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Anthony Phillips – Biografie

Biografie des ersten Genesis-Gitarristen Anthony Phillips.

Das nach Ray Wilson zweitjüngste der sieben „großen“ Genesis-Mitglieder. G7″), Anthony Edwin Phillips, kurz: Ant. Ameise“), prägte als Gründungs-Mitglied während der weichenstellenden ersten drei Jahre in der fast-50-jährigen Geschichte von Genesis die Gruppe maßgeblich. Während er nur auf den ersten beiden Alben From Genesis To Revelation und Trespass vertreten ist (lediglich als Komponist hat er auch zu Nursery Cryme und den Live-Platten beigetragen), bleibt der Umfang des von ihm veröffentlichten musikalischen Materials (sei es als frei verkäuflicher Tonträger, als so genannte Library-Musik, Fernseh-Musik, Musical, Noten oder sonstige Veröffentlichung) von jedem der übrigen sechs wohl unerreicht. Wie Tony Banks präsentierte er seine Musik außer mit Genesis nie live auf einer Bühne, dafür veröffentlichte er die eine oder andere „Live im Studio“-Aufnahme im Hörfunk, auf CD oder seinem Youtube-Channel. Seine Vielseitigkeit als Multi-Instrumentalist (vor allem 12saitige Gitarre und andere Zupf- und Tasteninstrumente) und Produzent sowie seine stilistische Vielfalt suchen ihresgleichen – und doch genießt der in London-Clapham lebende Single von den „G7“ wohl den geringsten Bekanntheitsgrad.


 Ant „The Vicar“ Phillips erblickte einen Tag vor Heiligabend im Jahre 1951 als Sohn eines reichen Bankiers und Präsidenten einer Versicherungsgesellschaft, der Anfang 1997 verstarb, und dessen Frau Pauline in London-Roehampton das Licht der Welt. Er hat eine elf Jahre ältere Halbschwester Anne und einen sieben Jahre jüngeren Bruder Rob, der Oboe spielt.

Mit elf Jahren begann der musikalisch begabte Internatsschüler zwei Laufbahnen, nämlich die als Gitarrist und auch die als Komponist; er schrieb damals den Song Patricia, der als Instrumentalversion auf Genesis Archive 1968-75 enthalten ist und als In Hiding seinerzeit den Weg auf das erste Genesis-Album fand.

Auf der Charterhouse School freundete er sich mit Mike Rutherford an, und beide waren Mitglied der Band The Anon, einer der beiden Formationen, aus denen 1967 Genesis hervorgehen sollte. Ants frühe musikalische Einflüsse waren sicherlich vielfältig angesichts dessen, was er an musikalischer Bildung erfuhr und was im Bereich der populären Musik damals in England vor sich ging. Als konkrete Namen werden The Shadows, in Zusammenhang mit seinem um 1973 entstandenen ersten Solo-Album auch Ralph Vaughan-Williams und Mike Oldfield genannt. Schon zu Genesis-Zeiten entwickelte er einen sehr persönlichen Stil mit hohem Wiedererkennungswert, dessen Grundzüge sich bis heute trotz gewisser Weiterentwicklung erhalten haben: seine Musik ist geprägt vom Formalismus des Barock, der eleganten Verspieltheit der Klassik, der Dynamik der Hochromantik, englischem Humor und davon, frei von Effekthascherei zu sein. Seine Werke reichen von kurzen Intermezzi über meditative oder pittoreske längere Instrumentalstücke, Gitarren- und andere Suiten, Lieder, Rock-Songs und –Instrumentals bis hin zu symphonischen Werken.


In den ersten Jahren seines musikalischen Schaffens arbeitete Ant häufig mit Mike Rutherford zusammen. In ihrer gemeinsamen Zeit bei Genesis entstanden unzählige auf 12saitiger Gitarre basierende Songs, von denen die wenigsten (wie z. B. der Klassiker Stagnation) den Weg auf die Bühne oder ins Studio schafften. Einige dieser Songs wurden von Ant in den 1990er Jahren eingespielt und als CD-Bonus-Tracks veröffentlicht. Eines dieser Lieder, Silver Song, wäre beinah die erste Phil Collins-Single geworden (1973), das Projekt scheiterte jedoch an aufnahmetechnischen Problemen – mittlerweile wurde die von Phil gesungene Version jedoch auf der 2-CD-Ausgabe von The Geese & The Ghost veröffentlicht. Aufgrund von krankhafter Nervosität bei Liveauftritten, einer chronischen Bronchitis und wohl auch deswegen, weil Genesis tendenziell musikalisch nicht den Weg einschlug, auf dem er die Gruppe weiterhin hätte voranbringen können und wollen, stieg Anthony Phillips 1970 nach Erscheinen von Trespass aus Genesis aus und widmete sich einem Musikstudium. Kein Ausstieg eines Bandmitglieds aus Genesis hat die Gruppe so erschüttert wie dieser.


