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Genesis – Platinum Collection – 3CD Rezension
Im Herbst 2004 erschien die erste umfassende Werkschau von Genesis als 3CD-Set unter dem Titel Platinum Collection. Erstmals sind auch neue Mixe der bewährten Songs zu hören. Steffen Gerlach hat reingehört…
Der November 2004 wird wohl als der bislang kostspieligste Monat für Genesis & Co.-Fans in die Geschichte eingehen. Fast zeitgleich veröffentlichen die verschiedenen Lager des Genesis-Universums diverse DVDs, angefangen von Phil Collins’ Konzertmitschnitt seiner
First Final Farewell-Tour über Peter Gabriels Video-Clip-Sammlung
Play und Steve Hacketts Tourdokument
Once Above A Time bis hin zur nicht ganz offiziellen Genesis-Doku-Doppel-DVD
Inside Genesis – A Critical Review 1970 – 1980 und den bereits üblichen, vorweihnachtlichen Virgin-Veröffentlichungen, die in diesem Jahr mit der Genesis-Promo-Video-Compilation
The Video Show und der unter dieser Veröffentlichungsflut einzigen CD-Release unser aller Lieblings-Band, der 3 CD-Box Platinum Collection, die Geschenke-Käufer locken soll.
Letzteres hat trotz Enttäuschung einiger Fans aufgrund fehlenden neuen Song-Materials eine nähere Betrachtung verdient, denn es ist die erste Zusammenstellung von Genesis-Songs, welche die komplette Band-Karriere umfasst. Und zur Freude des bereits kundigen Personenkreises hat man von vielen Tracks älteren Datums neu abgemischte Stereo-Versionen verwendet, was die Songs in neuem Licht erstrahlen lässt. Grund dafür ist die geplante Veröffentlichung des kompletten Backkataloges von Genesis (mit Ausnahme des Debüt-Albums
From Genesis To Revelation) auf dem noch recht neuen SACD-Medium mit 5.1-Surround Sound. Für dieses Vorhaben ist es notwendig, die ursprünglichen Mehrspuraufnahmen zu zerlegen und neu abzumischen. Und so wurden bereits etliche Songs bearbeitet und die neuen Stereo-Mixes, die automatisch im gleichen Arbeitsgang mit den 5.1-Mixes entstehen, für dieses Genesis-Einsteiger-Set eingesetzt. Falsch liegt man in der Annahme, es handele sich hier um Neuaufnahmen oder Neustrukturierungen der Songs, was viele ja unter dem Begriff Remix verstehen. Man hat nichts hinzugefügt oder weggelassen, sondern vielmehr dank neuzeitlicher Technik das Material „aufpoliert“. Die Folge ist ein viel homogeneres Soundbild einer kompletten Band-Historie, was es Leuten, die lediglich den jüngeren und bekannteren Output unserer Helden kennen, einfacher machen wird, in die Vergangenheit von Genesis einzutauchen. Deshalb hat man sich auch zu einer (fast korrekten) chronologisch rückwärtsgehenden Track-Abfolge entschlossen.
CD1 1997 – 1982
Die letzten vier Studio-Werke werden hier von der ersten CD abgedeckt. Für 15 Jahre Bandgeschichte ist das zwar nicht unbedingt viel Material im Vergleich zu den ersten 15 Jahren, aber mit Sicherheit war diese Phase die populärste und erfolgreichste. So wundert es auch nicht, dass die Auswahl der Tracks viele Überschneidungen mit der 1999 veröffentlichten „Hits“-Zusammenstellung bietet, allerdings diesmal fast ausschließlich in ihren ungekürzten Album-Versionen.
Die Scheibe beginnt mit den Hits der
We Can’t Dance-Ära von 1992 – unlogisch für Fans der Post-Collins-Phase mit Ray Wilson, aber nachvollziehbar für Einsteiger, die über bekannte Klänge langsam in den Genesis-Kosmos eintauchen wollen. Folgende Songs wurden ausgewählt:
No Son Of Mine (mit einem um zwei Takte gekürzten Intro),
I Can’t Dance,
Jesus He Knows Me und
Hold On My Heart.
Weiter zurück in der Zeit, genauer gesagt ins Jahr 1986, geht es mit den nächsten fünf Songs, die allesamt vom
Invisible Touch-Album stammen. Auch hier konzentrierte man sich auf die Single-Auskopplungen, auch wenn sich manch einer an dieser Stelle den Live-Klassiker Domino gewünscht hätte:
Invisible Touch, Throwing It All Away, Tonight, Tonight, Tonight (in der gekürzten Single-Version),
Land Of Confusion und
In Too Deep.
