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Steve Hackett – The Live Siren: Tourbericht Frühjahr 2017
Pünktlich zur Veröffentlichung seines neuen Album The Night Siren startete Steve Hackett seine Tour, die sich im Retro-Bereich dieses Mal mit dem Schwerpunkt Wind & Wuthering beschäftigte. Christian Gerhardts berichtet vom Leipziger Konzert und sortiert die Konzerte in einen größeren Kontext ein.
Als Steve Hackett 1996 erstmals ein Album mit dem Titel Genesis Revisited veröffentlichte und dazu ein paar Konzerte in Japan spielte (nachzuhören auf dem Live-Album The Tokyo Tapes, das auch als DVD veröffentlicht wurde), da konnte niemand ahnen, dass ihn das Thema Jahre später nochmals packen sollte. Mit Genesis Revisited II legte er zwar ein wesentlich „braveres“ Album vor (hinsichtlich des Spielraums für Neuinterpretationen), aber die Gästeliste konnte sich sehen lassen und nicht zuletzt nutzte er dieses Mal die Chance und brachte eine große Genesis Revisited Show auf die Bühne. Zwischen 2013 und 2015 spielte Steve mit einer Band insgesamt über 140 reine Genesis Revisited Shows – die letzte fand am 19.07.2015 in St. Goarshausen auf der Loreley statt. Zu diesem Zeitpunkt lief bereits die neue Tour, mit der er sein Soloalbum Wolflightvorstellte. Auch diese Tour wuchs über sich hinaus und insgesamt wurden im Jahr 2015 wieder etwa 100 Konzerte gegeben. Dieses Mal war die Show zweigeteilt: Zunächst spielte Steve Klassiker seines Soloschaffens, dazu aber auch einige neue Songs aus Wolflight. Im zweiten Abschnitt folgten dann wieder Genesis-Klassiker und dieses Mal wählte er ein paar Tracks, die er bisher nicht gespielt hatte.
2016 schließlich widmete er sich in der zweiten Jahreshälfte den Arbeiten an einem neuen Album und im Herbst wurden prompt wieder etliche Shows angekündigt. The Night Siren sollte Ende März 2017 erscheinen – die Cruise To The Edge 2017 nutze Steve als Startpunkt für den ersten Abschnitt der Tour in Nordamerika -wobei da The Night Siren noch gar nicht erhältlich war.
Aber er blieb sich in gewisser Weise treu – der erste Teil des Sets bestand aus neuen Songs und Hackett-Klassikern, wobei er auch hier mit Serpentine Song und Rise Again mal wieder etwas unverbrauchtes ausprobierte. Und im zweiten Teil bediente er dann die Genesis-Fans, dieses Mal mit einem Wind & Wuthering Schwerpunkt. Nach dem ersten Nordamerika-Abschnitt der Tour setzte er seine Konzertreise in Europa fort …
Leipzig, 13. April 2017
Steves Gastspiel in Leipzig war dieses Mal seine letzte Show in Deutschland. Die Band war bestens eingespielt und „Das Haus Leipzig“ war eine für Hackett neue Location. Kurioserweise hatte hier vor fast genau einem Jahr auch Ray Wilson gespielt. Zuvor hatten wir Gelegenheit, Steve und seine Frau Backstage zu treffen. Steve war guter Dinge und freut sich über den hohen Zuspruch. Ein wenig war ihm auch anzumerken, dass er am Ende einer Woche des straffen Tourplans nach einen „day off“ lechzte. Dennoch ließ er keinen Zweifel daran, auch in Leipzig alles geben zu wollen. Ein wenig äußerte sich das auch im spontan gespielten Horizons, welches auf diesem Tourabschnitt eher selten den Weg ins Set fand.
Ansonsten gab es Standard-Programm für diese Tour. Dem mittlerweile klassichen Every Day, das auf den meisten Hackett-Shows früh kommt, folgte ein bunter Reigen alter und neuer Hackett-Songs, wobei es nur drei des aktuellen Albums The Night Siren gab: El Nino, In The Skeleton Gallery und Behind The Smoke. Ob das eine gute Auswahl ist, sei dahingestellt. Das Publikum nahm die Songs dankbar an – das hätte vermutlich auch für Anthing But Love, West To East oder Inca Terrazugetroffen – was wiederum an der hohen Qualität des Songmaterials des neuen Albums liegt. Mit The Steppes spielte Steve ein weites klassisches Solo-Stück, das auf der letzten Tour zunächst auch im Set war, dann aber im Interesse einer humaneren Konzert-Länge gestrichen wurde. Größte Überraschungen im Solo-Teil war der Serpentine Song, der sicherlich eine gute Wahl ist, zumal das Stück auch eines der besten seines Albums To Watch The Storms ist. Für viele Hackett-Fans gehört das düstere Darktownzu seinen stärksten Alben. Aus dem spielte er Rise Again. Das passte von der Dynamik her gut – aber natürlich hätte er auch eine ganze Reihe anderer Stücke des Albums spielen können – Twice Around The Sun etwa …
Die Überleitung in den Genesis-Teil des Sets erfolgte mit dem Instrumental-Teil von Shadow Of The Hierophant. Nach wie vor hat man bei diesem Stück das Gefühl, dass es ein großer Genesis-Klassiker hätte werden können. Vielleicht ist es auch neben Firth Of Fifth Steves definitiver Moment an der Gitarre.