Phil Collins taucht noch einmal in Ants Karriere auf: er singt bei zwei Songs auf der ersten Solo-Veröffentlichung Ants, die großenteils in Kooperation mit Mike Rutherford entstand. Das Album heißt The Geese & The Ghost und ist wohl bis zum heutigen Tage Ants Bestseller. Es entstand Anfang/Mitte der 1970er Jahre unter einigen Schwierigkeiten und wurde endlich 1977 als einziges Album des von Manager Tony Smith eigens hierfür gegründeten Labels Hit & Run veröffentlicht. Es enthält ein breites Spektrum von Musik mit einer großen Vielfalt akustischer Instrumente. Das Cover ziert ein interessantes Landschaftsgemälde von Peter Cross, der auch noch für weitere Alben seine legendären Kunstwerke beisteuern sollte.

Die nächsten beiden Werke Ants sind geprägt von den Forderungen der Plattenfirmen nach Pop-Hits. Glücklicherweise konnte für Wise After The Event(1978) und Sides (1979) mit Rupert Hine ein fantastischer Produzent gewonnen werden und mit dem Bassisten John G. Perry (Caravan, Quantum Jump) und dem Schlagzeuger Michael Giles (King Crimson) und anderen auch ein elitärer Kreis an Mitwirkenden.

Zugleich mit Sides brachte Ant auch eine Platte mit Musik heraus, die in keinster Weise den Zwängen seitens einer Plattenfirma unterlegen war. Sie enthielt überwiegend Gitarren- und Klaviermusik, die im Laufe der 1970er Jahre entstanden war. Ant gab dem Album den delikaten Titel Private Parts & Pieces. Dies sollte zugleich der Markenname für eine ganze Serie von Veröffentlichungen werden.

Folge zwei dieser Reihe erschien dann auch schon 1980 mit dem Beinamen Back To The Pavilion. Ein Höhepunkt darauf ist die Scottish Suite, Musik, die ursprünglich für eine Vertonung von Shakespeares Macbeth geschrieben worden war. Auch ist hierauf Musik aus den Six Pieces für Gitarre enthalten, die Ant als Noten beim Verlag Josef Weinberger veröffentlichte.

1981 erschien mit 1984 ein vollkommen elektronisches Werk, bestehend aus einem Prelude, zwei langen Sätzen mit wiederkehrendem motivischem Material und einer „Hymne“.

Teil drei der Private Parts & Pieces (kurz: PP&P) enthielt Gitarrenmusik, die zusammen mit dem Argentinier Enrique „Quique“ Berro Garcia geschrieben und eingespielt wurde. Aus den Vornamen der beiden Künstler entstand der Beiname des Albums: Antiques.

Eine bislang letzte Rückkehr zur Popmusik machte Ant mit Invisible Men(1984), das in Kooperation mit Richard Scott entstand. War Ant auch bei seinen 1978er und 1979er Popalben politisch geworden (Tierschutz, Musikgeschäft), so ging er hier u. a. sehr kritisch mit dem Falkland-Krieg um.

In Zusammenarbeit mit Richard Scott bzw. mit Rupert Hine entstanden in jenen Jahren auch die Musicals Alice und Masquerade. Alice wurde dann auch für einige Wochen erfolgreich auf die Bühne gebracht.

Kurz nach Invisible Men erschienen die beiden nächsten Folgen von PP&P. A Catch At The Tableswar eine bunt gemischte Zusammenstellung, Twelve hingegen ein besonders bemerkenswertes Werk: Hier vertonte Ant auf der 12saitigen Gitarre solo die zwölf Monate des Jahres – ein Höhepunkt seiner Schaffenskunst auf diesem Instrument. Bemerkenswert ist die klangliche Vielfalt des Instruments und wie leicht man, wenn man einen Titel aus dem Album hört, erraten kann, um welchen Monat es sich handelt!

