine verzwickte Wanderung zwischen den Welten.
Die Musik klingt nicht so spannend – das kann sie auch nicht
Wir fangen jetzt an, einen großen Teil der Library-Musik über Streamingdienste verfügbar zu machen. Ich bin damit eher unglücklich, denn ab und zu gehen wir unseren Bestand durch, und wenn wir den Eindruck haben, dass ein Stück unabhängig von Bildmaterial funktioniert, dann packen wir es auf ein Album. Aber viel von der Library-Musik funktioniert so nicht, weil sie dafür nicht geschrieben wurde. Sie wurde geschrieben, um ein Bild akustisch zu begleiten und klingt an und für sich nicht interessant – kann sie auch nicht. Und das ist eine Schwierigkeit.
it: Und diese besonderen Versionen mit James Collins, Halcyon Days und Sunshine Upon Your Shoulder?
Ant: Ja. Okay, da hatten wir das Gefühl, dass diese beiden Stücke besseres verdient haben als im Library-Archiv zu liegen, und es war ein Experiment. Aber ich will da ganz aufrichtig sein – es gibt tausende Sängerinnen und so viele Produzenten! Und dabei die richtige Balance zu finden, die richtige Mischung… – wahrscheinlich bin ich auch einfach zu alt dafür – aber die richtige Balance zu finden … Das war jetzt kein superkommerzielles Zeug, aber doch schon ziemlich kommerziell. Während Halcyon Days ein schöner Song ist, ist Sunshine Upon Your Shoulder eher so eine Art Sommersong zum Mitsingen. Aber vielleicht haben die Songs den Leuten gefallen, nur dass sie eben nicht diese magische Kraft hatten, zu einem großen Hit zu werden.
it: Es gibt also keine Pläne für künftige Zusammenarbeiten außer vielleicht für Library-Musik?
Ant: Möglicherweise schon, glaube ich, aber das weiß man halt nicht. Lettie ist sehr begabt. Wenn sich also irgendetwas ergibt, das in Richtung einer Single gehen könnte, würden wir es natürlich versuchen. Sie hat ja auch noch eine Reihe anderer Songs gemacht; sie ist wirklich sehr begabt.
it: Ein anderes Stück, an dem wir uns erfreuen konnten, war Gemini, das von Martha Argerich und Gabriele Baldocci gespielt wurde. Wir kam es dazu und hast du von Frau Argerich eine Rückmeldung bekommen?
Ant: [lacht] Also, Gabriele Baldocci kenne ich aus einer Progband. Er ist in einer Progband namens The Gift …
it: Ah, deswegen!
Ant: Die kenne ich gut, wir sind befreundet, und Gabriele ist ein großartiger, ganz brillianter Pianist. Er ist ja auch allein als Konzertpianist unterwegs. Martha hat ihn unter ihre Flügel genommen, als er an einem Wettbewerb teilgenommen, aber nicht gewonnen hat. Das hat sie furchtbar wütend gemacht, sie fand, er hätte gewinnen müssen. Sie haben ein paar Konzerte als Duo gegeben. Und dann fragte er: „Warum schreibst du nicht mal was für Martha.“ Und ich sagte: „Du machst Witze – für eine der besten Pianistinnen der Welt, für die beste? Sowas kann ich nicht schreiben“ Jedenfalls hatte ich dann diese etwas sperrige Idee. Ich habe sie ihm als ganz grobes Gedankenspiel vorgestellt, und ihm schien es zu gefallen. Dazu hatte ich da noch eine fertige Passage, die dann in der Mitte landete, wo es fröhlicher klingt. Und er meinte: „Warum packst du da nicht ein bisschen…“ und dann arrangierte er den Duett-Teil in der Mitte und ich am Ende. Bis zur letzten Minute wusste ich nicht, ob Martha das spielen würde, weil sie nur zehn Tage zum Üben hatten – sie ist so beschäftigt und hat eine merkwürdige Tageseinteilung. Sie schläft bis sieben Uhr morgens; in dieser Hinsicht ist sie wie einer dieser altmodischen Hippies. Sie lebt in Brüssel, und zwei oder drei Tage lang haben sie nicht geprobt, weil sie keine Lust hatte. Sie ist ja schon recht alt, aber absolut großartig. Und ein sehr, sehr netter Mensch. Am letzten Abend in Barcelona wurde ihr Auftritt gefilmt, und sie war nicht damit zufrieden, wie sie gespielt hatte. Mit all den Fans da draußen bestand sie darauf, dass die Kameras noch da bleiben, und dann haben sie noch zwei oder drei Versionen gespielt, bis sie zufrieden war – außerordentlich großzügig!
it: Das ist toll!
Ant: Und wie. Ich meine, ich habe keine Ahnung, was meine Fans davon halten. Die haben natürlich mehr Interesse an der Musik, die ich mache, als an der Musik, die ich nur komponiere – und dafür habe ich jedes Verständnis. Aber ich möchte auf jeden Fall sagen, dass das für mich eine große Ehre war, ein gewaltige Ehre!
it: Um die Librarymusik noch mal anzusprechen – ich habe bei amazon ein Album namens Sport And Leisureentdeckt, das größtenteils die Musik von Sail The World enthält, aber mit anderen Titeln. Und dann ist noch ein Stück dabei, das heißt The Victors und nennt Mike Rutherford und Anthony Phillips als Autoren. Kennst du das?
