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Ali Ferguson – The Contemplative Power Of Water – Album Rezension (2022)
Mit The Contemplative Power Of Water legt Ali Ferguson, bekannt aus Ray Wilsons Live-Band, sein drittes Soloalbum vor. Ole Uhtenwoldt hat es sich für euch angehört.
Elf Jahre nach seinem Debutalbum The Windmills And The Stars und nunmehr 6 Jahre nach dessen Nachfolger A Sequence Of Moments veröffentlicht Ali Ferguson nun sein drittes Soloalbum. Als ständiger Begleiter von Ray Wilsons Tour- und Studioband bis 2020 hat sich Ali unter Ray Wilson- und Genesis-Fans einen großen Namen gemacht; mit entsprechend großer Spannung wurde daher das neue Album, dessen Finanzierung mittels eine Crowdfunding-Kampagne unterstützt wurde, erwartet.
Natürlich waren auch für Ali die letzten zwei Jahre seit Beginn der Corona-Pandemie nicht einfach. Einen großen Teil seiner Zeit war er mit Ray auf Tour und auf einmal konnten keine Konzerte mehr stattfinden, ungewiss wie lange dies wohl anhalten würde. Aufgrund seiner eigenen finanziellen Situation begann Ali ein Engagement bei einem Instrumentenladen, um ein konstantes Einkommen sicherzustellen. Als Konzerte dann nach und nach wieder möglich wurden, war es in der Folge schwierig, wieder dauerhaft zu Rays über Jahre hinweg etablierter Live-Band zu stoßen. Seitdem übernimmt Rays Bruder Steve bei den allermeisten Konzerten den Part des Lead-Gitarristen, während Ali (wie auch der Bassist Lawrie MacMillan) nur noch bei seltenen Gelegenheiten mit auf der Bühne ist – wenn es die Umstände denn gerade zulassen.
Alis Kreativität scheint diese verrückte Zeit indes nicht negativ beeinträchtigt zu haben, denn mit The Contemplative Power Of Water legt er ein weiteres beachtliches Album vor, in dem er wieder auf seine inzwischen etablierten Trademarks setzt, denen allerdings auch neue Aspekte hinzufügt.
Das Line-Up hat er seit seinem ersten Album stets erweitert; so müssen an der Entstehung dieses Albums wieder ein paar Namen mehr genannt werden.
Neben Ali selber, der Gesang, natürlich Gitarre und Keyboards, Bass, programmiertes Schlagzeug und diverse Soundscapes beisteuert, spielen erneut Chris Agnew (1 Song) und Lawrie MacMillan (2 Songs) Bass, Liam Saunders spielt wieder Keys und Alis Bruder Duncan Ferguson Streicher. Kim Shepherd ist wieder bei den backing vocals zu hören, ebenso wie Sally-Jo Seery und Karin Tenggren bei jeweils einem Song und Ross Ainslie gibt die Flötensektion. Beim letzten Song gibt es sogar eine Art Familien-Chor mit Alis Ehefrau Jennie, seiner Tochter Thea und seinem Sohn Felix.
Das Album kommt mit neun Tracks auf eine Spielzeit von insgesamt ca. 68 Minuten. Die Länge war ja bereits beim vorigen Album ein Thema, das sicher auch mit weniger Spielzeit ein gutes geworden wäre. Beim neuen Album hat man aber umso mehr das Gefühl, dass jede Minute nötig ist, um genau das zu bewirken, was Ali bewirken will; er nimmt sich die Zeit, die er für nötig hält. Und seine spezielle Art des „Ambient-Prog“ braucht eben öfter mal eine Weile, um sich zu entfalten. Tatsächlich vergeht ein solcher Track beim Hören erstaunlich schnell, wenn man sich hineinversetzt.