Das selbstbetitelte Genesis-Album von 1983 wurde mit den Tracks der kompletten ersten Album-Seite gewürdigt, und zwar mit den beiden Single-Hits
Mama und
That’s All, aber auch mit dem Live-Klassiker und nicht auf der ’99er Hits-CD zu findenden
Home By The Sea und dem zweiten Teil
Second Home By The Sea. Ebenfalls von diesem Album findet sich hier die nicht ganz so erfolgreiche Single
Illegal Alien wieder, die hier allerdings erfreulicherweise in einer neu abgemischten Version enthalten ist. Auffallend ist dabei vor allem der viel differenziertere Backgroundgesang.
Das nun folgende
Paperlate ist eigentlich auf keinem regulären Album zu finden, wurde aber 1982 als Single/EP veröffentlicht und stammt noch von den ’81er
Abacab-Sessions. Im Gegensatz zu seiner letzten Veröffentlichung auf der
Archive #2-CD-Box gibt es auch hier einen neuen Mix zu hören. Hier kommen die Bläsersätze um einiges schärfer, der Gesang rückt mehr in den Vordergrund und auch einige Keyboard-Passagen kommen mehr zur Geltung.
Letzter Track auf der CD ist das Titelstück des letzten veröffentlichten Genesis-Albums, Calling All Stations von 1997, ohne Collins und mit Sänger Ray Wilson. Seltsamerweise hat man hier nicht die erfolgreichste Single
Congo genommen, die ja auch bereits auf
Turn It On Again – The Hits gelandet war. Eine Zeit lang war sogar im Gespräch,
One Man’s Fool anstelle von
Calling All Stations zu wählen. Für weitere Tracks des Albums sah man wohl keine Notwendigkeit.
CD2 1981 – 1975
Der nächste Silberling geht nun zurück bis in die Anfangstage von Phil Collins als neuem Sänger der Band. Fünf Alben sind in diesen sechs Jahren entstanden.
Das Abacab-Album von 1981 wurde mit den beiden Singles
Abacab und
Keep It Dark berücksichtigt. Ersteres profitiert durch den neuen Mix vor allem in Sachen Gitarren-Sounds, zweiteres durch das Hervorheben von Phils unscheinbarem Percussion-Einsatz und einiger Keyboardmelodien.
Vom nächstfrüheren Album
Duke (1981) stammen die Tracks
Turn It On Again, das im neuen Mix präsenteren Lead-Gesang und knalligere Drums bekommt,
Behind The Lines, welches im ursprünglichen Mix enthalten ist, den Band-Favoriten
Duchess, welches im gesamten durch gezielteren Einsatz von Raumhall-Effekten deutlich an Atmosphäre und Brillianz gewinnt, und den ersten US-Hit
Misunderstanding mit mehr Druck in Phils Stimme und etwas Schlagzeug-Hall.
Drei Songs wurden dem eher unbeliebten
…And Then There Were Three-Album, erschienen im Jahr 1978, entnommmen. Der neue Mix der Single
Many Too Many klingt allgemein etwas voller und runder.
Follow You Follow Me, der kommerzielle Durchbruch der Band, lässt im Remix endlich mal mehr erkennen, was Collins da an Drums und Percussion groovt. Dritter neu gemischter Track ist die Banks-Komposition
Undertow, bei dem vor allem die etwas softeren Streicher-Sounds auffallen.
Zwei Jahre zurück haben wir Genesis noch mit Lead-Gitarrist Steve Hackett vor uns. Vom Album Wind & Wuthering entlieh man sich die beiden Live-Klassiker
…In That Quiet Earth (mit vollem Drum-Roll am Anfang) und
Afterglow und die einzige Single des Albums
Your Own Special Way, die hier aber weder in Single- noch in geremixter Version auftaucht. Die beiden erstgenannten bekommen druckvollere Schlagzeugsounds und die Gitarrenarbeit wurde etwas mehr in den Vordergrund gesetzt.
Die drei letzten Stücke wurden ursprünglich 1976 auf
A Trick Of The Tail veröffentlicht. Der Titelsong, trotz Single-Veröffentlichung eher unbekannt, bekommt durch die Neubearbeitung klareren Lead- und Background-Gesang und auch einige Gitarrenlinien kommen besser zur Geltung. Bei
Ripples wurde ein ausgewogeneres Frequenz- und Lautstärke-Verhältnis geschaffen und Collins’ Schlagzeug kommt direkter. Klassisch schließt man die CD mit dem perfekten „Closer“ namens
Los Endos, hier kaum wahrnehmbaren Veränderungen. Für manche unverständlich, ist das Fehlen des großen Live-Klassikers
Dance On A Volcano.
CD3 1974 – 1970
Der für viele spannendste Teil dieser Box ist CD Nummer 3 mit einigen Klassikern der Band-Frühphase mit Peter Gabriel als Frontmann. Mit ihm wurden sechs Studio-Alben herausgebracht, wobei das noch etwas unreife Erstlingswerk
From Genesis To Revelationvon 1969 mit keinem Track vertreten ist.