Ant: Ja. Das haben wir für eine Fernsehsendung gemacht. Mikes Frau hat viel Schauspringen gemacht, weißt du, Reitveranstaltungen. Dazu gab es dann eine Sendung mit den Höhepunkten einer Springreitveranstaltung. Und wir haben die Titelmusik dazu geschrieben; insofern war das Stück eine Szene im Fernsehen.
it: Das war dann also schon länger her?
Ant: In den frühen Neunzigern. Die Musik für Sail The World war ja auch für eine Fernsehsendung, nämlich für die Whitbread Round The World Yachtregatta. Auch hier war ich mir nicht sicher, ob ich das als Album herausbringen sollte, überhaupt nicht sicher. Die Plattenfirma fand, es sei eine gute Idee, also haben wir es getan – ich bin mir nicht sicher, ob das so schlau war. Aber ein anderer Verlag für Librarymusik als mein eigentlicher Verlag war sehr interessiert, also haben sie es veröffentlicht.
it: Wir haben nicht mehr so viel Zeit übrig, aber vielleicht darf ich noch nach künftigen Wieder-Veröffentlichungen fragen – und künftigen neuen Veröffentlichungen?
Ant: Gerne. Was neue Veröffentlichungen angeht, möchte ich gerne ein neues Album mit Klaviermusik machen, vielleicht auch mit Cembalo, denn ich habe so ein schönes Cembalo. Ich plane ganz entschieden ein … – manche sagen, ich sollte versuchen, ein Album mit Liedern aufzunehmen. Aber der zeitliche Aufwand, den ich dort hineinstecken muss, ist offenkundig schwieriger zu machen, komplex. Also hängt das alles von der Librarymusik ab, weil wir dort den Großteil unseres Einkommens herholen. Wenn ich also ein Album mit Liedern mache, werde ich recht einsam sein. Aber ich möchte das gerne ausprobieren.
Ich wünschte, ich könnte mich klonen
Wie gesagt, möchte ich gerne ein Klavieralbum machen. Ich werde auch versuchen, ein bisschen wunderbare Orchestermusik mit Andrew Skeet zu machen, denn wir haben viel mehr Musik hier liegen als wir eingespielt haben, Musik wie in Seventh Heaven, aber besser, finde ich! Es sind einige Stücke dabei, von denen ich finde, die Leute sollten sie hören. Also, ja, es sind alle möglichen Sachen geplant. Ich hätte nur gerne mehr Zeit. Ich wünschte, ich könnte mich klonen.
it: Schöne Idee! Und wie steht’s mit Wiederveröffentlichungen? Wird es davon noch welche geben?
Ant: Der Vertrag mit Cherry Red sieht vor, dass alle Wiederveröffentlichungen im ersten Zeitraum der Vertragslaufzeit erscheinen sollen, und das sind sie noch nicht! Also, ja, der Rest muss auch noch kommen. Die Missing Links, die Archive Collection und andere, kleinere Sachen. All diese Alben müssen noch wiederveröffentlicht werden. Die komplette Bonus CD für Missing Links ist schon fertig vorbereitet.
it: Oh, toll! Darauf freue ich mich!
Ant: Jon hat großartige Arbeit geleistet, vor allem in letzter Zeit, wenn ich daran denke, was er insbesondere mit Private Parts & Pieces V bis VIII und IX bis XI gemacht hat. Ich denke, er hat da Sachen gefunden, die … Ich möchte nicht arrogant klingen, aber ich kann da objektiv sein, glaube ich, weil ich mich an viele dieser Stücke nicht erinnere. Aber zwei Drittel der Musik, jedenfalls ganz sicher über die Hälfte, wäre eine eigene CD wert, nicht nur eine Bonus-CD, all dieses Outtakes, Mixe und so. Das waren alles richtige, fertig ausgearbeitete Sachen, die schon früher hätten erscheinen sollen. Da hat Jon ganze Arbeit geleistet. Und wir wollen versuchen, diesen hohen Standard zu halten, soweit wir das können.
it: Anthony, herzlichen Dank für das Gespräch …
Ant: Es war mir ein Vergnügen. Leider muss ich jetzt los, aber es hat mir wirklich Spaß gemacht.
BONUS Frage (via e-mail am 21./22. Oktober 2019):
it: Eine Frage wollte ich noch stellen, die mich seit langem umtreibt. Gibt es irgendwo den Text für Credo In Cantus?
Ant: Nein … Das sind einfach schön klingende Fantasiewörter ohne Bedeutung!!
* Ants Erläuterung zu seinem Gebrauch des Wortes „dubbing“ (aus seiner E-Mail):
Gitarristen nennen es häufig „Dubbing“. Wer ein Streichinstrument spielt, nennt es gewöhnlich pizzicato, um es vom Spiel mit dem Bogen zu unterscheiden, und das ist ein ähnlicher Effekt, der aber auf andere Weise erzielt wird. Streicher zupfen die Saite mit der rechten Hand. „Dubbing“ auf der Gitarre erfordert, dass man sein Handgelenk auf den Steg legt, um die Saiten ein Stück weit zu dämpfen. Damit ändert sich dann aber auch der Winkel, in dem das Plektrum die Saiten anschlägt … Nicht einfach! Manche Gitarren haben eine „Dubbing Bar“, aber das sind gewöhnlich elektrische Gitarren.
** Das Stück erschien sowohl auf The Living Room Concert als auch auf Radio Clyde und hieß dort in Wirklichkeit Conversation Piece.
Interview und Transkription: Andreas Lauer
Übersetzung: Martin Klinkhardt
Strings Of Light ist am 25. Oktober 2019 als 2CD/DVD im Digipak erschienen und kann bei Amazon und JPC bestellt werden.