Kernstück des Albums bildet sicherlich der dreiteilige Titeltrack, quasi ein Ambient-Epos, der auf Anfang, Mitte und Ende des Albums aufgeteilt ist. Lyrisch geht es das ganze Album hindurch etwas abstrakt über Themen wie Selbstfindung, Hoffnung, Vergänglichkeit und der Weg zu innerem Frieden. Jedem Track hat Ali ein bestimmtes Zitat zugeordnet und im letzten wird ein Gedicht vertont. Aber der Reihe nach:
The Contemplative Power Of Water (Pt.1)
Der Opener beginnt wie von Ali inzwischen gewohnt: langsam aufbauend. Ein Sommergewitter unterlegt mit Temperaturansagen eines Radiosprechers leiten in von Ali gesprochenen Text über, der quasi als Intro zu einem längeren Instrumentalteil dient. Dieser hebt mit sphärischen Gitarren an, ehe er in einen Rhythmus aus Akustik-Gitarren, Electronic-Samples, Percussion und Drums mündet. Ein hervorragender Beginn, der zeigt, wohin das Album gehen soll. Mit seinem Retro-Anschlag klingt der Track sogar ein wenig nach der Frühphase von Porcupine Tree (Up the Downstair bis Signify). Der erste Teil der Water-Suite fließt kraftvoll dahin und klingt am Ende relativ schnell wieder ab. Es vermittelt den Eindruck, als wäre The Windmills and the Starsgerade zwei Wochen her und A Sequence of Moments eine – und das ist durchaus positiv gemeint!
Children Of Men
Als nächstes hören wir unterdrückte Geräusche, die klingen, als wäre man Unterwasser. Nachdem sich ein Schlüssel dreht und sich eine Tür öffnet, finden wir uns in einer Soundkulisse irgendwo zwischen altertümlichem Kolosseum und modernem Stadion wieder; es ist schon interessant, wie Ali mit verschiedenen Soundscapes jongliert! Children of Men könnte mit seinem lockeren, beschwingten Rhythmus als eine Art Nachfolge von Flickering Golden vom ersten Album durchgehen und klingt verspielt-funky. Obwohl die Strophen dicht instrumentiert sind, werden diese bestimmt durch Alis charakteristischen, leicht gehauchten Gesang. Zum Ende hin zeigt er ein kurzes, schneidiges Gitarren-Solo, ehe die Tür vom Anfang wieder zufällt und uns mit einem Morsecode zurücklässt – ein Element, das uns im Laufe der Platte noch häufiger begegnen wird.
The River Crows
Wir tauchen ein in die nächste Kulisse: der Morsecode nimmt uns mit auf eine Kanufahrt durch die Natur. Passend dazu ist der Track zunächst durch gezupfte Akustik-Gitarren und Duncans Streicher geprägt. Der Track wurde zuvor mit einem Video promotet und schlägt eine Folklore-Richtung ein. Im zweiten Teil dominieren zunächst Ross Ainslies Flöten, die dann gemeinsam mit Alis E-Gitarre solieren. Ein Chor nimmt das Thema auf, nimmt an Dichte zu und schwillt wieder ab, bis nur noch Karin Tenggrens Stimme übrigbleibt und uns schließlich mit dem „Gesang“ von Krähen und dem Morsecode vom Beginn zurücklässt. An dieser Stelle sicherlich ein gut gesetztes, ruhiges Interlude!
Stare Into Sunlight (Release / Control)
Der folgende Track kommt zunächst in gradlinigem Tempo mit poppigem Gewand daher. Der Refrain besticht dann durch die Akkordfolge und härtere Gitarren im Hintergrund mit einer gewissen Dramaturgie und im Post-Refrain überrascht Ali uns mit quietschenden Synthie-Keys. Das letzten Drittel bietet ein dynamisches Gitarren-Solo und der von Lawrie gespielte Bass ist definitiv ein Pluspunkt! Dieser Track gehört zu denen, die etwas neuer klingen und so vielleicht nicht direkt auf eines von Alis früheren Alben gepasst hätte.