Beginnend 1974 wurden lediglich drei Songs vom Konzept-Doppelalbum
The Lamb Lies Down On Broadway entnommen, darunter der Opener und Titelsong, wieder mit komplettem Intro, druckvolleren Drums und besserem Stereo-Mix, die wenig erfolgreiche Single
Counting Out Time mit leicht gekürztem Intro (allerdings nicht von der Single-Version), aber dafür fulminanterem Schlagzeug, deutlicheren Backing-Vocals und etwas längerem Stimmen-Outro, und der wohl populärste Song des Albums,
Carpet Crawlers, welcher zwar um ca. 15 Sekunden kürzer geraten ist, aber Gabriels Stimme wärmer klingen lässt und die Drums mehr in den Vordergrund holt. Leider konnte man sich wohl nicht zur Verwendung des Kult-Klassikers
In The Cage durchringen.
Das ein Jahr zuvor veröffentlichte Album
Selling England By The Pound nimmt wohl nicht nur bei Fans einen hohen Stellenwert ein, und so verwundert auch nicht, dass gleich drei Klassiker davon den Weg auf diese CD schafften. Der neue Mix von
Firth Of Fifth erfreut schon im Piano-Intro mit dem glasklaren Klang, der sogar Fußpedaltritte am Flügel hörbar macht. Er lässt aber auch die Drums während des ganzen Songs nicht mehr so trocken, aber trotzdem mächtig erscheinen, Hacketts Gitarre brillianter und auch Rutherfords Gitarren-Picking strahlender klingen.
The Cinema Show besticht durch einen luftigeren Sound, was wohl auch dem unscheinbaren Hall-Effekt auf den Schlagzeugspuren zuzuschreiben ist. Das nur unwesentlich gekürzte
I Know What I Like lässt nun auch alle Vocals besser hören.
Den internationalen Durchbruch schaffte die Band 1972 mit dem Album
Foxtrot, welches hier mit dem 22-Minuten-Epos
Supper’s Ready gewürdigt wurde, aber unverständlicherweise in gänzlich unbearbeiteter Version. Und manch einer wird vielleicht auch den Opener des Albums (Watcher Of The Skies) vermissen, welcher ursprünglich hier auch Verwendung finden sollte.
Es folgt das Herzstück des ’71er Albums
Nursery Cryme, dem ersten mit den damaligen Neuzugängen Phil Collins an den Drums und Steve Hackett an der Gitarre. Das über zehnminütige
The Musical Boxprofitiert außerordentlich von neuen Mix, der viele Mischfehler in Sachen Lautstärke korrigiert, differenziertere Bässe bringt und die dynamischen Sprünge des Stücks besser herausarbeitet.
Wie auf dem
Trespass-Album von 1970 und auf vielen frühen Live-Shows kommt auch auf dieser CD das „dicke Ende“ mit dem ersten echten Genesis-Klassiker
The Knife. Hier zupft noch Gründungsmitglied Anthony Phillips die Gitarre und Kurzzeit-Drummer John Mayhew kommt gut zur Geltung. Herausstechend bei diesem neuen Mix sind die teilweise stark veränderten Gesangseffekte, ein nicht mehr ganz so muffiges Schlagzeug und die neuen Stereo-Spielereien im ruhigen Instrumentalteil.
Abschließend lässt sich über diese 3-CD-Zusammenstellung sagen, dass sie ihre Daseinsberechtigung hat, da es die bislang einzige Veröffentlichung ist, die alle Phasen der Band vereint, und für Quereinsteiger einen ordentlichen Überblick über die 30-jährige Karriere dieser einzigartigen Band bietet. Dass man bei der Auswahl einige Klassiker auslassen musste (?) ist schade, da nicht alle verwendeten Songs unbedingt die jeweilige Vielfalt des zu repräsentierenden Albums widerspiegeln. Eine ansprechend aufgemachte 4-CD-Box wäre bei insgesamt 15 veröffentlichten Alben durchaus angebracht gewesen. Auch die Möglichkeit die Bandgeschichte in Wort und Bild etwas interessanter zu gestalten als im beiliegenden, 20-seitigen Booklet mit kurzgehaltenem Fließtext von Hugh Fielder, abgebildeten Album-Covers und keinem einzigen Bandfoto hat man vertan. Dafür ist löblich zu erwähnen, dass man den Großteil der älteren Tracks in den vom „Genesis-Hausmixer“ Nick Davis überarbeiteten Versionen verwendet hat. Aber auch hier stellt sich die Frage, warum einige Songs nicht in den Genuss einer General-Überholung gekommen sind. Auch hätte man den einen oder anderen Single-Mix für die Raritäten-Sammler unterbringen können, gerade wenn man sich wie in diesem Falle stark auf Single-Auskopplungen konzentriert hat. Dafür stimmt der Preis von ca. 20 Euro, der der Genesis-Fangemeinde über Weihnachten hoffentlich reichlich Zuwachs bescheren wird.
Autor: Steffen Gerlach