An ein Kompilationsalbum (Harvest Of The Heart), das nicht auf CD erhältlich ist, schlossen sich PP&P sechs und sieben an: Ivory Moon(1986) beinhaltet, wie der Titel vermuten lässt, Klaviermusik in Ants typischem Stil von Romantik bis Impressionismus und auch zwei Titel aus dem Musical Masquerade. Slow Waves, Soft Stars (1987) besteht aus Keyboard-Improvisationen, die an Eislandschaften und den Weltraum erinnern, sowie aus Gitarrenmusik, teilweise wieder in Zusammenarbeit mit „Quique“. Ant präsentierte dieses Album damals auf dem Fernsehsender VH-1, indem er eine Sendung mit seinem typischen spitzfindig-verqueren Humor moderierte und das eine oder andere Stück auf der Gitarre darbot.

1988 wurde es finanziell möglich, das Werk Tarka, das Ant Ende der 1970er Jahre mit Harry Williamson geschrieben hatte, in einer großen Besetzung mit Sinfonie-Orchester und Solisten (u. a. Ant und Harry an Gitarren und Tasteninstrumenten) aufzunehmen und auf Schallplatte zu veröffentlichen. Es handelt sich um die Vertonung eines Buches über das Leben eines Otters in drei Sätzen und einer „Hymne“.

Im Jahr darauf erschien, zunächst nur als Musikkassette, die erste Folge einer neuen Serie von Veröffentlichungen unter dem Titel Missing Links. Diese Reihe ist vornehmlich der Musik vorbehalten, die Ant für das Fernsehen, diverse Projekte und sogenannte Librarys (hier können Fernsehsender, Filmemacher etc. Musik, die sonst nicht kommerziell erhältlich ist, ausleihen) geschrieben hat – damit verdient er seinen Lebensunterhalt. Die erste Folge dieser Serie, Finger Painting, enthält Musik ab 1979 von unterschiedlichem musikalischem Anspruch.

Als eine Mischung aus 1984 und Tarka präsentiert sich Slow Dance(1990). Teils elektronisch, teils mit natürlichen Instrumenten (u. a. Streicher und Bläser, als Ensemble und solistisch) eingespielt, besteht es aus zwei etwa 25minütigen Sätzen. Bei wechselnden Rhythmen kann man hier einer vielseitigen motivischen Arbeit folgen.

Die 1990er Jahre begannen mit der Wiederveröffentlichung der meisten von Ants Platten, die zum Teil längst nicht mehr erhältlich gewesen waren, auf CD.

Das Jahrzehnt begann ebenfalls mit einem besonders kostbaren Werk des Briten: PP&P 8 – New England (1992) entstand als Auftragswerk für das Venture-Label von Virgin Records. Es enthält Gitarrensuiten, Werke für Sopran-Saxophon (Martin Robertson) und Gitarre, Gitarren und Klavierstücke und weiteres in besonders ausgefeilten Arrangements und überdies in fantastischer Klangqualität.

Weitere Arbeiten für das Venture-Label wären wünschenswert gewesen, im Zuge der Übernahme von Virgin Records durch EMI 1992 wurde das Unterlabel jedoch leider eingestellt. Die seither vergangenen über 20 Jahre sind gezeichnet davon, dass Ant neben der Arbeit für Library und Fernsehen kaum Zeit für weitere musikalische Selbstverwirklichung hat, daher wurden von ihm seitdem, von wenigen Ausnahmen abgesehen, vor allem Library-/Fernsehmusik, Teile des Back-Katalogs (teilweise mit Zusatzmaterial) und Kompilationen veröffentlicht.

1994 hatte Ant die Gelegenheit, die Musik, die er für eine TV-Serie über das Whitbread Round The World Race (Segelregatta) geschrieben hatte, auf CD zu veröffentlichen – Sail The World. Im gleichen Jahr erschien Missing Links 2 – The Sky Road, worauf nicht nur TV- und Library-Musik, sondern auch beachtenswerte Überbleibsel aus vorangegangenen Jahren enthalten sind.

Auf der gleichnamigen CD veröffentlichte Ant 1995 mit Harry Williamson die Gypsy Suite, die die beiden Ende der 1970er Jahre mit Gitarren aufnahmen. Die Scheibe enthält auch Demos zu den ersten beiden Sätzen von Tarka.

In Zusammenarbeit mit Helmut Janisch wurden 1996 alle Texte der bisherigen Lieder von Ant in einem Lyric Book veröffentlicht (in der Zwischenzeit hat Ant sein Lied-Œuvre auch kaum erweitert). Mit dem Buch erschien die CD The Living Room Concert, welche Auszüge aus einem fürs Radio aufgezeichneten Studiokonzert enthält. Die Kompilation Anthology läutete im gleichen Jahr die erneute Wiederveröffentlichung einiger Werke auf Ants neuem Stamm-Label Blueprint Records (Teil der Voiceprint-Gruppe) ein. (Diverse weitere Anthologien sollten in späteren Jahren folgen.)