The Contemplative Power Of Water (Pt.II)
Der zweite Teil der Water-Suite funktioniert völlig instrumental und beginnt wiederum mit einer Naturkulisse, einem Wassersprung und floydigen Gitarren. Dieser Track hebt sich etwas von Alis sonstigen Instrumentals ab, ist weniger bombastisch als etwa „Hidden Instruments“, weniger gitarrenlastig und erinnert mit verfremdeter Percussion und Elektronik-Elementen in Stimmung und Herangehensweise eher an das eine oder andere Klangexperiment von Peter Gabriel. Nach einem längeren Outro leitet der Track über in…
The Catacombs
…das anfangs einen eher song-orientierten Eindruck erweckt und in den Strophen zurückhaltend klingt, die durch Piano und Alis Gitarre veredelt werden. Der Refrain schließt sich der harmonischen Grundstimmung an, bevor uns Ali dann auf einmal mit einem 90er-Elektro-Einschub überrascht – was für eine Wendung! Danach lässt er seine Gitarre weiter erzählen, die an Geschwindigkeit zunimmt und dabei von einer Rock-Orgel untermalt wird und letztendlich zu einem ruhigen Schluss findet. The Catacombs ist durch seine ganze Dramaturgie ein Highlight und erinnert etwas an In Morning Sky vom Debutalbum.
You Can’t Hold An Ocean
Der folgende Track ist der kürzeste des Albums und damit auch der kompakteste. Insgesamt etwas unauffälliger, zeigen die Strophen eine passend inszenierte Zerbrechlichkeit. Die zweite Strophe bietet schönen Background-Gesang und vielseitige Akzente durch Alis Gitarre. Gerade, wenn man sich der Stimmung angepasst hat, kommt der Track zu einem rockigen Ausbruch und wird noch einmal laut. Auch dieser Song gehört zu den Momenten, die nicht so wirklich auf die vorigen Alben gepasst hätten.
Peace Begins With Me
Das vorletzte Stück klingt ein bisschen wie eine Fortsetzung des Vorgängers, sowohl von der Stimmung, also auch von Akkorden und Melodie. Insgesamt eher als Ruhepol gemeint ist Peace Begins With Me vielleicht der am einfachsten zugängliche Track des Albums, mündet aber in ein mehrstimmiges Solo mit gedoppelten Gitarren, bevor sich das Finale anbahnt.
The Contemplative Power Of Water (Pt.III)
Das mit über 10 Minuten längste Stück des Albums bringt uns zunächst an ein nächtliches Regenwald-Ufer, ehe Alis typische Ambient-Gitarren hinzukommen. Der anschließende Gesangsteil, bei dem Alis Familie als Chor eingesetzt wird, zeigt einen deutlichen Weltmusik-Anschlag, der sich aufbaut und das Bild eines Dschungels erzeugt. Der dritte Teil der Suite ist wieder als Sound-Collage angelegt, klingt teilweise improvisiert und hat dadurch viel „Space“. Schließlich wird durch Alis Sprechgesang das Gedicht Poem der amerikanischen Dichterin Sara Teasdale vertont, bevor ein geradezu indigen klingender Chor das Ende des Tracks einleitet. Die letzte Minute bleibt dann dem titelgebenden Geräusch von Wasser vorenthalten, in Verbindung mit dem noch immer umherschwirrenden Morsecode. Mit dessen Ausblendung endet das Album.
Das Album fügt sich sauber in Alis bisherige Diskografie ein und zeigt wieder einmal, was für ein hervorragender Gitarrist er ist. Er hat seinen Stil gefunden und das verleiht dem Album eine ehrliche Authenzität, die man die ganze Spielzeit hindurch spürt. Er schafft es, die oft zugrunde liegende Ambient-Stimmung um weitere Elemente zu erweitern und mit anderen Genres zu verknüpfen…vielleicht besser noch, als bei seinen vorigen Alben. Man kann es also durchaus als einen Fortschritt betrachten, Ali stagniert nicht. Diskutieren kann man natürlich darüber, inwieweit ein richtiger Schlagzeuger, der die programmierten Drums ersetzt, dem Album geholfen hätte; Fakt ist aber, dass die Drums und Percussions von Ali stets songdienlich inszeniert sind und die Bühne eher Alis Solo-Einlagen oder den Soundscapes überlassen wird. Ali hat ein Album vorgelegt, das seinen Vorgängern in nichts nachsteht!
Autor: Ole Uhtenwoldt
The Contemplative Power Of Water kann digital und als CD direkt bei Bandcamp erworben werden. Als Download-Album ist es auch bei amazonMP3 erhältlich.