Im Genesis-Teil tauchte dann wie gewohnt Nad Sylvan auf der Bühne auf. Kern des Sets sind Songs aus der Wind & Wuthering Zeit. Seinerzeit sang Phil die Songs relativ hoch und Nad selbst sagte einmal, dass dies nicht seine normale Stimmlage sei. Ein paar Momente waren stimmlich auch kritisch und wie sich hinterher herausstellte, plagte ihn eine Erklätung. Bei One For The Vine erlebten die Zuschauer den A-ha-Effekt, aber eher an unerwarteter Stelle: Steves Gitarrenarbeit ließ prompt viele Diskussionen entstehen, was genau im Original Gitarre oder gitarrengetrieben ist und was nicht. Jedenfalls hatte das Stück in dieser Live-Version deutlich mehr Gitarren, als man vermutet hätte. Das famose Inside And Out hingegen klang wie gemacht für Nads Stimme und war sicher eines der Highlights der Konzertabende. Und auch bei Afterglowjagt es einem noch immer einen Schauer über den Rücken. Steve beendete die Show mit den Klassikern Firth Of Fifth und The Musical Box, bevor es als Zugabe das um Mypoiaund Slogansergänzte Los Endosgab. Der frenetische Jubel war Steve überall sicher.
Setliste (Beispiel Leipzig):
Every Day
El Nino
The Steppes
In The Skeleton Gallery
Behind The Smoke
Serpentine Song
Rise Again
Shadow Of The Hierophant
Eleventh Earl Of Mar
One For The Vine
Horizons
Blood On The Rooftops
In The Quiet Earth
Afterglow
Dance On A Volcano
Inside And Out
Firth Of Fifth
The Musical Box
Myopia / Slogans / Los Endos
Der politische Steve
Auffallend auf dieser Tour waren auch Steves eindeutige Äußerungen zum Thema Flüchtlingskrise und wie sein Heimatland damit umgeht. Er macht auch keinen Hehl aus seinem Frust über die Brexit-Entscheidung und stellte mehrfach heraus, dass er auch aus einer Einwandererfamilie kommt – und „damals haben diese Verrückten meine Vorfahren einfach reingelassen, stellt euch das mal vor“. Noch deutlicher wurde er in Zoetermeer: „To those of you who don’t have compassion for the refugees, fuck you!“ Solche und ähnliche Statements garnierten die Ankündigung des Songs Behind The Smoke, der sich inhaltlich auch dem Flüchtlingsthema widmet. Steve hat sich selten derart konkret politisch geäußert – solche Statements war man sonst nur von Peter Gabriel gewohnt. Dass sich Steve aber von politischen Ereignissen inspirieren lässt, ist sicher nicht neu. Nur das offenive Vertreten der eigenen Überzeugung hat 2017 doch viele (zumeist positiv) überrascht.
Der verwöhnte Fan
Eigentlich dürften wir unser Glück kaum fassen können. Seit Jahren sind unsere Helden irgendwie immer auf Tour. Peter Gabriel tourte seit 2002 gefühlt ununterbrochen, The Musical Box haben seitdem ebenfalls regelmäßig Europa und Nordamerika bereist. Mike + The Mechanicssind seit 2012 unermüdlich unterwegs. Und nun kündigt gar Phil Collins seine Bühnenrückkehr an.
Und Steve? Spätestens seit seinem privaten Neuanfang hat er die Lust aufs Touren wiederentdeckt. Kaum ein Jahr verging ohne Hackett Shows und nicht selten dauerten diese mehr als 2,5 Stunden. Er serviert anspruchsvollstes Niveau, schaltet bezüglich seiner Gitarrenarbeit kaum einmal einen Gang runter und verkörpert für viele Fans die letzte Bastion, die den Namen Genesis verdient hat. Und dennoch empfindet es mancher als Dilemma, denn irgendwie ist er immer da, also muss man auch nicht immer hin.
Dazu kommt, dass der geneigte Fan eigentlich nie zufrieden ist: Zu viel Genesis-Songs, zu wenig neue Songs, die falschen eigenen Songs, warum nicht andere Genesis-Songs und so weiter. Es ist denkbar einfach: Wer viel präsent ist, macht sich natürgemäß angreifbar. Doch würde er nicht mehr touren, wäre der Aufschrei größer. Insofern: Der Fan wird nie zufrieden sein. Aber aktuell ist es bei dem großen und qualitativ hochwertigen Angebot fast schon Schwachsinn, mit irgendeiner Schelte anzufangen. Dazu kommt, dass Steve in schöner Regelmäßigkeit neues Material veröffentlicht, das in seiner Vielseitigkeit im Genesis-Lager einsame Kreise zieht. So verwöhnt hat Steve seine Fans noch nie. Genießen wir diese Zeit – denn irgendwann ist auch das vorbei.
Fotos: Angéla und Maurizio Vicedomini für iconphoto.ch
Links:
Cruise To The Edge 2017 – Reise- und Konzertbericht
Steve Hackett live – Tourdaten 2017