PP&P 9 – Dragonfly Dreams (1996) ist wiederum eine gemischte Zusammenstellung, mit dabei ist einmal mehr Enrique Berro Garcia.

Im Jahr darauf begann eine mehrjährige, musikalisch aber eher mäßig fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Spanier Guillermo Cazenave, einem ehemaligen Schüler Ants. Man spielte u. a. das auf Improvisationen basierende Album The Meadows of Englewood ein (benannt nach der Straße in London, in der Ant wohnt), veröffentlichte zwei Videos und die CD Live Radio Sessions.

Fernsehmusik erschien ebenfalls im Jahre 1997: Auf der Doppel-CD The Music Of Nature zur Fernsehserie Survival ist Ant schwerpunktmäßig vertreten, und Folge drei der Missing Links, Time & Tide, enthält Fernsehmusik, die Ant zusammen mit dem japanischen Perkussionisten und Flötisten Joji Hirota schrieb.

Im Nostalgierausch in Zusammenhang mit Genesis Archive 1968-75 etablierte Ant eine dritte Serie von Veröffentlichungen unter dem Titel The Archive Collection. Folge eins erschien 1998 (u. a. mit einer Demo-Version von The Musical Box!).

Im selben Jahr schrieb Ant neue Klavierstücke und nahm sie auf. Veröffentlicht wurden sie im Herbst 1999 als PP&P 10 – Soirée.

Im neuen Jahrtausend erschien – 25 Jahre nach seiner Ausstrahlung (bei der das Band zu schnell abgespielt wurde!) – das Studiokonzert für den schottischen Sender Radio Clyde von 1978 endlich auf CD, nun in authentischer Tonhöhe. Die Archive Collection wurde 2004 um Volume II erweitert.

Das Jahr 2005 stellte schließlich einen neuen Höhepunkt im Werk des Meisters dar: Nach Jahren der Vorbereitung erblickte mit Field Day eine grandiose Sammlung von an die 60 neu komponierten Werken, eingespielt mit den unterschiedlichsten Exemplaren aus Anthonys Sammlung an Lauteninstrumenten (zu denen auch die Gitarren gehören), das Licht der Welt.

Das 2008 herausgebrachte Album Wildlife mit Musik zu Tierdokumentationen war als erstes von Ants Alben dieser Art nicht der Missing Links-Serie zugeordnet. Letztere wurde aber im Jahr darauf um Teil 4 erweitert, Pathways & Promenades, der vor allem Stücke enthält, die seit den 1980er Jahren auf diversen Samplern erschienen waren, die mittlerweile längst kaum mehr erhältlich sind. 2010 erschien mit Ahead Of The Field ein in sich geschlossenes Library-Projekt aus dem Jahre 1985 auf CD.

2009 steuerte Anthony einige wertvolle Elemente auf der akustischen Gitarre zu Steve Hacketts „Wohnzimmer-Album“ Out Of The Tunnel’s Mouth bei. Damit schloss sich eine Lücke: Nun hatte (abgesehen von Ray Wilson, der noch nicht mit Collins, Gabriel und Phillips gearbeitet hat) jeder der „G7“ mal mit jedem zusammengearbeitet.

Gleich zweimal neues Material gab es 2012: Zusammen mit Andrew Skeet veröffentlichte er die Doppel-CD Seventh Heaven mit 36 kurzen Stücken für Orchester und Soloinstrumente, teilweise Arrangements von bereits bekannten Titeln. Und nach 13 Jahren Pause wurden die Private Parts & Pieces fortgesetzt: Nr. 11, City Of Dreams, enthält vornehmlich kurze Synthesizer-Stücke.

Daneben wirkte Ant im Laufe der Jahre auch bei Werken anderer Künstler als Komponist oder Instrumentalist mit.

Für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass die Musik aus Ants Musicals doch noch eines Tages veröffentlicht wird, dass er eines Tages neue Songs aufnehmen wird (vielleicht wieder mit Band) und dass er wieder Zeit für größer angelegte musikalische Arbeiten findet.

Über Anthony Phillips Leben ist ansonsten nichts Spektakuläres bekannt. In seiner Freizeit spielt er gelegentlich Kricket (sein Club: die Send Occasionals).

Für Neueinsteiger in die Musik von Anthony Phillips seien vor allem die CDs Anthology und Private Parts & Pieces VIII – New England empfohlen.


Autor: Andreas Lauer
Stand: 2013